Rodolfo und Pusteblume

Fritz war nervös. Seine Finger hielten verkrampft die gelbe Rose fest. GELBE ROSE? das war das Kennzeichen. Gelbe Rose hatte ihn schon zwei Mal gestochen. Der Zeigefinger blutete.
Für Fritz war es bereits das siebte Chat-Date. Er hatte «Pusteblume» auf «akademischepartnersuche.com» kennengelernt.
Das «akademische» versprach Niveau. Fritz war ein geschiedener Buchhalter. In der Freizeit ging er kegeln. «Pusteblume» nannte sich Rosalie. Fritz wusste, dass die Namen im Chatraum meistens nicht dem Passeintrag entsprachen. Aber Rosalie hatte ihn sofort für sich eingenommen: «... koche wahnsinnig gerne... mag gutes Essen und Rotwein. (Keinen Champagner!)... muss gottlob nicht auf die Linie achten...»
Das mit dem Champagner hatte Fritz gefallen. Das mit der Linie auch. Seine Ex war in den letzten zwanzig Jahren aufgegangen, wie eine Dampfnudel im Topf.
«... liebe es zärtlich. Mag sanftes Rumschmusen. Keine Schnellschüsse», so hatte Fritz sich als ROMANTIK-RODOLFO dann näher vorgestellt. Und «Schnellschüsse» wieder gestrichen. Es gab bestimmt keine akademischen Schnellschüsse.
Sie chatteten jeden Abend. Fritz alias RODOLFO verschwieg drei Kinder, die Pensionierung und seinen Bauch. Er genierte sich nicht, bei den Kilos 30 Pfund abzuziehen. Auf wunderbare Weise wurde er zwölf Jahre jünger. Und polierte den pensionierten Buchhalter zu einem «... aktiven Vizedirektor, der wohl bald einmal das Zepter übernehmen muss!» auf.
PUSTEBLUME (34) war Gesangspädagogin. Sie jogge täglich zehn Kilometer durch den Wald. Ihre Spezialitäten: Tiramisù und Schopenhauer. Fritz sah sich bereits in ihrer «einfachen, aber gediegenen Wohnung» die doppelrahmige Spezialität reinziehen. Er spürte vor seinem Notebook ein Vibrieren, das ihn immer wieder überfiel, wenn er sich das erste Date mit einer Chat-Eroberung ausmalte. Auch PUSTEBLUME blühte auf. Sie schrieb, dass eine akademisch gebildete Pädagogin nicht unbedingt ein Sexmuffel sein müsse. Die Musik habe ihre Fantasie im Liebesbereich immer fortissimo beflügelt... Fritz vibrierte erneut. So tasteten sie sich per Tastatur an ihre Fantasiefiguren heran.
Fritz bat sicherheitshalber um ein Foto. Die vorangegangenen Treffen mit SCHMUSEKÄTZCHEN oder mit SCHMOLLMUND waren nämlich ein Desaster gewesen. Bei «SCHMUSEKÄTZCHEN» hatten die Oberzähne wie wild gewordene Castagnetten geklappert. Das war auf dem Foto nicht ersichtlich. Und bei SCHMOLLMUND wucherte ein Damenbart. Der war auf dem Bild retouchiert gewesen.
Pusteblume schickte Ausrufezeichen anstelle des Fotos: «LASS DICH ÜBERRASCHEN!!!!»
Als Fritz die runde, ältere Dame mit der gelben Blume in der Hand kommen sah, wurden ihm die Knie weich. Man könnte sagen: Die Realität fuhr zünftig ein.
DIESE PUSTEBLUME HATTE NICHT GEJOGGT. JA PUSTEKUCHEN! DIE HATTE DEN WALD DURCHPFLÜGT!
Rasch drückte er die gelbe Rose unter den Kittel. Stach sich dabei das Herz blutig. Und würdigte die Frau mit dem Dreifachkinn keines Blickes.
Zu Hause öffnete er den Chatraum von «akademischepartnersuche.com». Er kreierte ein neues Profil: «VALENTINO? verspielter Kater sucht Mieze.»
Dann strich er «Mieze». Zu wenig akademisch.

Montag, 23. Mai 2011