Schamlos auf Aufriss

Mit «Parmadoro» machte schon Oma das Aufreissen Spass. Noch heute verfeinert das Büchslein den Sugo.

Rezept: Ossobucco alla Juliana

Auch wer seinen Sugo selber und mit Frischprodukten zubereitet - und das sind in Italien alle - greift zur Ergänzung zum guten alten Tomatenpüree. Am häufigsten zu «Parmadoro».

Meine Zia aus der Lombardei sah es so: «Wenn die Italiener einen Sugo kochen wollen, gehen sie in den Garten. Sie greifen nach den Tomaten. Dann nach den Odori, den Gewürzen. Wenn die Schweizer Hausfrauen eine Spaghettisauce kochen, gehen sie an den Küchenschrank. Angeln ein Beutelchen hervor. Und rühren das Pulver mit Wasser an.» Es scheint, dass die Gastronomie des Nordens das Pulver erfunden hat. Und die natürliche Küche den Namen «Italia» trägt.

Auch heute noch würde es in Italien keiner Hausfrau und auch keiner von zwei Jobs gebeutelten Alleinerzieherin einfallen, nach einer zeitsparenden Fertigvariante zu greifen. «Natürliche Ernährung», heisst das höchste Gebot. Und wenn die jungen Italienerinnen auch kaum mehr am Herd stehen und Kinder wie Kocherei ihren Müttern überlassen: Den Sugo bereitet jede noch eigenhändig nach den Vorgaben der Nonna zu. Ehrensache! Diese Sugo-Rezepte werden seit Generationen weitergegeben. Sie sind je nach Region verschieden. Im Süden würzt man die Tomatensauce mit Sardellen und kleinen Muscheln - im Norden gibt man «Pancetta», Sedano oder frische Erbsen hinzu.

Die Basis bleibt jedoch immer die Tomate. Sie muss reif und aromatisch sein. Über Tomaten, die aus der Retorte gezogen werden, rümpfen die Italiener die Nase: «Da können wir ja gleich laues Wasser über die Spaghetti schütten.» Auch wenn die Marktfrauen in Rom oder Palermo ihre Kundinnen, die das Gemüse unbarmherzig nach der Reife abtasten, mit bösen Blicken anblitzen, so kümmert das die Italienerin nicht: «Man muss eine Tomate erfühlen, um zu spüren, wie sie schmeckt.»

Nun ist es nicht so, dass die Italienerinnen auf «die schnelle Dosen-Art» verzichteten. Sie benutzen die «Polpe», diese feinen entkernten Tomatenfleischstücke zum Strecken ihres Sugos - oder sie verwenden die Büchsen-Pelati, diese langen, geschälten Samarzani-Tomaten, die wie entzündete Nasen aussehen und - so sagt man - die beste Tomaten-Sugo-Konsistenz hergeben.

Einzigartig. In der Schweiz haben bereits unsere Grossmütter zum «Wunderdöschen» gegriffen. Dieses hat mit seinem theatralischen, rot-golden funkelnden Outfit und diesem ganz einzig- wie eigenartigen Deckel Küchengeschichte gemacht: endlich eine Konserve, die man nicht mühselig aufbüchsen musste, sondern die mit einem einzigen Handgriff dank der typischen roten Aufreisslasche geöffnet werden konnte. «Parmadoro» heisst das Wunderbüchslein heute noch. Und so macht auch Frauen der Aufriss Spass.

Meistverkauft. Vor 72 Jahren ist die rot-goldene Dose bereits auf den Ladentischen gestanden. Zwei Jahre nach der Gründung der St. Galler Conservenfabrik, so weiss es Hero-Kurator André Brunner, verkaufte die Fabrik einem Grosskunden einige Hunderttausend Tomatenpüree-Döschen mit der Versicherung: «Wir bieten eine Dose, die man nicht mit dem Büchsenöffner aufzahnen muss!» Der Vertrag wurde unterschrieben, ohne dass jemand in der Fabrik auch nur einen Schimmer hatte, wie man so ein Döslein herstellen könnte. In der Not wandte sich die «St. Galler» an die Maschinenfabrik Karges-Hammer. Gemeinsam pröbelte man verschiedenste Büchsenmodelle aus. Entwickelte den Wegreissdeckel. Und endlich war es geschafft - die Parmadoro-Fabrikation lief an: Von der Dose bis zum aufsehenerregenden Deckel wurde alles in einer einzigen Linie hergestellt - und hat so bis heute überdauert. Mehr noch: Nach 72 Jahren ist die rot-goldene Konserve noch immer brandaktuell. Sie liegt voll im Trend und ist auch jetzt noch das meistverkaufte Tomatenpüree der Schweiz.

Altbewährt. Die Rezeptur wie auch das Design des kleinen Wunderdöschens ist 72 Jahre lang beibehalten worden - die «Polpe» werden in Italien rund um Parma eingekauft (daher der Name: Parmadoro) und heute von Hero verfeinert. Marktforschungen haben ergeben, dass Parmadoro von Köchen und Hausfrauen vorwiegend zur «Ergänzung» hausgemachter Saucen verwendet wird. Denn seit die Schweiz ein bisschen südlicher geworden ist, wird hier wie auf dem Stiefel gekocht: mit topfrischen Zutaten. Und dann noch mit einem Sprutz Hilfe aus dieser Wunderdose, die noch immer funkelt wie einst und mit ihrem prunkvollen Outfit schon fast aus dem Finale einer italienischen Oper stammen könnte ...

Ossobucco alla Juliana

Bodega. Wer in Basel die beste Tomatensauce zu Spaghetti geniessen will, der geht in die Bodega. Beizer Johnny Freeman ist für seinen Sugo ebenso berühmt wie sein Service-Doyen Aldo für dessen feuriges Temperament.

«Natürlich verwenden wir nur Frischware», erklärt der Bodega-Beizer. «Unser Sugo wird in grossen Mengen gekocht - deshalb würde das Wunderdöschen von Parmadoro nicht viel Sinn machen. Privat greife ich schon mal zu einer Büchse Pelati oder zu Parmadoro. Das Döschen kenne ich noch aus meiner Kinderzeit. Sein Design hat mich schon damals fasziniert. Das Wunderbare am Inhalt: Er ist nicht verwürzt - sondern einfach nur reine Tomate.» Johnny Freeman hat das Döschen nun zu einem Sugo am Ossobucco inspiriert ...»

Et voilà - hier das Rezept:

Zutaten:
4 Kalbshaxen, die etwa 300 g schwer sein sollten. Mehl, Butter, Olivenöl, Salz, Pfeffer, Oregano, Prezzemolo (glattblättriger Peterli), Schale einer Zitrone, 3 Rüebli, 2 Stängel Stangensellerie, 1 Lauch, 1 fein gehackte Zwiebel, 4-5 frische, gewürfelte Tomaten, 2 kleine Döschen Parmadoro, Rotwein.

Zubereitung:
1 Kasserolle mit Öl und Butter ausstreichen. Die Kalbshaxe in Mehl wenden und in Öl beidseitig gut anbraten. Aus der Kasserolle nehmen. Nun im Bratenjus das fein gewürfelte Gemüse wie Sellerie, Lauch und Rüebli mit den Zwiebelchen andünsten. Die Tomatenwürfel dazugeben und alles mit 6-8 El Parmadoro gut verrühren. Nun mit Oregano, Salz und Pfeffer würzen - das Fleisch (das man ebenfalls leicht gewürzt hat) wieder beigeben. Feuer hoch stellen. Und schliesslich alles mit Rotwein ablöschen (so viel Rotwein, bis das Fleisch zugedeckt ist). Alles auf kleinem Feuer 5⁄4 Stunden schmoren lassen.

Kalbshaxe auf Teller anrichten. Die gut verrührte Sauce darüber nappieren. Und alles mit frischem Prezzemolo oder Peterli und fein geraspelter Zitronenschale abschmecken und dekorieren.

Buon appetito!

Rezeptkategorie: 
Freitag, 13. Mai 2005