Tante Amélie

Amélie Schlumberger hätte das Kind gerne erwürgt.
Seit 30 Minuten brüllte der Schreihals nonstop. Und seit zwei Stunden stahl er ihr die Schau.
DABEI WAR ES AMéLIES GEBURTSTAGSFEST! Und der kleine Scheisser ein schreiender Störfaktor.
FÜR DIESES NERVIGE «GOTT IST DER ABER SÜSS»-GEFLÖTE, DAS GLEICH ZU BEGINN DES FESTES UM DEN BUBEN ANHOB, HATTE SIE WEISS GOTT NICHT DEN SAAL DES ZOO-RESTAURANTS GEMIETET! (und dazu noch das drittbeste Menü ausgewählt? man wurde schliesslich nur einmal 90!).

Erschienen am: 
Montag, 16. September 2013

Tag der Mütter

Am Sonntag ist Muttertag.
SCHÖN SO. In Italien und Spanien gibts auch einen Vatertag. So weit sind wir hier noch nicht. Die Emanzipation hat bei Mamma haltgemacht. Da auch meine Mutter für einmal von der Plackerei des Kochens verschont werden sollte, wurde der schwere Ball meiner Tante Gertrude zugespielt. Sie war kinderlos. Also KEINE Mutter. Und somit nicht dazu bestimmt, den zweiten Maiensonntag mit der Hand im Schoss herumzusitzen.
Vater schob uns jeweils einen Zweifränkler zu: «Habt ihr etwas für Mamma?»

Erschienen am: 
Montag, 4. Mai 2009

Szenen

Szenen waren Vater verhasst.
«Mach keine Szene!», wies er Mutter in Schranken, wenn er auf Touren ging und sie sich theatralisch in sein Seil warf («Oh, geliebter Mann, weshalb muss es immer die Jungfrau sein?»).
«Werd mir nicht wie deine Mutter?», fuhr er mich an, wenn ich jammernd seine roten Socken umklammerte: «Ach Vater, Vater, bedenkt der armen Waise, die Ihr beim Absturze zurücklässt?»
Mutter hatte das Theatralische in den Genen. Ich den Spruch von Courts-Mahler?

Erschienen am: 
Montag, 3. September 2007

Süsser Traum

Milli? eigentlich Emilie, aber kein Mensch rief sie so ?, Milli stand vor dem Konditorei-Schaufenster. Milli seufzte. Sie sah ein Tablett mit gelblichen Diplomats. Der Konditor hatte die Crème Patissier mit kandierten Früchte-Carrés gespickt. Und in gefälteltes Papier abgefüllt.
Milli atmete schwer. Und versuchte, eisern zu bleiben. Sie merkte, wie sie energisch den Kopf schüttelte. Aber unsichtbare Kräfte zogen sie ins Geschäft.
«Dlingdlang»? freute sich die Türe. Sie war das einzig Erfreute.

Erschienen am: 
Montag, 4. November 2013

Sudoku zum Frühstück

Sie sassen beim Frühstück.
Kaffee gabs in der Kanne. Filterkaffee. Sie kannten es nicht anders. Und sie wollten es nicht anders.
Er las die Zeitung. Sie setzte Zahlen ins Sudoku.
Schüttelte den Kopf. Biss auf den Bleistift. Gummelte eine Ziffer aus. Schüttelte wieder den Kopf, so dass sich einer der sechs groben Lockenwickler auflöste.
«Es hat schon genug Butter im Zopf, Karli...», sagte sie ohne aufzuschauen.
Karli hatte sich die weisswattige Brotscheibe fingerdick gestrichen. Legte mit Konfitüre nach.

Erschienen am: 
Montag, 12. März 2012

Streik

Heute Morgen habe ich mir vorgenommen zu streiken! Ich wollte, dass Sie hier eine Kolumne ohne Worte und Ausrufezeichen vorfinden. Oder allerhöchstens zwei, drei Parolen wie: «NUN IST ABER GENUG HEU UNTEN!» Oder: «AUCH SCHREIBER SIND MENSCHEN!» Wie gesagt: Mir war sehr nach Streik zumute. Seit um mich herum alles streikt, streikt in mir der Wille, als Einziger noch den Tschumpel für alle zu machen. NICHT MIT MIR! (Das wäre die dritte Parole).
Also? eigentlich wollten wir an die Hochzeit meines lieben Neffen in Paris.

Erschienen am: 
Montag, 10. Dezember 2007

Stinkefinger

Es war nach der italienischen Grenze.
Innocent wurde still. Und stiller.
UND SO ETWAS KENNT KEINER AN IHM.
Ansonsten ist er als Beifahrer das, was man am liebsten narkotisieren würde. Immer ein paar unnötige Ratschläge drauf: «ACHTUNG... Du bist zu schnell... FAHR NICHT SO WEIT RECHTS... ja kannst du diese Kurve nicht enger nehmen... HAAAALT, DER KOMMT RAUS? OHNE ZU BLINKEN!»
(Innocent kurbelt das Fenster runter... zeigt Stinkefinger... brüllt: «Vermaledeite Pfeife!»)

Erschienen am: 
Montag, 22. Juni 2009

Stimmenfänger

Walter stolperte durch den Wald.
Seine Augen fixierten gebannt das iPhone.
Er wartete auf das Vögelchen ? so wie er als Kind darauf gewartete hatte, als die Erwachsenen ihm beim Schiessen der Familienfotos vorlogen, es flöge jetzt aus der Fotokamera.
HEILIGER DÜNNPFIFF ? WAR ER DAMALS BLÖD GEWESEN!
Jetzt, mit 78 Lenzen, war er also wieder bei den gefiederten Freunden angelangt. Seine Enkelin Tina hatte ihn auf die App aufmerksam gemacht: «Du bist doch ein Naturfreund, Opi ?»

Erschienen am: 
Montag, 8. Juli 2013

Sternstunden

Es war nicht Odettes Morgen.
Miranda hatte es prophezeit. Genau so.
NIEMAND VERSTEHT ODETTE BESSER ALS MIRANDA. DENN MIRANDA IST ODETTES KARTENLEGERIN.
Eigentlich hätte Odette gerne Mike Shiva gehabt. Aber bei dem war sie nie durchgekommen. Mirandas Nummer aber war frei gewesen: «... du steckst in einer tiefen Krise», hatte sie ihr erstes Gespräch eröffnet. «In dir ist eine wirbelnde Unruhe... wie ist dein Name?»

Erschienen am: 
Montag, 15. August 2011

Starker Kaffee

Walter drückte auf START.
Die Lichter erloschen. Und am Frühstückstisch hörte Elsie ein verzweifeltes: «VERDAMMICH!»
«Was ist?»
«Die Kaffeemaschine hat den Geist aufgegeben...»
«Ich habs ja gleich gesagt!»
Walter schlurfte schlecht gelaunt zum Mager­joghurt und dem «Du darfst»-Aufschnitt: «Was hast du gleich gesagt?»

Erschienen am: 
Montag, 14. Januar 2013

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