Stimmenfänger

Walter stolperte durch den Wald.
Seine Augen fixierten gebannt das iPhone.
Er wartete auf das Vögelchen ? so wie er als Kind darauf gewartete hatte, als die Erwachsenen ihm beim Schiessen der Familienfotos vorlogen, es flöge jetzt aus der Fotokamera.
HEILIGER DÜNNPFIFF ? WAR ER DAMALS BLÖD GEWESEN!
Jetzt, mit 78 Lenzen, war er also wieder bei den gefiederten Freunden angelangt. Seine Enkelin Tina hatte ihn auf die App aufmerksam gemacht: «Du bist doch ein Naturfreund, Opi ?»
«Na ja», räusperte er sich.
(Er war eher der Typ, der Natur kulinarisch zu würdigen wusste: die herrlichen Rebberge im Glas ? das fröhliche Entchen à l?Orange ? die Berge geschlagen in Vollrahmform.)
«? da gibt es auf deinem iPhone ein Programm:?HAPPY BIRD?.»
Was die neuesten Apps betraf ? da war Walter total heiss drauf. Myrtha konnte seine Begeisterung «für diesen elektronischen Müll, der unsere Herzen vereinsamen lässt» (ihre Worte), nicht teilen. Sie hühnerte noch immer zum Festanschluss. Doch Walter war stets auf die neusten Computer- und Telefontechniken abgefahren.
«Legt meinem Alten die Bardot und ein neues Computerprogramm ins Bett. Er wird die Bardot liegen lassen. Und am Laptop rumspielen ?», dies hatte Myrtha ihrer Frauenrunde prophezeit. Sie hatten freundlich gelächelt. Nun ja ? die Bardot war eben nicht mehr so aktuell wie die neuste App auf iPhone ?
Nun hatte Walter also für sechs Franken «HAPPY BIRD» runtergeladen. Man musste das iPhone ganz einfach gegen die Vogelstimmen halten. Dies mindestens 40 Sekunden lang. Blinkte ein lachendes Vögelchen auf, konnte man den OK-Knopf drücken. Und es erschien der Name des fröhlichen Piepsers auf dem kleinen Bildschirm.
ABER HALLO ? WENN DAS NICHT DER ­HAMMER WAR!
Walter war also auf Stimmenfang. Er tapste durchs Geäst. Streckte das iPhone dahin und dorthin. Und wartete darauf, dass auf seinem Telefon ein lachender Vogel auftauchen würde. Doch es gab ein Handicap: Walters Gehör hatte arg nachgelassen. («Er ist stocktaub!», hatte Myrtha bei den Frauen Gift versprüht, «ich könnte auch zu einer Toilettenschüssel reden!») Tatsächlich konnte Walter das Gezwitscher auf den Ästen nicht richtig ausmachen. Aber s e h e n konnte er die Vögel. Also streckte er sein iPhone in ihre Richtung.
Genervt flogen sie davon.
SO ERSCHIEN DER «HAPPY BIRD» NIE AUF DEM BILDSCHIRM.
«Verdammich ? und dafür habe ich sechs Franken hingeblättert», knurrte der Stimmenfänger gereizt.
Plötzlich blieb er abrupt stehen: «E N D L I C H !! ? DAS WAR EIN GERÄUSCH, DAS SELBST SEINE LÄDIERTEN OHREN WAHRNEHMEN KONNTEN! Dieser Vogel hatte wenigstens noch Pfiff.
Walter streckte das Handy aufgeregt in die ­Richtung, wo er den fröhlichen Pfeifer vermutete.
UND BINGO ? zum ersten Mal blinkte der «HAPPY BIRD» auf. Er hatte den Vogel identifizieren können.
«Na also», sagte Walter zufrieden. Stolperte über eine Buchenwurzel. Und verstauchte sich den Fuss.
«VERDAMMICH!»
Das «HAPPY BIRD»-Piepserchen blinkte noch immer, als Walter stöhnend den OK-Knopf drückte. Sofort gab es die Identifikation bekannt: MOTORRADGERÄUSCH!
PS: Gottlob hatte Walter auch eine App, die ihn mit dem nächsten Notfalldienst verband ? ein lachender Bernhardiner, an dessen Schwanz die Rotkreuzfahne wedelte ?

Montag, 8. Juli 2013