Muttertag

Er hatte nicht angerufen.

Den ganzen Sonntagmorgen hatte Herta auf sein Telefon gewartet.

Sie hatte den kleinen Apparat angestiert. Ihn ­hypnotisiert: «Lass Ralf daran denken … lass Ralf daran denken!»

Aber sie wusste: Es war umsonst.

Ralf dachte nur an sie, wenn er Geld brauchte.

Das Schlimmste war das Heim.

«Du hast es gut», hatte ihre Freundin Lore geseufzt: «Keine Geldsorgen. Alles wird erledigt. Null Probleme …»

Erschienen am: 
Montag, 11. Mai 2015

Von hippen Kindernamen und Maikäfern

Illustration: Rebekka Heeb

Jörn schrie Zetermordio. Und wenn ein Kind schreit, gehen meine Nackenhaare hoch wie Omi Meier, wenn wir sie auf die Wippe liessen.

«Dläääfer … Dläääfer!», brüllte der Kleine.

Er hat einen Sprachfehler. Ich meine: Ein normales Kind kann sich mit 48 Monaten deutlicher artikulieren – etwa: «Hallo, Aufmerksamkeit – ich sehe einen Käfer!» Aber nein! Jörn kreischt sein hohes C. Und : «Dlääfer… Dlääfer!»

Erschienen am: 
Dienstag, 5. Mai 2015

Auf der Post

Esther stand in der Post.

Sie wartete jetzt bereits eine halbe Stunde.

Ihre Halsader schwoll an wie eine Dampfnudel.

Es war ein Tohuwabohu wie im türkischen Bazar. Und natürlich: nirgends ein Sitzbänkchen. Aber Verkaufsständer noch und noch.

Statt zu sitzen, konnte man jetzt auf der Post ­«Bestseller» einkaufen. Sie boten auch Barbie-Puppen, Mundpastillen, Klebebänder und ­Feuchttüchlein feil...

Erschienen am: 
Montag, 4. Mai 2015

Spargelsalat Aphrodite

Zutaten:

1 Pfund grünen Spargel
1 Pfund weissen Spargel
3 EL Pinienkerne
2 Mangos (Thai oder Brasilianische)
Olivenöl
1 Orange
Peterli
Zucker
Salz
Aceto di Modena

Zubereitung:

Spargel putzen, die weissen Spargel schälen und beide Sorten in Würfel schneiden.
Die Würfel im Wasser, welches man zu einem Teil salzt und zu zwei Teilen zuckert, aufkochen
lassen.
Nach 3 Minuten Kochzeit vom Herd nehmen und im Wasser abkühlen lassen.

Negroni sbagliato und ungemachte Hotelbetten

Illustration: Rebekka Heeb

Die Hotelhalle war lärmig. Und voll. ÜBERVOLL. Ernestine hatte mir den klosterähnlichen Kasten empfohlen: «Du bist nur ein Taschentuch breit von da Vincis ‹Abendmahl› entfernt. Und das Frühstücksbuffet bietet auch handwarme Früchtekuchen…»

Eigentlich kann ich mich immer auf Stinchens Tipps verlassen. Als sie sich mit 27 Jahren von ihrem dritten Mann scheiden liess (und wie schon bei den Vorgängern ganz zünftig abkassierte), meinte sie: «Also das mit den Männern habe ich jetzt gesehen – aber die Welt noch nicht…»

Erschienen am: 
Dienstag, 28. April 2015

Computerpannen

Die Frau blieb vor dem Auto stehen.

Sie trug etwas in den Händen, das wie ein klobiges iPhone aussah.

Anne hasste Computertechnik. Sie war noch das einfach gestrickte Dummi von gestern.

Früher hatten die Serviertöchter in den Beizen einen kleinen Notizblock gezückt. Und die Bestellungen aufgeschrieben: «Ein Mineral, zweimal Menü 3».

Heute wurden die Wünsche mühsam mit Stift­nadel in einen Kleincomputer eingetickert.

Erschienen am: 
Montag, 27. April 2015

Michael Goldberg: «Ich brauche Zeit, um heimkommen zu können»

Wir treffen uns zum Apéro im «Adlon».

Longdrinks. Auf exotischer Fruchtbasis.

Dazu Knabbernüsschen.

Ich hoovere die Schale alleine rein.

Michi Goldberg ist vernünftig: «Ein Schauspieler muss auf seine Gesundheit achten. Und auf seinen Körper. Es ist sein Material. Und sein Kapital…»

O. k. – das zweite Erdnussschälchen lasse ich stehen.

Erschienen am: 
Dienstag, 21. April 2015

Vollrasur

Die Zeit warf dunkle Schatten auf ihn.

Fritz betrachtete sich im Badezimmerspiegel. Und was er sah, liess ihn erschaudern: eine Frybourger Weidenkuh in Männergestalt.

«BIIIIEEENE!» – das war Alarmstufe eins. Sonst rief er sie «Bienchen». Aber jetzt «BIIIEEENE!».

Sie surrte sofort herbei.

Erschienen am: 
Montag, 20. April 2015

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