Auf der Post

Esther stand in der Post.

Sie wartete jetzt bereits eine halbe Stunde.

Ihre Halsader schwoll an wie eine Dampfnudel.

Es war ein Tohuwabohu wie im türkischen Bazar. Und natürlich: nirgends ein Sitzbänkchen. Aber Verkaufsständer noch und noch.

Statt zu sitzen, konnte man jetzt auf der Post ­«Bestseller» einkaufen. Sie boten auch Barbie-Puppen, Mundpastillen, Klebebänder und ­Feuchttüchlein feil...

«...bald auch biologischen Rosenkohl», knurrte Esther zu einer Frau, die mit einem Stapel Briefe ebenfalls auf das Aufleuchten ihrer «JETZT BIST DU DRAN!»-Nummer wartete.

Die Frau zuckte die Schultern: «Was wollen Sie? Wir leben in einem Land, wo die Politiker immer von ‹unglaublichen Dienstleistungen› schwafeln. Diese Dienstleistungen sind wirklich unglaublich – nämlich nirgends mehr. Wir blechen stets höhere Steuern. Immer noch saftigere Preise für Bahn, Post, Abfallsäcke. Was aber passiert? Das dumme Volk macht alles selber!»

Die Frau geriet in Fahrt: «Du druckst dir dein Bahnbillett daheim... scannst das Postpaket selber ein. Und... ich glaube, das sind Sie!», sagte sie jetzt. Sie hatte auf Esthers Zettelchen mit der 376 geschielt.

Tatsächlich – da blinkte rot die 376 auf dem ­Monitor – Esthers «JETZT BIST DU DRAN»-­Nummer.

Plötzlich knatterten Maschinenpistolen. Esther wollte sich schon auf den Boden werfen. Da merkte sie: Computerspiel!

Eine geplagte Mutter hatte ihren Kindern zwei dieser Apparaturen in die Hände gedrückt, bei denen man Kriege mit dem Zeigefinger führen kann.

«Bitte», sagte die nette Frau am Schalter.

Esther riss sich zusammen: «Also. Es ist so: Seit einer Woche bekomme ich Post...»

«Wie schön für Sie», seufzte die Frau hinter der schusssicheren Scheibe. «Sie können sich ja gar nicht vorstellen, wie viele hierher kommen, weil sie keine Post mehr bekommen...»

«Aber bei mir ist das falsch, liebe Frau... Frau...» Esther linste auf das Namensschildchen, «Frau Niggli». Ich lasse mir nämlich meine Post in das Büro meines Mannes umleiten. Wir sind beide kaum mehr in der Schweiz und...»

«Wie schön für Sie», lächelte Frau Niggli. Und «Seit wann geht das so?»

«Was so?»

«Das mit der Umleitung!»

«Seit mindestens sechs Monaten...»

Frau Niggli nickte: «Ich will mal das Programm starten... Sie müssen sich ein bisschen gedulden... unsere Computer sind alles AHV-Modelle, haha...»

Eins war klar. Frau Niggli entpuppte sich als Frohnatur – schusssicher abgeschirmt.

«Ihr Nachname bitte?»

«Esterhazy»

???

Dann: «Wie schreibe ich das?»

Esther kritzelte den Namen auf einen Papier­fetzen: «So!»

Die Schalterfrau strahlte: «Das ist ja ganz einfach. Sie sollten mal die chinesischen Namen erleben. Und dann erst die slowakischen. Also zum Piepen, sage ich Ihnen. Und man weiss nie, was ist hinten und was vorne...»

Sie machte eine Pause: «Ist der Hazy nicht mit -S-? Das war nur ein Scherzchen... haha!»

Gegen Abend erfuhr Esther Esterhazy über den AHV-Computer der fröhlichen Frau Niggli, dass die Post den Vertrag vor drei Monaten ­aufgekündigt hatte. Die Preise für Umleitungen seien nun wesentlich teurer. Und es brauche ein neues Formular. Und ein neues Kunden-Abkommen...

«...und was machen wir jetzt?», lachte die ­schusssichere Frau Niggli.

Esther zählte auf zehn. Dann: «Geben Sie mir einen Scotch-Kleber. Und drei Pfund Rosenkohl. Aber biologisch.»

Montag, 4. Mai 2015