In Österreich gehören Vanillekipferl, in Tschechien Lebkuchen aufs weihnachtliche Backblech
Adventszeit – das ist der Moment der süssen Düfte. Und die nächste Ladung mit Brunsli (in Basel das beliebteste Weihnachtsgutzi) und Dootebainli, welche aus dem Ofen und in die diversen Blechkisten abgefüllt werden. Die Renner in deutschschweizerischen Gefilden sind klar: Mailänderli, Zimtsterne, Änisbrötli (in dieser Reihenfolge).
Manche Grossmütter backen noch ihre Geschichten dazu aus, wie sie nach dem Krieg («endlich gabs wieder alles Material in den Regalen!») bis zu zehn Sorten gebacken hätten. Die Euphorie wurde dann bald einmal durch predigende Ernährungspäpste gestoppt: «Kein Zucker… Rüebli statt Brunsli!»
Und seit auch die Zahnärzte ins selbe Trübsalhorn blasen, findet man kaum mehr private Schweizer Backhände, die auf Weihnachten hin Teig kneten. Und dann die verschiedenen Traditions-Gutzi Helvetiens aufs Blech schieben.
Ganz anders handhaben es da unsere Nachbarn in Österreich – oder gar eine Grenze weiter: die Tschechen. Wien und Prag sind Hochburgen der Zuckerbäckerei – die Tschechen sind berühmt für ihren Pernik – diesen Lebkuchen, der nicht nur zur Weihnachtszeit geknetet wird, sondern den auch der Osterhase in ovaler Eiform ins Nestchen legt.
Die Wiener hingegen können es ohne Vanillekipferl nicht machen. Noch heute ist das Vanillekipferl das beliebteste österreichische Naschkonfekt zur Weihnachtszeit. Doch wird auch noch daheim gebacken? Stehen die Prager Hausfrauen und Wiener Hausmänner an der Teigschüssel? Kneten sie zur Adventszeit wirklich auf Teufel komm raus Weihnachtsgebäck?
Wer backt die besten Lebkuchen?
«Du spinnst!», sagt mein tschechischer Freund Pavel, der mit Augenwasser von den Linzer Küchlein seiner von Gicht geplagten Mutter schwärmt. «Die Konditoreien nehmen den Tschechen von heute die Arbeit ab. Viele Frauen haben einen Fulltime-Job. Ihre Männer auch. Das Leben ist für die Familien in den letzten zehn Jahren teuer geworden. Speziell in Prag. Also müssen beide Teile – Mann und Frau – einem Job nachgehen.»
Nach dem Malochen holen die Tschechen ihre Kinder aus der Schule oder von der Kita ab. Das ist Stress. Da haben sie weder Lust noch Zeit nach Feierabend mit Teig rumzuwerkeln. Also kaufen sie die Weihnachts-Plätzchen auf dem Land, wo das Leben etwas einfacher ist. Und die Frauen noch backen.
Oder sie gehen wie wir jetzt auf den Markt. Und in die Konditorei…
Pavel führt mich zum Weihnachtsständchen etwas ausserhalb des Zentrums von Prag – ins Quartier Kyie. Die Buden bieten Festtags-Freuden an: Bienenwachskerzen… Holzkellen… Hirschwürste… verschneite Baumkugeln: «Die Lebkuchen-Hauptstadt Tschechiens ist das ostböhmische Pardubice», sagt Pavel. «Hier erküren wir jedes Jahr einen Lebkuchen-König und eine Lebkuchen-Königin. Es ist nicht etwa eine Miss- oder Mister-Beautiful-Wahl. Es geht darum, wer den besten Lebkuchen backt…»
Die böhmischen Lebkuchen sind berühmt für ihre filigranen Verzierungen. Zdenka zeigt an ihrem Stand, wie sie die braunen Küchlein mit Zuckerglasur (Eiweiss und Puderzucker) verziert. Das Ganze sieht aus, als würde sie die Lebkuchen-Fische, -Glocken oder -Männchen mit feinster St. Galler Spitze umhüllen. Hauchzart, wie die Spinne ihre Fäden, zieht sie die Zuckerglasur aus ihrem Spritzbeutel über das Gebäck: «Als Kinder haben wir zu Hause auf Weihnachten und Ostern hin Lebkuchen gebacken. Das Verzieren war stets das Tollste – wir wetteiferten darum, wer die schönsten Lebkuchen kreieren konnte.»
Zur Weihnachtszeit werden in Prag fast überall verzierte Lebkuchen angeboten. Auf die grösste Auswahl an kostbarster Zuckerdekorations-Kunst stösst man im Gingerbread Museum an der Nerudova 9. Das Lebkuchen-Museum ersteht die schönsten und bunt verziertesten Exemplare zumeist von den Bauernfrauen auf dem Land. In den Sommermonaten kaufen die Touristen im Museums-Shop ein – vor Weihnachten boomt dann der Laden mit Tschechen, die mit dem bunten Gebäck ihren Weihnachtsteller verschönern wollen.
Was gehört auf einen tschechischen Gutzi-Teller? «Sicher die Vanillehörnchen, Pratzen und Linzer», sagt Pavel.
Die Vanillehörnchen (Vanilkové rohlicky) findet man überall in der böhmischen Backstube. Die Pratzen (Pracny) sehen aus wie Tigerkrallen und schmecken je nach Rezept nach Schokolade oder Kokos. Und die Linzer haben mit dem uns bekannten Linzertörtchen nichts gemein, sondern eher noch mit den Spitzbuben. Nur, dass hier statt kleine Kreise Sternchen und Möndchen ausgestochen werden. Die Konfitüre zwischen den beiden Biskuitlagen ist meist Himbeer- oder Johannisbeer-Gelee.
Prag zählt unglaublich viele Konditoreien. Man nennt sie hier Cukrarna – und spätestens ab Ende November übertrumpft jede die andere mit einem noch reicheren Sortiment an Weihnachtsgebäck. Zehn verschiedene Sorten sind das Mindeste. Dabei wird das Gebäck sehr klein ausgestochen, etwa einen Drittel so gross, wie unsere traditionellen Zimtsterne oder Anisbrote.
Tschechen sind Süssmäuler
In der Cukrarna Saint Tropez, in einer der zahlreichen Jugendstil-Einkaufshallen der Moldaustadt, werden auf Weihnachten hin über 15 Gutzi- Sorten in Miniaturgrösse angeboten. Geschäftsführer Jiri Nosal führt aus: «Zwar backen die meisten Tschechen ihr Weihnachtsgebäck nicht mehr selber – aber verzichten will dennoch keiner darauf. Wir Tschechen sind Süssmäuler… besonders zur Festtagszeit.»
In Wien bestimmt vorwiegend das Vanillekipferl die Zeit auf Weihnachten. Es ist im böhmischen Raum das beliebteste Gebäck zum Advent. Seit mehr als 100 Jahren werden die kleinen Dinger bei Demel, der K.-u.-k.-Konditorei hergestellt – Dietmar Muthenthaler, Chef des renommierten Hauses, hat klare Vorstellungen von seinen 200 000 Kipferln, die hier aus dem Ofen gezogen und sofort mit Vanillezucker bestreut werden, «damit der von der Hitze noch etwas schmilzt. Wir beginnen mit der Produktion auf Allerheiligen hin. Keinen Tag früher. Und wir hören an Silvester damit auf. In diesen zwei Monaten backen wir gut 900 Kilo. Wenn man bedenkt, dass jedes Kipferl nur 4 Gramm schwer und kaum fingernagelgross sein darf, ist das enorm viel. Und alles Handarbeit. Jedes Kipferl wird Stück für Stück über den kleinen Finger gedreht…»
19 Zuckerbäcker und 10 Lehrlinge schauen, dass die Wiener zur Adventszeit und fürs grosse Fest zu ihrem Naschwerk kommen. «Im Sommer bieten wir 40 Sorten Teegebäck an – zur Weihnachtszeit sind es dann 60 Sorten Weihnachtskonfekt», sagt Muthenthaler. «Gut 7 Tonnen gehen da über den Ladentisch – nichts ist maschinell hergestellt, alles handgefertigt. Ein enormer Aufwand… aber eben Wiener Tradition.»
Beliebt ist Demels «Baumschmuck» – Köstlichkeiten aus Schokolade oder Fondant, die man an die Weihnachtstanne hängen kann. Da gibts aber auch winzige Schneekugeln aus Meringue (ebenfalls zum Aufhängen), die in Staniol gewickelten Demel-Taler und natürlich den traditionellen Weihnachtsbaum aus Lebkuchen, neben Weihnachtsstollen und Gewürzgugelhupfen.
Man denkt, so viel Handarbeit kann gar nicht rentieren und ist bei Demel nur möglich, weil Attila Dogudan mit seinem Konzern dahinter steht …«Gar nicht!», wehrt Muthenthaler ab, «unser Betrieb hier schreibt seit einigen Jahren schwarze Zahlen. In den ruhigeren Sommermonaten arbeiten wir vor. So machen wir dann unsern eigenen Vanille-Zucker aus den Stängeln aus Tahiti. Wir kochen die Konfitüren für die Gelees ein, kandieren das Obst – es ist alles eine Frage der Organisation…»
Tatsächlich wirkt der alte Demel wie ein Stück aus der Weihnachtswerkstatt vom Nikolaus: winzige Zuckerkringel, Schokoladen-Engelchen und Nonpareilles-Sternchen werden in Schächtelchen verpackt (Demel beschäftigt alleine für die Verpackung seiner Weihnachts-Zuckersachen 14 Leute).
«Und Sie? Können Sie die Kipferl und all das Naschwerk am Heiligen Abend noch goutieren…?» Muthenthaler lacht: «Am Heiligen Abend geniesse ich den Kretzen, so wie ich ihn aus meiner Jugendzeit kenne: ein einfaches Früchtebrot. Da wird ganz wenig Schwarzbrotteig mit vielen gedörrten Früchten, Nüssen und Mandeln, die man ganz fein schneidet, gemischt… eine österreichische Tradition, die man aber fast nur noch auf dem Land antrifft!»