Von der etwas anderen Puppe unter dem Baum

Illustration: Rebekka Heeb

Wir waren Weihnächtler.

ALLE.

Etwas Schöneres kann einem Kind nicht passieren.

(AUCH WENN DIE MIESMACHER HEUTE DAGEGEN MECKERN. UND MEINEN, MAN SOLL DIE KLEINEN VOR DEM BÖSEN KONSUM FERNHALTEN – ICH LIEBE ES, DIE DINGE AUF WEIHNACHTEN HIN KRACHEN ZU LASSEN.)

Also: Es muss mir keiner mit der ausgelutschten Leier «zu unserer Zeit hatten wir noch Freude an ein paar Strümpfen!» kommen.

Erschienen am: 
Dienstag, 11. Dezember 2018

Der Seiltänzer

Louis fiel der Ball aus der Hand. Mühsam setzte er sich auf.

Er war zu schwach, die kleine, runde Gummikugel vom Boden aufzulesen.

Also klingelte er Eva.

Eva war seine liebste Krankenschwester. Wenn sie ihn mit ihren warmen Augen anstrahlte: «Louis – hast du geübt? Der Zirkus wartet!», da war er fast glücklich.

So glücklich, wie es einem achtjährigen Buben mit Leukämie möglich war.

Erschienen am: 
Freitag, 7. Dezember 2018

Klausentag

«HAMMER!» – Luc betrachtete Sven.

Der hatte sich den weissen Rauschebart umgebunden. Und posierte in seinem roten Klausen-Outfit.

«DIE WEIBER WERDEN AUF UNS FLIEGEN!», rieb er sich die Hände. Und zitierte Goethe nach seiner Art:

«Einen geilen Klaus

Küsst doch jede Maus!»

Das Ganze war Svens Idee gewesen.

Dieser hatte Zoff mit der Freundin.

S i e wollte ein Kind.

E r nicht.

Sven hatte klar argumentiert: «Dann sind wir gebunden, Liz… Kinder verlangen den Alten alles ab.

Erschienen am: 
Freitag, 30. November 2018

Von den kommenden Adventsfreuden

Illustration: Rebekka Heeb

DER ADVENT STEHT VOR DER TÜR.

Und Innocent steht in der Küche.

Genervt schüttelt er seinen Gehstock:

«ALT WERDEN IST SCHEISSE – UND WER DAS GEGENTEIL RUMERZÄHLT, LÜGT!»

«Nanana…»

Nun wird er erst richtig wütend.

Er hasst meine mahnenden «nananas».

«WIE SOLL ICH MIT DIESEN KRÜCKEN HIER UNSERE PASTETEN MACHEN – ERKLÄRST DU MIR DAS MAL? NA? NA? NA?»

Ich strubbele sein dichtes, weisses Haar.

Erschienen am: 
Dienstag, 27. November 2018

Burleske

Hildi werkelte geschäftig in der Küche herum.

SIE DRÜCKTE HALBIERTE ORANGEN AUF DEN ELEKTRISCHEN SAFTER – DER STÖHNTE NOCH EIN LETZTES MAL AUF. DANN BAUTE ER DEN INFARKT. Ein feines Räuchlein stieg aus dem Mittelteil des Apparats.

DAS RÄUCHLEIN KÜNDETE DIE KREMATION AN.

«Waaalti!»

Natürlich keine Antwort. Dabei hatte sie ihm eben erst gestern die Batterien frisch in die Ohren gelegt.

Drei Mal hatte sie ihn gefragt: «Laden wir am Klausentag die Kinder ein?».

Drei Mal war Sendepause gewesen.

Erschienen am: 
Freitag, 23. November 2018

Von königlichen Hunden und Zehennägeln

Illustration: Rebekka Heeb

Hotelfrau Hildegard von und zu Eisendorn – sie ist die Königin vom MERANER «Sissi-Hof» – segelt auf mich zu.

DIE GRÄFIN SEGELT IMMER.

Manchmal erinnert sie an ein Schlachtschiff, das anlegt und auf die Geldbeutel ihrer Gäste zielt.

Mitunter aber wird sie auch zu einem gemütlichen Kahn, der nach dem dritten Gläslein Sherry ins Schaukeln gerät.

Auf jeden Fall: Hildegard trägt Tracht. Immer Tracht. Sagen wirs so: trächtig prächtig.

Erschienen am: 
Dienstag, 20. November 2018

Frisierkommode

«Hans – ich brauche die Perlenkette!»

«Alles klar, Klara!»

Klara sass vor der Frisierkommode. Keine Frau sass heute mehr an einem Frisiertisch.

Klara schon.

Als Hans das alte Haus renovieren liess, als all die wunderbaren Nischen und Bögen einem geradlinigen Denken Platz machen mussten – da hatte Klara sich vor ihren Frisieraltar mit den drehbaren Spiegelflügeln gestellt: «HANS ÄNISHÄNSLI – DER HIER NUR ÜBER MEINE LEICHE!»

Erschienen am: 
Freitag, 16. November 2018

Vom Vollmond, Rilke und dem Käuzchen

Illustration: Rebekka Heeb

Nein. Nirgendwo ist der Vollmond voller als über dem Meer. SO RUNDUM VOLL! WUNDERVOLL VOLL.

Die gute alte Milchkugel macht wirklich einen guten Job. Voll geil!

ICH SCHMIEGE MICH AN INNOCENT.

O.k. Mag er nicht. ABER: GAR NICHT. Er mag überhaupt nicht, dass ich Intimes von ihm preisgebe.

Er meint, es sei seine Privatsphäre.

DOCH DAS KRATZT MICH NICHT. DAFÜR KRATZT MICH INNOCENTS PRIVATSPHÄRE AN DER BACKE.

«Du bist nicht rasiert, Schweini!»

Erschienen am: 
Dienstag, 13. November 2018

Die Briefe

Mimmis Puls klopfte.
Sie war jetzt 91 – Treppensteigen war in diesem Alter keine Zuckerwatte.
Im Estrich tanzte der Staub durchs Sonnenlicht.
Mimmi schnupperte.
Estriche schmeckten alle gleich – nach Teppichen, die eingerollt vermoderten. Nach Mottenkugeln und Kleidern in vergammelten Koffern – NACH ALL DEM ABGELEGTEN EINES LEBENS, DAS MAN VOR-ENTSORGTE.
Bei den meisten Dingen hatten die Leute Hemmungen, sie direkt wegzuwerfen: «Das können wir eventuell noch gebrauchen …»

Erschienen am: 
Freitag, 9. November 2018

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