Louis fiel der Ball aus der Hand. Mühsam setzte er sich auf.
Er war zu schwach, die kleine, runde Gummikugel vom Boden aufzulesen.
Also klingelte er Eva.
Eva war seine liebste Krankenschwester. Wenn sie ihn mit ihren warmen Augen anstrahlte: «Louis – hast du geübt? Der Zirkus wartet!», da war er fast glücklich.
So glücklich, wie es einem achtjährigen Buben mit Leukämie möglich war.
Sein Zimmer in der Spezial-Abteilung des Kinderspitals war fast schon Zirkuswelt: Plakate von Knie … ein Spitzhut vom weissen Clown …und eine kleine, bunte Spieldose, aus deren Plastikwelt Zirkusmusik losdonnerte.
«Vom Christkind wünsche ich mir silberne Glimmerschuhe – solche wie sie die Seiltänzer tragen …», hatte Louis seine Mutter bestürmt.
Vera hatte ihm über den Kopf gestrichen: «Ich werde es dem Christkind ausrichten…»
Vera lebte drei Bahnstunden von ihrem kranken Sohn entfernt. Mit ihrem Mann betrieb sie einen Wander-Zirkus in Frankreich. Nun waren sie im Winterquartier – nahe bei Strassbourg.
Louis war im Wohnwagen auf die Welt gekommen. Und mit all dem Zauber sowie den Problemen des «petit Cirque» aufgewachsen.
Als er mit sechs Jahren immer schwächer wurde, redete der Arzt Klartext: «Leukämie … in der Schweiz gibt es Spitäler, wo krebskranke Kinder besonders gut betreut werden …»
Also kam Louis in die Grenzstadt.
Wenn Vera mit dem Zirkus auf Tournee war, konnte sie ihren Kleinen wochenlang nicht besuchen. Es war Schwester Eva, die Louis dann tröstete: «Es wird werden, Louis … der Zirkus braucht dich!»
Und so träumte der kleine Elsässer seinen Traum: «Nicht auf dem Schlappseil … das ist für Babys…ich will aufs Hochseil… mit den Bällen jonglieren … Und ein silbernes Kostüm tragen …»
Eva hatte ihm über den kahlen Kopf gestrichen: «Du wirst ein wunderbarer Seiltänzer, Louis …»
Nun kam die Schwester ins Zimmer: «Ach, der Ball …!»
Sie hob ihn auf. Und strahlte den Kleinen an: «Hast du gesehen – das Christkind hat in der Nacht viele Bäume mit Lichterkugeln auf die Balkone gebracht …»
Louis nickte. «Ich glaube nicht mehr ans Christkind, Eva – aber meine Mutter darf das nicht wissen. Sonst bringt sie mir keine glimmrigen Seiltanzschuhe auf Weihnachten …!»
Er lächelte jetzt: «Wenn es ein Christkind gäbe, hätte ich einen ganz andern Wunsch …»
Eva tupfte ihm mit einem Tuch die Schweisstropfen vom Kopf: «Ich weiss, … aber wenn man fest an einen Wunsch glaubt, kann er in Erfüllung gehen. Das Leben ist immer Seiltanz, Louis …»
In der Nacht fühlte sich Louis plötzlich leicht. Und wohl. Die Schmerzen waren weg.
Er hüpfte aus dem Bett. Und drückte den Knopf an der Spieldose für die Zirkusmusik.
Unsichtbare Hände trugen ihn auf ein Seil – zögerlich wagte er die ersten Schritte … das Seil ging immer höher … ein Schrägseil, das zu den Sternen führte…»
«Ich komme …», lächelte Louis.
Und jonglierte mit den drei Bällen.
Als die Mutter am andern Tag im Spital erschien, stand Eva vor der Tür des Krankenzimmers. Sie weinte.
Die Mutter hielt zwei silberne Seiltänzerschuhe in den Händen.
Aus dem Zimmer ertönte Zirkusmusik …