DER ADVENT STEHT VOR DER TÜR.
Und Innocent steht in der Küche.
Genervt schüttelt er seinen Gehstock:
«ALT WERDEN IST SCHEISSE – UND WER DAS GEGENTEIL RUMERZÄHLT, LÜGT!»
«Nanana…»
Nun wird er erst richtig wütend.
Er hasst meine mahnenden «nananas».
«WIE SOLL ICH MIT DIESEN KRÜCKEN HIER UNSERE PASTETEN MACHEN – ERKLÄRST DU MIR DAS MAL? NA? NA? NA?»
Ich strubbele sein dichtes, weisses Haar.
Wenn ich auf Innocent eifersüchtig bin, dann immer nur auf diese Pracht von festen Locken. Dies noch mit 83 Lenzen auf dem Tacho: Die Beine lottern. Aber auf dem Kopf spriesst alles noch fest ins Juchee.
«Wir könnten die Geschenke doch streichen!»
ER SCHAUT MICH AN, ALS HÄTTE ICH IHM EINEN RITT AUF DEM KROKODIL VORGESCHLAGEN.
«Unsere Freunde warten auf meine Weihnachtsspezialität …und jetzt kommt einfach nichts? Nada? Niente?»
«MEIN GOTT – DIE WERDEN DOCH AUCH EINMAL MIT EINEM KÄRTCHEN ZUFRIEDEN SEIN!»
Er wedelt das Kärtchen energisch vom Tisch: «MEINE PASTETE HAT IHNEN STETS DAS FEST GEMACHT!»
Ich werde leicht säuerlich: «Jawohl… und 20 arme Gänse mussten dafür die Leber lassen. Vorher wurden sie grausam gestopft. Malträtiert, bis sie so fett waren wie Tante Martha ein Jahr nach der Hochzeit – UND DANN KAM DER SENSEMANN!»
«Bei Tante Martha?!»
«Nein – die lebt noch rüstig im Altenheim ‹zum Sonnenuntergang›.»
Aber die G ä n s e sind mause… UND WENN ICH AUCH KEIN TIERSCHUTZ-FUZZI BIN: DAS MIT DER LEBER GEHT EINFACH ZU WEIT!»
Innocent verdreht die Augen: «Ach ja? Du warst doch immer dafür, dass ich mich in dieser Küche stundenlang für unsere Freunde abrackere, um dann gross mit den Töpfchen anzugeben…»
O.K. WENN ER STINKIG IST, IST NICHT MIT IHM ZU REDEN. ALSO WARTEN WIR AB BIS NACH DEM «TATORT»!
Wir sitzen in der Stube. Innocent hat sich wieder einmal aufgeregt, weil er von der Kommissarin kein einziges Wort mitbekommen hat: «Die nuschelt doch, als hätte sie eine Packung Windeln auf der Zunge… weshalb lernen die heute keine Diktion mehr. Die Einzigen mit scharfer Diktion sind jetzt diese AfD-Politiker. Muss man sich ja nicht wundern, dass das Volk auf so etwas fliegt…»
Ich tätschle seine Fingerchen. Das beruhigt ihn. Im Grunde genommen ist Innocent wie der stets kläffende Nachbardackel von Hubers: Er will nicht beissen – er will einfach Aufmerksamkeit…
«WIR KÖNNTEN DOCH BACKEN?»
Er schaut entsetzt in meine Augen: «DAS IST JETZT ABER NICHT DEIN ERNST?!»
Nein. Ist es nicht.
Denn wir haben die Backerfahrungen bereits abgebucht – ein einziges Mal nur haben wir uns an Anisbrötli versucht.
Auf der Messe hatte ich traumschöne Model entdeckt. Schweineteuer. Ich hätte unsern Freunden auch einen Ferrari kaufen können.
Bei jedem Model lag ein ausgebackenes Beispiel: …das Spalentor mit seinen Figuren und Kanten , ...der Weihnachtsengel, frohblasend mit der Posaune, …das Blumenkränzchen mit Rosen, Anemonen, Veilchen…
WER KONNTE DA WIDERSTEHEN? ICH SAH UNS BEREITS MIT 50 BACKBLECHEN VOLLER BLASENGEL.
Da habe ich den Back-Ferrari eben gekauft.
Ich kaufte auch goldgewirkte Hanfsäckchen, um die Pracht später darin einzupacken. Dazu liess ich Seidenbänder mit Innocents (und meinem) Namenszug weben. Man gönnt sich ja sonst nichts – DAS WAR DIE GROSSE VORFREUDE, DIE JEDEN IM ADVENT MAL SO EINHOLT …
Schliesslich nahmen wir uns drei Tage frei und bauten die Küche zu einer Backstube um.
Onkel Crosbys säuselte die beiden Back-Fische in eine melancholische «White Christmas»-Stimmung (obwohl es frühlingshaft warm war).
Und der Duft von süsslichem Glühwein gab Innocent den richtigen Schub, den Teig wild zu kneten.
WIR WALLTEN AUS, WEISSPUDERTEN DIE BRAUNEN FORMEN, DRÜCKTEN SIE INS WEICHE, UND MUSSTEN SCHON BALD EINSEHEN, DASS ES EINFACHER GEWESEN WÄRE,UNSEREN LIEBEN BETTSOCKEN ODER KLO-ROLLEN-BEZÜGE ZU HÄKELN.
Irgendwie bekamen wir die schönen Bildchen einfach nicht hin – mal brach das Spalentor in sich zusammen… der Blumenkranz sah aus wie ein Grabschmuck, über den der Traktor des Bestatters gekommen war. Und das allerliebste Weihnachtsengelchen blies alles – nur keine Posaune.
«Im Ofen wird das dann schon o.k.» – versprühte Innocent Hoffnung. Aber er zupfte an seiner haarigen Nase (denn auch hier spriesst das Haar wunderbar). Und wenn Herr Innocent an der Nase zupft, weiss jeder: «DIE SITUATION IST BESCHISSEN!»
War sie auch.
Man hätte die abstrakten Anisbrötli vielleicht an Liebhaber der Moderne verschenken können. Aber unsere Freunde pennen alle mit Dürers «betenden Händen» über dem Bett.
«… Füsschen haben sie!», freute sich Innocent dann doch.
ES WAR DER HÄRTESTE ADVENT, DER UNS JE UNTER DIE ZÄHNE KAM! JEDEN TAG SAUGTEN WIR UNS VIER, FÜNF ENGEL WEICH, VON DENEN NUR W I R WUSSTEN, DASS SIE EINE POSAUNE BLIESEN …
«Noch so ein geistreicher Vorschlag?» – holt mich Innocent jetzt in die Wirklichkeit zurück.
NEIN. MIR FÄLLT NICHTS EIN, WOMIT WIR UNSERN FREUNDEN IN DIESEM JAHR EIN WEIHNACHTSGAUDI BEREITEN KÖNNTEN …
Wir stieren auf den Fernseher, in dem nun eine politische Runde über Frau Merkel herzieht.
«WIR HABEN NOCH SÜSS-SAURE ZWETSCHGEN…», assoziiert Innocent zum Thema. «Die könnten wir umschütten und in kleine Gläschen…» – Dieses Mal werfe i c h den Blick, als müsste ich auf dem Krokodil reiten!
Schliesslich seufzt Innocent in Richtung Merkel-Runde: «Wenn Politiker weniger giftig daherspritzen und einander stattdessen ein liebes Mutzeli geben würden, wäre die Welt besser…»
GEISTESBLITZ!
«Das ist es…», umarme ich ihn. «DU BIST GENIAL!»
Er lächelt geschmeichelt: «Bin ich immer – wie meinst du das?!»
HALLO FREUNDE – ICH BIN AM ARBEITEN FÜR EUCH!
HABE MIR DIE LIPPEN GRELLROT
GESCHMINKT. UND KÜSSE DAS HANDGESCHÖPFTE BRIEFPAPIER.
UNTER DEM ROTEN LIPPENABDRUCK STEHT IN SCHÖNSCHRIFT:
Gutschein für 10 Mutzeli im 2019!
Jawassagtihrjetzt?
P.S. Vielleicht kleistern wir noch ein Stanniol-Herzchen aufs Couvert…
Oder schenken eine Mundspray-Bombe dazu.
IHR SEID ES UNS WERT!