Von königlichen Hunden und Zehennägeln

Illustration: Rebekka Heeb

Hotelfrau Hildegard von und zu Eisendorn – sie ist die Königin vom MERANER «Sissi-Hof» – segelt auf mich zu.

DIE GRÄFIN SEGELT IMMER.

Manchmal erinnert sie an ein Schlachtschiff, das anlegt und auf die Geldbeutel ihrer Gäste zielt.

Mitunter aber wird sie auch zu einem gemütlichen Kahn, der nach dem dritten Gläslein Sherry ins Schaukeln gerät.

Auf jeden Fall: Hildegard trägt Tracht. Immer Tracht. Sagen wirs so: trächtig prächtig.

Auf der ganzen Pracht funkeln dann stets die Familien-Klunker der Frauenseite – wobei der eine oder andere Ohrclip dann und wann auch vom Gatten getragen wird. Rubine stehen ihm …

SEIT ÜBER 100 JAHREN IST DAS HOTEL IN DERSELBEN FAMILIE. UND DIE BETTWÄSCHE AUCH. SIE IST FEIN. UND DURCHGELEGEN – DIE FAMILIE. UND DIE BETTWÄSCHE.

Selbst die Kellner, die in ihren schwarzen Hosen und den speckig glänzenden Schwalbenschwänzen an polierte Krähen erinnern, sind alt. Aber sie passen so perfekt zum Inventar wie das Porzellan aus der ungarischen Königszeit.

ALLES OHNE HICK UND SCHRAMMEN.

Die Einzigen, die hier jeweils einen Zacken weghaben, sind die Gäste. Anders kommt man gar nicht in die Gnade, von der Gräfin eine Stube zu bekommen.

Als Gast wäre da beispielshalber die alte Baronin von Flotow.

Sie pfeift ihren Pudel mit einem schrillen «Baron von Eisenburg!» zu sich. Sie soll so auch ihren Alten zum Rapport geblasen haben.

Der Baron (also diesmal: ihr Hund) hat sich im Hotelpark an einen Dackel rangemacht. Und Frau Baronin scheisst ihn zusammen: «Baron von Eisenburg – das war ein Männchen! Dazu noch ohne Stammbaum!».

Das «Männchen» hätte sie dem Baron verziehen. Das «OHNE STAMMBAUM» nicht…

Wir finden so etwas natürlich urkomisch. Und kichern uns hinter den Servietten einen ab.

ABER HOTELFRAU HILDEGARD – wir dürfen sie nach 25 Jahren «Frau Hildegard» nennen – HAT UNS KÜHL AUSEINANDERGESETZT, DASS HUND UND ADEL SO ENG ZUSAMMENGEHÖREN WIE DAS DEGENERIERTE KINN ZU KÖNIGSFAMILIEN: «Die dänischen Hoheiten beispielshalber haben für ihre Hündchen neben dem Flughafen ein Rasenstück reserviert. WUSSTEN SIE DAS – NA EBEN!

Das Grasstück darf keiner betreten. Nur die königlichen Hundchen vor und nach dem Flug – damit deren Blase leer ist. Denn im Flugzeug gibts keine Rabatte… nur für Billigflieger-Pinscher, haha!»

Wir sehen: Frau Hildegard ist eine Frohnatur. Und mag keine Pinscher.

SIE HAT NOCH ANDERE DÄNISCHE BEISPIELE AUF LAGER: «Erinnern sich die Schweizer Herren noch an den Dackel von Königin Margrethe?»

DIE PINSCHER AUS DEM ALPENLAND HABEN KEINEN SCHIMMER.

«…der verschwand eines Tages im Wald. SCHRECKLICH. Die Landespolizei sowie die Luftwaffe suchten alles ab. Die Medien hatten ihr Fressen! Nur der arme Hund nicht. Er wurde wohl von einer Wildsau umgebracht.»

WIR LEGEN EINE GEBÜHRENDE SCHWEIGEMINUTE EIN.

Frau Hildegard tupft die Tränen aus den Augen.

«DER GATTE DER KÖNIGIN, PRINZ HENRIK, HAT DEM HUND DANN EIN GEDICHT GEWIDMET: «Du lieber, Du Besondrer, Du…»

«Hat er das nicht an seinen Kammerdiener geschrieben…» versuche ich es auf die lustige Art.

ABER FRAU HILDEGARD SCHICKT EINEN DERART PIKIERTEN BLICK, DASS DIE NOCKERL AUF DEM TISCH ERSCHROCKEN IN SICH ZUSAMMENFALLEN.

Nun gut – die Hunde sind hier im «Sissi-Hof» nicht das einzig Schrullige.

Da ist auch der alte Opernsänger Eduardo di Filippi. Noch mit 92 Jahren ist sein Auftritt beim Frühstücks-Ei perfekt: weisses Halstuch. Und bekümmertes Flüstern «Ich muss meine Stimme schonen… ich singe morgen den Cavaradossi… BRINGT MIR DAS EI!»

ER STEHT DANN AM TISCH. UND KIPPT EIN ROHES EI IN SICH HINEIN, WIE ANSTÄNDIGE LEUTE DAS JOGHURTFLÄSCHCHEN MIT DIESEN BAKTERIEN FÜR DIE MAGENFLORA.

Mizzi Vogel, bankrotte Bordell-Besitzerin aus Linz schmachtet ihn unter den falschen Nylon-Locken seufzend an: «Keiner eiert wie Sie, Maestro…!» Dann verlangt sie ein Autogramm. Und schiebt ihm ihre Zimmernummer hin.

SCHON LANGE WOLLTEN WIR UNSERE MERANER HOTELADRESSE WECHSELN.

Aber – wie Innocent immer sagt – «der Frass ist mies – die Show aber heiss. WIR KOMMEN WIEDER!»

Nun macht also Frau Hildegard wie alle Tage die Morgen-Honneurs. Sie trägt die Frühtracht, Biedere Baumwolle. Kein Samt-Seide-Ensemble.

«Wie gehts, die Herren…?»

EIGENTLICH WÄRE DIE OFFIZIELLE SPRACHE IN DIESEM LAND DER CINQUE STELLE UND TAUSEND REGIERUNGEN I T A L I E N I S C H.

Aber da pfeift Meran drauf.

Man parliert hier wie am österreichischen Hof. Ist und isst auch so.

Frau Hildegard gibt uns also die Ehre.

Sie setzt sich zu unserm Körbchen mit dem Schüttelbrot. Und bricht gedankenverloren ein Stück von den steinharten Fladen ab:

«ES IST NET AINFACH MET OLL DEN VERSCHIEDENEN DESIDERIEN DER GÄSTLEUT…»

Sie schaut jetzt fast drohend: «Y hoff, bei den Schweizer Herrschoften posst olles?»

PASST!

Nun flüstert sie zu Innocent: «Y find Ihr zwa Zehennägel so wos von narrisch guet…»

INNOCENT HÄLT DIE HAND ANS OHR.

Erstens versteht er nichts.

Und zweitens kapiert er nichts.

«DEINE ZEHENNÄGEL…», brülle ich, «SIE FINDET DIE HEISS…»

Innocent lächelt geschmeichelt: «Ja. Es ist speziell…»

SPEZIELL?!

Mich hat damals schier der Schlag getroffen, als er vor seiner Kniescheiben-OP von der Pedicure heimkam: links ein roter Zehennagel. Rechts ein blauer.

UND DAS WAR VOR DEM UNTERGANG DES FCB!

«Frau Hofer hat mir gesagt, das sei die offizielle medizinische Signalisierung für ‹linkes Bein› und ‹rechtes Bein›», rechtfertigte er den Spleen. Und kaufte gleich zwei Fläschlein Nagellack, um immer «frisch gestrichen» auftreten zu können.

Natürlich ist mir aufgefallen, dass die Menschen in der Schwimmhalle auf Innocents Füsse gestiert haben.

Und auch Anton, der alte Kellner, der beim Anblick des blauen Nagels aus den Birkenstock-Schlurben fast über Baron von Eisenburg (den Hund) gestolpert wäre, war ein Alarmzeichen.

Aber dass die Hotel-Königin jetzt bei uns am Brotkratten hockt und Innocent auf seinen Spleen anspricht, macht deutlich: Was zu viel ist, ist zu viel!

IN DIESEM MOMENT BRÜLLT TENOR EDUARDO NACH SEINEM EI.

Der Piccolo ist noch nicht vertraut. Und bringt ein hartes.

DER SÄNGER KNALLT ES AN DIE WAND.

Ich schaue auf Innocents blaue und rote Zehennägel.

Und spüre: Die Welt hier ist verrückt – aber wir sind in ihr liebevoll aufgenommen worden.

Dienstag, 20. November 2018