Alice betrachtete seufzend ihren goldenen Baum.
Es waren zwar noch vier Wochen bis zum Heiligen Abend.
Alice liebte die Adventszeit. UND DAS VOLLE PROGRAMM!
Deshalb kugelte sie früh.
Alice seufzte wieder.
Dieser Baum war nicht ihr Halleluja-Moment. Ganz und gar nicht.
Er war bieder rotkugelig.
ABER: Tante Tildy wollte es so: KERZCHEN, KUGELN, SELBST DAS ENGELSHAAR: ALLES ROT!
Alice träumte immer wieder von einer Tanne mit fröhlichen Kläusen, lachenden Elefanten – ABER NEIN: ROT!
Am Fusse des Baums warteten Krippenfiguren. Sie standen sich viel zu früh die Beine in den Bauch – ähnlich wie die Menschen in Provinzstädten, wenn Apple einen Shop eröffnete.
Das Schlimmste: bei den Königen, Hirten und Engeln handelte es sich um tönerne Gräuel. Jedes Jahr hat Tildy eine neue dieser Frankenstein-Figuren angeschleppt: «Die lieben Ureinwohner im Kongo haben sie damals eigenhändig für euren Onkel geformt. Immer auf Weihnachten hat der Gute so eine Figur heimgebracht: «Unsere Freunde im Alter, Tildy…», hat er stets gesagt. «So wurde es nach 22 ein wunderbares Ensemble rund um den kleinen Erlöser…»
WUNDERBARES ENSEMBLE? – FÜR ALICE WAR ES DIE HEILIGE ADDAMS FAMILY.
«Sie sind unglaublich robust!», schleimte Joel bei seiner Tante.
«Die Schwarzen haben sie stets mit Steinen gefüllt…», erklärte diese. Und: «So lieb, dass ihr wieder den roten Baum für mich gemacht habt…»
Der Baum wurde nicht aus Liebe gemacht. Sondern aus klarer Berechnung.
Denn: Onkel Sepp war Chef einer der grössten Diamanten-Minen gewesen. Die Familie munkelte: «Er ist steinreich.» Das Wort «steinreich» traf es wörtlich.
Als der Onkel dann nach einer üppigen Schlachtplatte ins Gras biss, hängte sich Tildy an ihren Neffen Joel. Sie versprach ihm den ganzen Reichtum, wenn sie mal die Radieschen von unten… Ihrwisstschon!
Dann überschlugen sich die Ereignisse: Der rote Baum war eben gerüstet, als Joel seine Alice per SMS alarmierte. «SIE IST TOT! – DER MITTAGSFISCH WAR ALT!»
Tildy tickerte zurück: «EIN HALLELUJA AUF IHRE SPARSAMKEIT – ICH RÜSTE SOFORT DEN BAUM UM!»
In der zweiten Adventswoche dann die Ernüchterung: von wegen Geld und Reichtum! Alles Angeberei… Tildy lebte von der AHV. Da war kein Gramm Erspartes…
Es schien, als mache sich die heilige Addams Family unter dem Baum in die Hosen vor Lachen.
Abend für Abend sassen Alice und Joel vor der Tanne, die bereits zu rieseln begann: «Er hatte doch Diamanten… die können sie bestimmt nicht alle verhökert haben…»
DIE HEILIGE ADDAMS FAMILY FAND DAS EINEN RIESENBRÜLLER!
Da packte Alice den krummen Josef am Kopf. Und warf ihn an die Wand: «Sooo – mit DEM Gräuel ist jetzt auch Schluss!»
Josef explodierte.
Der Kopf kugelte zu seiner Familie zurück – er hinterliess glitzrige Spuren: eine diamantene Sternenstrasse zum Kind in der Krippe.
Daraufhin wurde die ganze Addams Family an die Wand geschmissen.
Eine hochkarätige Festfreude!
Alice schleppte die roten Kugeln wieder an: «Ich finde, Tante Tildy hat dieses Jahr ihren Baum verdient, Joel!»
Die Addams Family wurde im folgenden Jahr durch ein Ensemble aus Brienz ersetzt. Handgeschnitzt.
ABER ETWAS BIEDER INHALTSLOS.
