Vom aufsässigen Kind und der Nikolaus-Fahne…

Illustration: Rebekka Heeb

Der 6. Dezember war nun nicht gerade das Fest, welches mir als zartem Buben das warme Herzchen fröhlich tanzen liess.
ICH MOCHTE DEN MANN AUS DEM SCHWARZWALD NICHT.

UND DAMIT BASTA.

Doch schon drei Monate vor dem grossen Besuch, der immer zu einem billigen Familienfest mit Gaggo und Grättimännern Gelegenheit bot, rollte die Omama ihre Augen. Und machte mies-fies auf Erpressung: «An deiner Stelle wäre ich jetzt ganz brav, du vorwitziger Frechdachs… unartige Buben, die immer lügen, packt der Nikolaus in den Sack. Er nimmt sie zum Kohlenschaufeln in den Schwarzwald mit…»

Die Omama konnte mir mal.

ICH LOG VIEL. UND GLAUBTE AN NICHTS – SCHON GAR NICHT AN DEN SCHWARZWALD-KLAUS.

«…dort gibts nur jeden Tag magere Tannennadelsuppe. Und keine feinen Zuckerbrote…»

Ich liebte Zuckerbrote. Rückblickend muss ich sagen, dass bei meiner bereits ansetzenden Fettleibigkeit die magere Tannennadelsuppe eine bessere Alternative gewesen wäre als die Zuckerschnitten.

ABER SO WEIT WAR ICH NOCH NICHT.

Diese gelackte, alte Vettel konnte mir mal.

Ich streckte der Omama die Zunge raus. Nannte sie eine «blöde Ziege». Und musste ohne Essen ins Bett (das war die Computer-Entzugs-Strafe der 50er-Jahre).

Mein herzensguter Vater besuchte mich dann im Kinderzimmer. Er steckte mir eine Tafel Schokolade «Milch mit Nuss» zu. Und flüsterte: «WENN DU SIE STATT ‹BLÖDE ZIEGE› ‹DUMME KUH› NENNST, BEKOMMST DU Z W E I TAFELN…!»

In der Küche hörte ich die Alten herumzanken.

«Es geht nicht an, dass dieser krumme Besen meinen Sohn erpresst, Lotti. Er soll mit Freuden dem Klausen-Besuch entgegensehen… und nicht vor dem grossen Sack zittern…»

Man hörte das Seufzen der Gattin. Dann diese klare Stimme, die im Kampf für das Frauenstimmrecht keine männlichen Säcke gelten liess: «HANS. WIE NAIV BIST DU EIGENTLICH? – DEIN KLEINES SÖHNCHEN GLAUBT SCHON LANGE NICHT MEHR AN DEN KLAUS MIT SACK. DEM GEHTS NUR UM SCHOKOLADE. UND ERDNÜSSCHEN…»

«Ach Lotti…»

«HAST DU DENN KEINE AUGEN IM KOPF? – LETZTES MAL HAT DIESER VERDORBENE BALG DEN NIKOLAUS SO ANGEMACHT, DASS DER IHN ENTSETZT VON SEINEN KNIEN ABSCHÜTTELTE…»

Sie wurde jetzt noch einen Ton energischer: «…und ‹blöde Ziege› ist nicht mein Wunschvokabular, das ein Kind in der Konversation mit seiner Grossmutter draufhaben sollte! So etwas mag am Kembserweg ja angehen…»

Beim Kembserweg wohnte die andere Omi. Die Herzensgute. Bei der wurde ich mit Erdnüsschen gestopft, ohne dass ich vorher fehlerfrei drei Klausenverse runterleiern musste.

Die gute Mutter nahm den Sohn dann ins Gebet:

«Wo ist das Problem, mein Lieber? Weshalb kannst du das Klausentheater nicht einfach mitspielen?»

Der Schöne zog einen Flunsch: «ICH MAG EBEN KEINE KLÄUSE…»

Nun streichelte ihm die Mutter über den Kopf: «Aber der letzte hat dir doch ganz gut gefallen. Du hast seinen Bart gestreichelt. Und wolltest ihn immer umarmen…»

Der Bub schaute grinsend zu Boden: «Ich wusste, dass so etwas Onkel Alphonse auf die Palme jagen wird…»

WIEDER DER SEUFZER EINER GEPRÜFTEN MUTTER: «WESHALB WEISST DU, DASS DER KLAUS ONKEL ALPHONSE WAR?»

Jetzt schaute der Kleine listig zu seiner Erzieherin: «Es umwehte den Bart eine Fahne nach ‹Appenzeller›…»

Die Mutter stöhnte leise auf. Ihre Galle spielte bei Nervenstress immer verrückt.

Es war nicht einfach, die Schweizer Männer für das Stimmrecht der Frau zu gewinnen. ABER DIESES KLEINE MONSTER HIER MISCHTE ALLES, WAS SIE AN GEDULD IN RESERVE HATTE, ZIEMLICH WILD AUF.

Deshalb: «Hör mal, kleiner Wicht – du haust deine drei Gedichte runter. DU TUST, ALS HÄTTEST DU ANGST VOR DEM SACK. UND VOR ALLEM TUST DU, ALS OB DU DEINEN ANGESÄUSELTEN ONKEL HINTER DEM BART NICHT ERKENNEN WÜRDEST. Du wirst mir diese Fete nicht vermiesen… kapiert?»

«Was springt dabei heraus?»

«Zwei Ohrfeigen, wenn du dich krumm stellst…»

In der Stube hockte dann die Familie im Kreis herum.

Alle warteten auf die Schelle.

«Hast du die drei Gedichte drauf?», zischelte Mutter mir zu.

Und: «…der ist doch blöder als Hühnerkacke», giftelte die Omama, «das Einzige, was der kann, ist ‹Hänschen Klein›…»

ICH STRECKTE IHR DIE ZUNGE RAUS.

Und «RUHE JETZT!», unterbrach der Vater das Gezeter seiner Schwiegermutter: «Ich meine eine Schelle zu hören…»

Da schwankte Onkel Alphonse mit Sack und Rauschbart auch schon in die Stube. Seine ‹Appenzeller›-Ausdünstung liess die Fliegen von den Fensterscheiben krachen.

«WOHNT HIER EIN KLEINER, VORWITZIGER BUB, DER IMMER LÜGT?», polterte er in die Runde.

«Ach ja, lieber Nikolaus… schlag doch in deinem dicken Buch nach, was er sonst noch alles angestellt hat…», flötete die Omama.

Der klausige Alphonse liess in seinem Vollsuff das dicke Buch, in dem seine Julie jeden Tag die Haushaltsausgaben notierte, zu Boden krachen. Es regnete Rabattmarken, Silva-Bons und Kassenzettel:

«Kaufst du auch im Konsum?», fragte der Dreikäsehoch den Klaus. Und: «Darf ich dir wieder den Bart kratzen…»

Ächzend sammelte der Alte mit der Schnapsfahne seine sieben Sachen zusammen. Und entschied: «Einem solchen Buben leere ich den Sack nicht aus…!»

Sagte es. Und polterte wütend die Treppe runter.

ICH SCHAUTE IHM SEHNSÜCHTIG NACH – WENIGER DEM SCHAUKELNDEN KLAUS ALS DEM VOLLEN SACK MIT DER SCHOKOLADE AUF DEM SCHWANKENDEN RÜCKEN.

Die Omama versuchte die Situation zu retten: «So. Jetzt sagst du uns deine Gedichtlein auf!»

ICH WARF MICH IN POSE.

UND REIMTE IHR VOLLGIFTIG IN DIE AUGEN:

«Gib endlich Ruh.

Du dumme Kuh!»

Dann ging der Bub hocherhobenen Hauptes direkt ab ins Bett. Der hysterische Tumult in der Stube kratzte ihn keine Sekunde…

Er wusste: Vater würde schon bald mit zwei Tafeln «Milch mit Nuss» aufkreuzen…

Dienstag, 4. Dezember 2018