Falscher Hase

Hier zum Nachhören: 

Herta zwängte sich in das rosa Kleid.
CHRRRRRRR
Der Reissverschluss riss.
Im Spiegel schrie ihr ein etwas zu üppiger Hinterteil aus dem aufgerissenen Stoff entgegen: äääätsch!

„KAAARL!“

Da stand er schon. Er grinste dieses maliziöse Lächeln, das die Freuden und Würze einer bestandenen Ehe ausmacht: „Dein dicker Amboss, Hertilein! Das kommt von dieser ständigen Zwischendurch-Nascherei“.

Selbstgefällig tätschelte er seine magere Vorderfront ab.

„ARMLEUCHTER!“ - schlug Hertas Depression nun in eine gesunde Wut um - „du warst schon immer eine schlaffe Pappschnur…!“
Dann völlig zusammenhangslos: „ICH HABE NICHTS ANZUZIEHEN!“

Seit zwei Jahren schon hatte Herta ihren Angetrauten wegen des heutigen Restaurant-Besuchs die Wände hochgetrieben: „Jeder, der etwas auf sich hält, ist mindestens EINMAL in der «Fourchette d‘Or» gewesen. Im neusten Gourmetführer von «KOHL UND COOL» hat der Tester sie sogar mit 18 Punkten bejubelt…“

Karl wusste dass Einwände wie „dort gibt’s kein abgezapftes Bier im Humpen“ oder „dein falscher Hase ist mir lieber, Schatz“ in den Wind geredet waren.

Am Telefon erklärte eine nasale Stimme: „Es tut uns leid, Monsieur…wir sind für die nächsten neun Monate complet…“
DAMMICH!
„Mössiööö“, hatte der Wixer geölt. Und „complet“ statt „ausgebongt“.

Karl war erleichtert: „Die nehmen uns erst in neun Monaten, Hertilein…“

Herta schaute ihn streng an: „Gut. Im November also. Da kann ich vielleicht ein paar Ideen für unser Weihnachtsessen aufschnappen und…“

„ABER HERTILEIN – DU MACHST DOCH IMMER DEN «FALSCHEN HASEN». Die andern werden enttäuscht sein, wenn du mit so einem neuartigen Dingsbumms auf die Teller kommst. Dein «falscher Hase» ist unschlagbar und…“.

„BUCH JETZT FÜR IN NEUN MONATEN!, KARL-AUGUST!“

Den Zweitnamen holte sie nur bei Gereiztheitsstufe 4 hervor…

Heute war nun nach neun Monaten!

Herta hatte keine Ruhe gegeben, bis Karl sich den blauen Anzug angeschmissen und die einzige Krawatte im Haus umgebunden hatte.

JETZT STAND SIE MIT RISS UND DURCHGEKNALLTEM HINTERN AM SPIEGEL!

„Nimm das schwarze Hosenkleid, Hertilein! Kaminfeger sind überall gerne gesehen…!“ feixte Karl nun.

„KARL-AUGUST ZIRNGIBEL!“
Das war Gereiztheitsstufe 5.

Natürlich gab’s kein Bier in Humpen. Dafür schlug man ihnen ein Gourmet-Menu vor: „Es geht nichts über die Genüsse des Meeres, die sich mit den Gewürzen des Orients vermählen“, säuselte der Oberkellner.

„Es geht nichts über Hertas «falschen Hasen»“, belehrte ihn Karl.

DER OBERKELLNER LÄCHELTE SCHMERZGEPEINIGT. ES WAREN DIE GALLENSTEINE. UND DIESE KAMEN VON EHEMÄNNERN, DIE VON IHREN WEIBERN WIE DIE SAU VOM BAUER IN DEN SCHLACHTHOF HIERHER GEPRÜGELT WURDEN...

Die beiden waren eben an der Vermählung roher Garnelenschwänze mit arabischem Rosenöl, als der Nachbartisch von einem lärmenden Paar in Beschlag genommen wurde.
Er: Drei Reihen Armbänder und glitzernde Brillanten rund ums Rolex-Krönchen.
Sie: Zwei frisch gebackene Busen, die wie knackige Ofenbrote im Angebot standen.

Zu allem ein derart penetrantes Parfum, das schlagartig sämtliche Gewürzdüfte des Orients schachmatt setzte. Es duftete im Lokal plötzlich wie an einer dieser Kosmetik-Stand-Meilen im Warenhaus.

KARL PFIFF DEN KELLNER HERBEI: «WIR WOLLEN EINEN ANDEREN TISCH. ODER EINEN VENTILATOR!»

Der Oberkellner machte ein betrübtes Gesicht: „Pardon Mössiööö, unsere Tische sind seit neun Monaten…“

„Ich weiss“, unterbrach ihn Karl laut, „aber so etwas geht unter Notfall. Ich habe eine Parfumallergie…“

Der Nachbar erhob sich langsam : „Passt Ihnen vielleicht etwas nicht…?!“

„ALLERDINGS - SIE SIND MIR ZU GELACKT!“, brüllte Karl.
„…UND IHRE DUFTENDE BEGLEITERIN IST EINE ZUMUTUNG FÜR JEDE VERMÄHLUNG EINES MEERES MIT DEM ORIENT!“

Höhnisches Lachen: „Sie miese Pappschnur sind doch nur sauer, weil sie mit einem Trauerwal hier gestrandet sind!“

Es war dieser Moment, wo Karl zuschlug.
Der Lackaffe konterte.
Da erhob sich Herta. Und kickte dem Tischnachbarn gezielt in die Weichteile.
„Das ist jetzt aber zuviel!“, japste dieser nach Luft.
„Machen Sie sich keine Sorgen - da ist NICHT sehr viel…“, kicherte die Begleiterin zu Herta.

Auf der Strasse wurden Karl und Herta vom Chef de Service eingeholt. Er verbeugte sich drei Mal:
„Es ist uns schrecklich peinlich… und wir möchten uns für alles entschuldigen… aber das Fliegenhirn war der Kritiker von «KOHL UND COOL».“
Der Oberkellner hätte bei der nächsten Verbeugung fast den Boden geküsst: „IHR SCHLAG, HERR ZIRNGIBEL – ALSO DIESE RECHTE DIREKT AUF DEN VORDERZAHN…UND DANN DER SPITZE SCHUH DER GNÄDIGEN FRAU IN… IN… ACH, SIE WISSEN WOHIN ICH MEINE… ALSO EHRLICH! IN DER KÜCHE HABEN WIR GEJUBELT…“

Er fasste Karl nun bei der Hand. „Mein Name ist Albert… und unser Chef lässt ausrichten, dass sie bei uns drei Nachtessen mit allem Pipapo zu gut haben. Natürlich wann immer Sie wollen…“

ER BLINZELTE NUN KOMPLIZENHAFT: „Ich werde Ihnen das kalte Bier persönlich in einen Humpen einschenken!“

„Du mein Pappschnur-Held!“, küsste Herta auf dem Heimweg das blaue Auge ihres Gatten. „Du hast recht: an Weihnachten gibt’s wieder den «falschen Hasen». OHNE UNBESCHEIDEN ZU SEIN - ABER ICH DENKE, ER NIMMT ES TATSÄCHLICH MIT ALLEN PUNKTEN UND STERNCHEN AUF…“

Veröffentlicht am : 
Freitag, 11. Dezember 2020