«Bonzen-Kasten!» – Vater spuckte seine Brissago-Krümel in hohem Bogen in Richtung Grossbasler Seite. Das Spitzmündchen der Schwiegermutter hinter dem feinen Tüllschleierchen zischte böse: «…mein Gott. Der Mülleimer meldet sich zu Wort!»
Dann wandte sie sich dozierend zum Enkel: «Dein Vater redet die wütende Sprache der Tramschellen. Höre nicht auf ihn. Immerhin haben in jenem Haus der österreichische Kaiser und Napoleon genächtigt.»
Sie träumte vor sich hin: «Als junges Schulmädchen bin ich einmal dort gewesen. Damals war das Drei Könige Exil für den österreichischen Erzherzog Eugen von Habsburg. Er wohnte fünfzehn Jahre im Hotel am Rhein. In Basel nannten wir ihn nur ‹Erzi›. Wir durften also zu seinem Geburtstag singen. Und er hat jedem Mädchen über den Kopf gestrichen. Das war alles! Dabei waren uns ein Stück Gugelhopf und heisse Schokolade versprochen worden – aber er hatte wohl kein Geld mehr.»
Der elegante Kasten dominiert das Stadtbild
Erzherzog-Exil, Bonzen-Hotel, kaiserliche Dépendance: Wen wunderts, dass das Drei Könige in unserer kindlichen Fantasie zum geheimnisvollen Schloss von Basel wurde. Der Wunsch begann wie der Keim der Senfblume zu wuchern: «Da will ich mal rein!»
Natürlich dominiert der elegante Hotelkasten auf der Grossbasler Rheinseite das Stadtbild seit eh und je. Jedenfalls machten wir auf unseren Sonntagsspaziergängen am Kleinbasler Ufer immer auf Höhe des Hotels halt. Die Frauen schickten sehnsüchtige Blicke: «Einmal wirst du uns dorthin zum Kaffee einladen, Hans!»
«Einen Scheissdreck werde ich!», tobte Vater, «für den Preis einer dreiköniglichen Schale Gold kann eine Arbeiterfamilie drei Tage lang leben.» Plötzlich grinste?der Familienvorstand: «O.?k., ihr sollt euer Drei Könige haben.» Er verfrachtete uns ins Tram. Und wir schaukelten ins tiefste Kleinbasel – dorthin, wo die Schiffe in den Hafenbecken auf die Weiterfahrt warteten. Und die Luft immer ein bisschen chemisch durchtränkt wehte. «Bitte – das sind wir!» – Vater breitete stolz die Arme aus.
Vor uns lag ein etwas ungehobelter Klotz, der ebenfalls den Namen Drei Könige trug. Das Ganze entpuppte sich als Kleinhüninger Pendant der Grossbasler Pracht. Vater offerierte Waffeln in Staniol – dazu Sirup und Bier. Es war nicht dasselbe.
Wie faszinierend das Hotel am Grossbasler Ufer für die Spaziergänger im mindern Teil der Stadt gewesen sein muss, hat mir viele Jahre später einmal Montserrat Caballé vor Augen geführt. Ich traf die Primadonna im grossen Salon des Trois Rois zum Interview – sie gab ein «Dankeskonzert» in dieser Stadt, wo ihre Karriere begonnen hatte. «Wenn ich in Basel bin, komme ich stets hierher. Es war ein Kindertraum – den erfülle ich mir jetzt!» Also auch sie.
Die Sängerin erzählte, wie sie mit ihrer Familie von Barcelona nach Basel gezogen war. Ihre Mutter habe als Näherin gearbeitet, ihr Vater als Lagerist. Am Sonntag seien sie oft am Rhein entlang spaziert und hätten das Drei Könige betrachtet. «Irgendwann schaffen wir das dorthin!», habe die Mutter jeweils gelächelt.
Die Caballé wurde zur grossen Diva. Und als sie in Basel auf dem Höhepunkt ihrer Karriere gastierte, bestellte sie für ihre Mutter die eleganteste Suite im Trois Rois. Die Sängerin schaute nun auf den Rhein: «Ich wusste, es war einer von Mutters Lebensträumen, einmal hier wohnen zu dürfen. Am Tag bevor sie anreisen sollte, bekam ich das Telefon: Meine Mutter war in der Nacht unerwartet gestorben. Ihr Traum konnte nie gelebt werden. Das macht mich heute noch unendlich traurig!»
Mit 17 Jahren wurde mein Traum wahr: Der Abschlussball unserer Tanzschule fand im Drei Könige statt. Wochenlang löcherte mich der Weiberclan daheim: «Sitz gerade am Tisch, putz die Lippen ab, bevor du trinkst, steh auf, wenn eine Dame kommt!»
Selbst mein Vater nervte herum. Und zupfte mir die Krawatte zurecht: «Zeigs diesen Wixern! Und wenn irgendwo Zigarren herumstehen, schnapp dir eine Handvoll!»
Mit 23 winkte dann die erste Nacht im grossen Haus. Na ja – so dachte ich zumindest. Nurejew tanzte mit der Fonteyn in Basel. Nach dem Interview fragte er mich, ob ich ihm nach der Vorstellung noch das Nachtleben der Stadt zeigen würde. Ich hätte mit ihm auch das Matterhorn bestiegen.
Es wurde eine Riesenparty. Jeder Nightclub, jede Schwulenbar und jeder Rotlichtschuppen feierte den Tänzer. Als wir endlich seine Suite aufsuchten, lümmelte er sich stockbesoffen aufs Bett. Und schnarchte nach fünf Minuten. Die erste Trois-Rois-Nacht hatte ich mir nicht so ausgemalt.
Das Hotel am Blumenrain war Anziehungspunkt der grossen Namen: Queen Elizabeth besetzte den ersten Stock, als sie am 1. Mai 1980 die Blutbuche an der grossen Gartenausstellung in Brüglingen einpflanzte. Die Buche ging ein – die Erinnerung an die Queen im Trois Rois blüht noch immer.
Die Rolling Stones zerhackten das Mobiliar und machten genauso laut von sich reden wie 150 Jahre vor ihnen eine gewisse Madame Hoffmann, welche das Hotel ebenfalls mit ihren Damen zum Bordell umwandelte. Madame Hoffmann war niemand anders gewesen als Lola Montez, die Geliebte König Ludwigs von Bayern. Ludwig der I. musste dann wegen Lola auf Krone und Thron verzichten. Die Rolling Stones durften weiterfeiern.
An der Fastnacht zum ersten Mal
Ich musste 38 Jahre alt werden, bis ich erstmals mein eigenes Zimmer im Trois Rois bekommen sollte. Grund: der Räppliregen einer Basler Fasnacht. Meine Haushälterin Linda tobte sich heiser, als sie nach einem Fasnachtsmontag all die Konfetti im Haus sah: «Die bekomme ich nie mehr raus – entweder du gehst nächste Fasnachts ins Hotel. Oder du suchst eine neue Haushälterin!» Also zog ich erstmals zusammen mit all den vielen Heimweh-Bebbi, welche zum Morgestraich ans Rheinknie pilgern, im ehrwürdigen, alten Kasten ein. Und erlebte das Pulsierende der Fasnacht rund um die Schifflände und den Blumenrain.
Nach dem Umbau habe ich mich gleich an der grossen Eröffnungsfeier bei der Réception gemeldet: «Ich hätte gern für die Fasnacht das Zimmer mit der grossen Terrasse.» Es ist das Zimmer 117 – das Herzl-Zimmer. Eine kleine Bronzetafel erinnert an den Besuch Theodor Herzls hier und an den 1. Zionistenkongress 1897 in Basel. So kommt es auch, dass an der Fasnacht mitunter zögerlich geklopft wird. Zwei, drei Leute stehen dann verlegen vor der Tür: «Dürfen wir die Herzl-Plakette sehen?» Der Balkon ist gross – das Zimmer 117 eher bescheiden, klein. Entsprechend konnte ich vor zwei Jahren Bundesrat Alain Berset zum Morgestraich hier nicht empfangen. Schon gar nicht morgens um fünf Uhr, wenn das Bett noch ungemacht war.
Aber ein Interview war abgemacht. Alain Berset würde mit seinem ganzen Tross ins Trois Rois kommen (später hat er mir erklärt, er habe auch hier übernachtet). Also bat ich die Gouvernante, die kleine Bibliothek vis-à-vis des Herzl-Zimmers herzurichten. Und Orangensaft zu pressen.
Da ja um vier Uhr alle Lichter ausgehen würden, sollte man überdies Kerzenständer bereitstellen. Ein Bundesrats-Interview bei Candlelight stelle ich mir sehr romantisch vor. Über SMS wurde ich nonstop vom Departement informiert, wann der Ehrengast eintrudeln würde: «NOCH 5 MINUTEN!»
Ich nahm also die Streichhölzer. Und zündete all die vielen Kerzen in den prächtigen, alten Leuchtern an. Als die letzte Kerze züngelte, kam Berset. Und mit ihm auch die Feuerwehr mit Blaulicht. Meine Kerzenstimmung hatte den Feueralarm ausgelöst. Heute gehören meine vier Basler Tage im Trois Rois zu den schönsten Ferienmomenten im Jahr. Man sollte sich so etwas immer mal in der eigenen Stadt gönnen.
PS: Natürlich will die Zeitung von Hotelspesen nichts wissen. Also buche ich das Ganze als «persönliche Freude» ab. Es gibt Träume, die haben keinen Preis.