Kolumnisten

Sie nennen das jetzt Kolumnen. Ich meine, früher hiess es einfach "Schreib noch ein Geschichtlein".
Jetzt tönt die Sache wie kurz vor dem Purlitzer-Preis.
Die "Geschichtlein" waren einst Lückenfüller. Der Bericht irgendeiner Parteiveranstaltung kam zu spät. Onkel Fritz, der dienstälteste Redaktor jener Zeit, hatte Panik daweil keinen Stoff. Also musste ein Füller her: "Schreib irgend etwas – 54 Zeilen mit einem fröhlichen Schluss".
So wurden früher Zeitungen gemacht. Und Geschichte. Eine Geschichte, die heute Kolumne heisst.

Kommentare jedoch gab's immer. Ich bin mit Kommentaren aufgewachsen. Oma gab Kommentare über Vater ab. Mutter über den Hut von Nelly Blickensdorfer. Und meine Redaktoren über die "Geschichtlein", mit denen ich ihr Blatt notfüllte.
Einen Kommentar hat jeder schnell zur Hand, zur Schreibe, zu Mund. Auch Frau Zirngibel kommentiert – an der Coop-Kasse gibt sie einen sackstarken Comment über das letzte Musikantenstadel ab. Da wird der Kommentar zur Kritik. Und Kritik habe ich im Journalismus mehr gesehen, als Kommas. Jede Journalistin, jeder Redaktor ist zum Kritiker geboren. Das ist keine Kritik – das ist Facts.

Man erkennt den Kritiker daran, dass er mit erhobenem Zeigefinger auf die Welt kommt. Aber Kritiker sind noch lange keine Kolumnisten. Und Kommentatoren noch lange keine Geschichtenerzähler – beide sind professionelle Unken im weinerlichen Singsangton sizilianischer Klageweiber. Sie müffeln mit diesen stirngerunzelten Gesichtern herum, wie Tante Erna wenn sie Migräne hatte. Und sie finden auch bei Note 6,0 noch ein "wenn" und "aber" ...

Als ich noch Geschichten und keine Kolumnen schrieb, war Gwendolyn, eine erfundene Ente, die der kommunistischen Partei angehörte und auf meinem Balkon mit einer Ameise namens "Lullu" zusammenlebte. Gwendolyn war quasi Harry Potter eines Blatts, die damals "National-Zeitung" hiess und heute auch Geschichte ist.

Gwendolyn wurde von meinen Kollegen zerrupft, bevor er überhaupt auf die Welt gekommen war. Er überlebte fünf Jahre dank Stoffmangel. Dann hatten die Redaktoren von diesen "Geschichtlein" genug. Und drehten dem Vogel den Hals um. In meiner eigenen Zeitung musste ich lesen, dass Gwendolyn nun in einer Tiefkühltruhe zu haben sei. Sonst nicht mehr. Ich warf mich hysterisch auf den Boden und flennte Sturzbäche – "mach keine Geschichten!", sagten die Kollegen nur.

Wenn ich heute die Entenzeilen, die vor 30 Jahren notgedruckt worden sind, wieder lese, muss ich sagen, dass Gwendolyn seiner Zeit einige Jahrzehnte voraus war. Heute sind skurrile Geschichten im Journalismus gesucht – nur heissen sie jetzt Kolumnen. Und ihre Urheber sind Kolumnisten. Doch da das Ganze weder Fisch noch Vogel, weder Literatur noch Journalismus ist, bleibt's auch bei der Kolumne meistens bei der von den Kollegen still belächelten Ente.

DAS HIER IST KEINE KOLUMNE. SONDERN EIN KOMENTAR ZUR KRITIK.

Montag, 7. März 2005