Es war ein strahlender Frühlingstag.
Karl-Heinz hatte gutgelaunt die Zeitung aus dem Briefkasten gefischt. Nun hockte er sich an den Frühstückstisch und wartete auf den köstlichen Duft der Frischback-Weggli, die seine Gertrude jeden morgen aus dem Ofen zog.
Er wartete umsonst.
"Guten morgen, mein Hasi!", strahlte Gertrude nun im Morgenmantel. Noch nach 38 Jahren Ehe zuckte Karl-Heinz innerlich beim Wort "Hasi" zusammen. Gertrude war mal so unvorsichtig gewesen ihn am Militärhock vor seinen Kameraden mit "mein Hasi" zu begrüssen. War natürlich ein Fressen für die Jungs. Seither war er "Gefreiter Hasi".
Statt der goldbraunen Brötchen legte Gertrude ihrem Mann eine geschälte Karotte auf den Teller. Dazu einen halben Apfel. Ungeschält.
"Mit der Schale hat er mehr Vitamine, Hasi!" - lächelte sie ihren Ehemann an. "Und alles gut einspeicheln. Einspeicheln ist das A ud O, sagt Hildegard".
Karl-Heinz wünschte Hildegard innerlich zum Teufel. Zählte aber still auf zehn. Und dann: "Mein Liebes - kannst Du mir vielleciht erklären, was das soll?".
"Frühling!" - kam es wie ein jauchzender Pistolenschuss. "Frühling ... Vitamine ... Verjüngungskur!" - dann holte sie vom Lesetischchen einen Stapel mit diesen blendenden Hochglanz-Heftchen und knallte es ihm neben den Teller: "Es gibt kaum eine Zeitschrift, die dich nicht auf den Frühling und seine Aufgaben aufmerksam macht ... Frühling ist die Zeit der Kuren. Wir sollten im Frühling unserm Körper Gutes antun ..."
Karl-Heinz wurde nun ruppig: "Wenn Du meinem Körper etwas Gutes antun willst, dann serviere ihm ein Frischbackbrötchen - mit Gonfi, Butter und Milchkaffee".
Gertrude kannte ihren Hasi. Sie streichelte seine Hand: "Aber Dickerchen - du willst doch diesen Sommer im Liegestuhl nicht wieder wie ein gestrandeter Wal aussehen. Ich will, dass mein Hasi noch zünftig Chancen bei der Frauenwelt hat und ..."
"Mir genügt ein Bier!", seufzte Karl-Heinz. "Ab 60 ist das Bier das einzige, was fröhlich schäumt - also was soll ich mich jetzt noch mit Karotten kasteien ..."
Nun machte Gertrude wieder diesen Rehblick, mit dem sie ihn stets um den Finger wickeln konnte - ihre grossen, braunen Augen schauten ihn traurig an: "Ich will doch nur, dass es Dir gut geht. Dass Du gesund bleibst. Kur mir zuliebe ..."
Da wusste er, dass die rohe Karotte eine beschlossene Sache und erst der Anfang allen Elends war.
Die Kur, welche Gertrude ausgesucht hatte, hiess "Die 20 Kräuter-Diät". Sie war verbunden mit den Übungen der fünf Tibeter. Aber seit Karl-Heinz einmal beim dritten Tibeter ausgerutscht und an die Bettkante geknallt war, überliess er ganz Tibet seiner Gertrude.
Das Essen - und dies musste Karl-Heinz zugeben - war schmackhaft und liebevoll angerichtet. Acht gedämpfte Bärlauchblätter betteten einen Bissen Dorschfilet ein. Dazu ein Häufchen Brunnenkresse mit einer geschnitzten Sherry-Tomate. Und "guten Appetit - Du musst es gut einspeicheln!".
Karl-Heinz hatte die zwei Bissen schon reingehoovert , bevor sein Via-à-Vis auch nur zur Gabel greifen konnte: "Was gibt's zum Dessert!?".
Gertrude seufzte. Ihr Hasi war punkto Früjahrskur so gar nicht motiviert: "eine halbe Birne mit frischen Minzblättern!"
Karl-Heinz schloss seufzend die Augen. Vor ihm lag ein Teller mit Schwarzwälderkirschtorte.
"Nach dem Essen, muss ich mich ein bisschen bewegen", erklärte er Gertrude. Diese juckte wie von der Tarantel gestochen auf: "Ich komme mit - sonst geht die Bewegung in die falsche Richtung!".
Und so wurde es wieder nichts mit dem Besuch in der Konditorei.
Nach dem 10. Kräutertag sah Gertrude strahlender aus denn jeh. Sie war sichtlich verjüngt, bewegte sich wie eine Gazelle - nur Hasi blieb der alte Sack wie immer.
"Diese Kur funktioniert nur bei Weibern!" - jammerte Karl-Heinz vor seinem Fencheltee. "Männer sollten sich nach 50 nicht mehr frühlingsverjüngen - sie werden nur depressiv. Diese Nacht habe ich geträumt, wir hätten ein Schwein geschlachtet und ich ging in den Bratwürsten baden ..."
Gertrude streichelte über Hasi's Hängebacken: "In drei Tagen ist alles vorbei - und dann bekommt mein Hasi seine Bratwurst. Versprochen!. Im übrigen hast Du immerhin drei Kilos abgenommen ..."
Stimmt. Die Hosen sassen ihm nicht mehr so knapp - aber wenn er in den Spiegel schaute, sah ihm ein verwitterter, müder Kopf entgegen, ein Schrumpfapfel, den man irgendwo unter dem Baum vergessen hatte.
Als Gertrude ihm schliesslich am Tage X die heissersehnte Bratwurst auf den Teller legte, mochte er sie nicht essen: "Nein danke - ich nehme vom Schnittlauchquark. Morgen habe ich meinen Check beim Arzt. Da will ich jetzt nichts versauen ..."
Als ihn Doktor Piller nach der Untersuchung zu sich ins Allerheiligste rief, schaute der Medicus fast so traurig wie Gertrude mit dem Reh-Blick: Herr Zirngibel - die Fettwerte sind zu hoch ... das Cholesteryn ist über der Toleranz ... haben Sie schon mal an eine Frühlingskur gedacht ... es gibt da eine Diät auf frischer Kräuterbasis und ..."
In der Koditorei hat er dann Gertrude vor zwei Erdbeertörtchen und einem Savarin getroffen.
"Und - was hat der Arzt gesagt?", schaute sie vom Teller auf und schob sich ein Stück von dem zündrotgelierten Erdbeerküchlein rein.
"Alles paletti!", strahlte Karl-Heinz - und dann zur Serviertochter: "Mir bitte zwei Stück Schwarzwälder ..."
"Aber Hasi!", kicherte Gertrude.