Die dicke Metzgerfrau hebt das Beil. Dann schlägt sie zu. Der Kopf von Lega-Führer Bossi donnert zu Boden.
Mit Berlusconi treiben sie's noch ärger. Da rollt nicht nur der Kopf. Ihm geht's auch an die Eier. "Le palle ... le palle!" - brüllt der neapolitanisch Mobb. Und assoziiert damit auch "che palle!" . Oder eben: "Wir haben die Nase voll!".
Über allem zeigt der frischgeborene Jesus sein versöhnliches Lächeln. Die drei heiligen Könige, die das Kindlein mit Video-Spielen beschenken, heissen Che Guevara , Romano Prodi und Antonio Bassolino. Letzteres ist der komunistische Ex-Bürgermeister, der 1994 das G-7-Treffen hierher holte und den Neapolitanern ihr Selbstwertgefühl zurückschenkte.
Die zaghaft lächelnde Maria hat die wunderbaren Augen von Sophia Loren. Nur der Engel der Verkündung bleibt anonym . Er hält hoch über dem Stall schwebend sein Gesicht mit einem Goldtuch verdeckt. Nun ja - zu viele Engelszungen haben den Neapolitanern in den letzten 2 000 Jahren falsche Versprechen verkündet, als dass die Leute hier noch jemandem glauben würden.
Die Szenerie, die am Ständlein der "Pastori delle mani pulite"
über die kleine Holzbühne geht, gehört zur Via San Gregorio Armeno wie die Millionen von Lichtern, die während dieser Wochen über der grössten Kripenstrasse der Welt funkeln.
"Wir haben das Jesuskind geboren" - behaupten die Neapolitaner stolz. Und beanspruchen die Erfindung der "Krippenfiguren" für sich. Tatsache ist, dass bereits zur Römer Zeit in dieser engen Gasse von Neapel Tonfigürchen verkauft worden sind - diese Figürchen, die man damals in den Hausaltaren aufstellte und die heute , 2 000 Jahre später, durch Papst Johannes oder Padre Pio ersetzt werden.
Solchen Hausaltaren begegnet der Spaziergänger auf Schritt und Tritt. Jetzt, während der dunklen Wintertagen kommen sie mit ihren gespenstisch flackernden Opferkerzen und den magischen Lichtern in den engen Gassen besser zur Geltung, als während der grellsonnigen Sommerszeit.
Ueberhaupt übt Neapel im Winter einen ganz speziellen, märchenverwobenen Reiz aus. Es wird zu dieser geheimnisvoll beleuchteten Krippenstadt, die Jahr für Jahr von den Vätern für ihre Kinder auf Weihnachten hin aufgebaut wird.
Die "Krippe" der Neapolitaner entspricht der "Modelleisenbahn-Anlage" unserer Opas. Hier werden die alten Machos zu kleinen Bambini. Jahr für Jahr bauen sie neue Szenerien. Immer mehr Figuren werden angeschafft, neue Miniatur-Häuser errichtet und technisch schwierige Wasserfälle gebaut - der Vater wird zum Regisseur und komponiert sich seine Krippenwelt, die genau dem Alltag rund um den Vesuv entspricht. Keiner hält sich an biblische Fakten - jeder mixt seine eigene Geschichte zusammen. Besonders arg soll es da schon der Bourbonen-König Karl III (Don Carlos!) getrieben haben. Er hat mit seinen Krippen-Inszenierungen mehrere Palastzimmer gefüllt. Statt dringendste Regierungsgeschäfte zu erledigen soll er tagelang fingernagelgrosse Ziegel für seine Krippenhäuser selber gebrannt haben ...
Zwischen dem 16. Jahrhundert bis spät in den Barock hat die neapolitanische Krippe ihre Hochblüte erlebt. Das Hobby war allerdings aufwendig. Entsprechend konnten sich nur die "nobili" diese Etravaganz leisten. Eine Krippe entsprach dem Ferrarri oder der Rolex-Uhr von heute - sie wurde nicht nur zum Puppenspiel der Reichen. Sie wurde auch zum Statussymbol.
Das Typische der neapolitanischen Krippenfigur zu jener Zeit waren die beweglichen Glieder. Arme und Beine - beides aus Holz geschnitzt - wurden an Drähte angefertigt, so dass die Pastori Leben eingehaucht bekamen. Erst ende des vorletzten Jahrhunderts wurden die Figuren dank der "Abdruck-Technik" industrialisiert. Und en masse hergestellt. Aehnlich wie die Santos der Provence sind sie heute aus Ton - aber noch immer von Hand bemalt. Diese Massen-Malerei übernehmen jetzt oft geschickte, tamilische Finger. Nur die wenigen Familien, welche noch die traditionellen , beweglichen Figuren mit den Stoffkostümen und Holzgliedern herstellen, geben ihr Knowhow nicht aus den Händen. Entsprechend sind solche Pastori gesucht, aber auch kostspielig.
Zurück in die enge Gasse von San Gregorio Armeno! Das Gedränge ist im Dezember enorm - neben vielem Junk aus China, laut lachenden ("Hohohoooo!") Father Christmas-Figuren sowie Schneekugeln mit der Heiligen Familie im Sturm, weht ein Duftgemisch, dass einem schwindlig wird. Da steigen Dämpfe aus Weihrauch (die Stände verkaufen die Kügelchen samt Schwenker und entsprechende Holzkohle) neben den Wolken von heissen Zeppole (einem frittierten Hefegebäck, ähnlich köstlich wie unsere Berliner) und Duftschwaden von würzigen Pizze. Apropos: die Neapolitaner haben nicht nur das Jesuskind sondern auch gleich noch 2 Pizza-Sorten auf die Welt gebracht: die Pizza Margherita (für Königin Margherita einst mit Mozzarella, Tomaten und Basilikum kreiert) und die Pizza Neapoletana (mit Tomaten gewürzt).
In den Caffès kann man sich nun an den siedend heissen Espressotässchen die Lippen verbennen. In Neapel ,wo der Caffè bekanntlich als bester der Welt gilt und entsprechend heilig gesprochen wird, ist ein Ristretto nur perfekt, wenn er in hitzigen "tazzine", die vorher im dampfenden Wasserbad gelegen haben, kredenzt wird. Und natürlich darf man die Stadt nicht verlassen, ohne einen der köstlichen Babà's genossen zu haben - ein Savarin in grober Penisform, vollgetränkt mit Rum und in seiner Konsistens so zart wie das Ave Maria.
Keine Reisezeit ist schöner als der Winter in Neapel. Der Spaziergang am Meer, an der sonntags autofreien Riviera di Chiaia oder zum Castell dell' Ovo auf Santa Lucia ist noch von sommerlicher Sonne getränkt - die berühmte Galleria Umberto mit ihrem wie zarte Seifenblasen hingehauchten Dachkonstruktion (Glas und Stahl) wird zum funkelndsten Weihnachtszimmer der Stadt. Vis-à-vis , in Italien's ältester und renomiertester Oper San Carlo trifft sich heute Abend "tutto Napoli" zur Saison-Eröffnung mit Fidelio und der Primadonna Svetla Vassileva. Das Bühnenbild hat Mimmo Paladino geschaffen. Im Januar stehen Verdi mit "Attila" und im März Mozart mit "Figaro's Hoichzeit" auf dem Programm. Das Haus ist seit 1737 gesungene Operngeschichte und bietet auch heute noch Aufführungen von Weltruf.
Am 8. Dezember stellen die neapolitanischen Väter erstmals zu Hause die Krippe auf. Allerdings: das Jesuskind fehlt. Entsprechend finden Neapel-Touristen wohl schon die prächtigen Krippen-Szenarien in den Kirchen aufgestellt - Marktfrauen bieten da ihre Hühner und Wasserverkäufer ihre Karaffen mit Zitronensaft an. Die Jesuskinder jedoch haben Pause. Erst in der Mitternachtsmesse des Heiligen Abends liegt der Kleine auf Stroh - und wenn die Kinder nachts heimkommen, haben unsichtbare Hände auch das "Bimbo santo" ins heimische Krippchen gelegt.
Unvergesslich ist immer eine neapolitanische Silvesternacht - sie wird zum feurigen Tanz zu Füssen des Vesuvs. Millionen von Sternenkugeln und Raketen steigen himmelwärts. Die Menschen strömen zur Piazza Plebiscito wo die Mandolinen zupfenden Pulcinelle, diese Stadtwahrzeichen mit der groben Harlekin-Masek aus der Commedia dell' Arte im heissen Capodanno-Concerto der Rockgruppen untergehen.
Nie zeigt sich Neapel sonniger und feuriger als im Winter. Die chaotisch vermixte Architektur von Jahrhunderten - Faschistenbau neben Barock - taucht in ein ganz spezielles Licht. Dieses Nea Polis (einst von griechischen Auswanderern gegründet und im 18. Jahrhundert neben Paris und London die grösste Stadt Europas) hat eine 3000 Jahre alte Tradition. Und seine eigenen Gesetze. Es ist die einzige Stadt Italiens, die durch Geburtenüberschuss wächst. Und 50 Prozent weniger Scheidungen meldet, als der nördliche Teil vom Stiefel.
Entsprechend sind die Menschen hier stolz auf ihr Napoli - und da darf man ihnen auch nachsehen, dass sie die Geburt des Jesuskindes an den Fuss des Vesuvs verlegen. Und Josef dieses Jahr Adriano Celentano heisst...