Von Wiener Schnitzeln und der mühsamen Plackerei des Kochens

Donnerstag - Die Kocherei hängt mir zum Halse heraus.
ICH HABE DAS SCHON TAUSEND MAL GESAGT. TAUSEND MAL.
Aber die Menschheit hält es für einen Witz. Oder dumme Koketterie. Dabei: DIE KOCHEREI HÄNGT MIR ZUM HALSE HERAUS.
Innocent ist da anders. Der klare Hobbykoch-Typ. Wenn er die Briefwaage aus dem Geschirrschrank hervorknübelt, um mal 25 Gramm Maizena abzumessen, bekomme ich schon Flöhe.
Aber er tut das mit solcher Inbrunst und verklärter Entzückung, dass du glauben könntest, er hole sein Bankbüchlein aus der Schublade.
Nun werden die Zutaten akribisch genau aufgebaut. Soldatenstramm stehen Lauchstengel, Karotten und der Stangensellerie in einer Reihe. Stück für Stück wird genau untersucht, geputzt und geschrubbelt.
(BEI MIR: AB IN DIE PFANNE - MANCHMAL AUCH SCHON MAL MIT ETWAS SAND UND DEM SALZ DIESER ERDE...)
Dann summt der Hobbykoch vergnügt vor sich hin, während er etwa 10 Minuten lang die Messer auf ihre Schärfe prüft.
Erst jetzt rädelt er los. Hauchdünn. Und alles mit Bedacht. Zack... zack... zack - zwischen jedem Zack hätte Beethovens «Fünfte» Platz.
(BEI MIR: Sekundenschnelles dladladladladlagg - ab in die Pfanne! Wo ist ein Pflaster? - Dieses verdammte Brotmesser!)
Wenn Innocent das Gemüse gerüstet und im Wasser blanchiert hat, wird der Schweinekram rundum aufgeräumt. Der Abfall kommt in den «Grünkessel». Messer werden sofort abgewaschen. Zacke für Zacke handgetrocknet. Alles verräumt. Erst jetzt geht er an die Sauce.
(BEI MIR: Parallelslalom. Während das Gemüse blubbert, brennt die Mehlschwitze für die Sauce an - daneben überläuft die Milch für den Flan. UND ES GIBT NICHTS SCHLIMMERES ALS EINGEBRANNTE MILCH AUF DEN HERDPLATTEN - ES STINKT, DASS SELBST DIE FLIEGEN DIE FLIEGE MACHEN!)
Innocent: «Du bist einfach eine Sau!»
Annick, unsere Haushälterin, nickt: «Un grand cochon!» Und ich muss an meine alte Linda denken: «Immer machen Schweinereiniges - weshalb du nicht kochig, wie lieb Innocent, wo alles so reinigliches?»
Die alte Nervensäge wurde natürlich von Innocent stets mit pfludderweichen Häppchen gefüttert, welche ihre Drittzähne verkraften konnten. Die Häppchen waren zu Brei verkochter Gemüseabfall. Denn bei Innocent verkommt nichts.
(BEI MIR - alle im Chor: «Eine Schande, wie du diesen Salat gerüstet hast. Die Hälfte der Blätter einfach wegwerfen...!» STIMMT. ABER AUCH BEIM SALAT MAG ICH NUR SEIN GUTES HERZ.)
Hat Innocent gekocht, sieht die Küche aus wie frisch gekauft.
Auch meine Lieblingsschwester Rosie hat einen Mann geheiratet, der sich neben dem Kochen auch das Küchenputzen zum Hobby gemacht hat. Wenn die beiden zu einem Essen einladen, ist das wie Synchronpaarlauf auf einem frisch gefegten Eisfeld. Curlingsteinen gleich gleiten die Pfannen lautlos über die Platten. Gesprochen wird nichts. Gebannt schauen die Gäste zu, wie meine Schwester Rosie kurz ihren Mann anschaut, der - durch ihre stahlblauen Augen ferngesteuert - die Sauce zum Fisch aufmontiert, während sie den Saumon aus der Pfanne hebt.
Wenn die Teller serviert werden, ist hinten wieder frisch poliertes Eisfeld.
(BEI MIR: ABFALLHALDE UND CHAOS.)
«Wir haben morgen Gäste, mein Lieber - wer kocht?» - Das ist Innocents Gretchen-Frage.
Ich weiss, dass die Gäste eigentlich kommen, um meine Küche zu geniessen - diese Küche, von der sie dann weitererzählen: «Es war traumhaft. So isst man nirgends...»
Letzteres stimmt.
Meine Schlemmerfilete, die ich tiefgekühlt einkaufe, werden mit wundervollen Zitrönchen, die mir Grethi, die beste aller Freundinnen zu Rosen schnitzt, ausgarniert und sehen dann aus, als kämen sie direkt aus dem Ritz. Und dennoch ist es DIE PURE PLACKEREI - vor allem der Einkauf (und hier wünschte ich einmal all diesen Velo-Freaks, die mich vorwurfsvoll anschauen, wenn ich mit dem Auto bei den Geschäften vorfahre, sie müssten drei Zentner Ware in ihrem Scheisskörbchen heimträmperlen).
«Wir machen deine Wiener Schnitzel und garnieren sie mit Grethis Zitrönchen...», entscheide ich. Und natürlich sagen wir: Ich hätte sie gemacht...»
Innocent zieht einen Flunsch. Aber er prüft schon mal die Messer nach deren Schärfe...

Samstag - Die Einladung war ein Succès. Die Schlemmerfilets, von denen ich die tiefgekühlte Sauce abgekratzt und eine Senftunke draufgekleistert hatte, erhielten ihre spezielle Note durch drei Prisen Kreuzkümmel. Überdies legte ich noch einen aufgetauten Flusskrebs aufs Ganze - et voilà: «Ein Rezept aus der Illhäuser?schen 3-Sterne-Küche», senke ich bei all dem Lob bescheiden die Augen.
Innocent hüstelt. Untypisch für einen Anwalt, hasst er Mogeleien.
Beim Wiener Schnitzel, das ich «nach Art der Kronenhalle» vorsetze, verknallts ihn dann: «Das ist mitnichten Kronenhalle. Das ist meine Art. Drei Stunden lang habe ich aus einem alten Butterzopf Paniermehl gemahlen und...»
Die Gäste lachen herzlich.
Und ich lächle mit, wobei ich ihm parallel unter dem Tisch den Fuss ans Schienbein knalle: «Ihr kennt ja seine Art von Humor...»

Donnerstag, 9. November 2006