Von einer rauschenden Suite und Fussball-Fieber in Cannes

Donnerstag - Innocent wollte in Monte Carlo nächtigen. UNBEDINGT.

Wenn ich in Monte Carlo übernachten soll, kann ich genauso gut nach Liebrüti gehen: Hochhäuser im Höchstformat. OHNE MICH.
Eine Trämlerstochter gelüstet es nach schöner Umgebung. Wer an der Oekolampad-Kreuzung aufgewachsen ist, hat ein Recht auf Grand Hôtel mit Blick aufs Meer.
«Immerhin wohnt hier auch der Prinz», verteidigt Innocent spitz sein Monaco, «und was für den Herrn Prinzen gut ist, darf der Trämlerstochter doch wohl recht sein?»
Es ist sehr unchic, das edle Blut einer Tramschienen-Dynastie mit diesem glatzigen Macker, der ja nicht nur auf dem Bob rumspritzt, zu vergleichen.
ICH SAGE NICHTS.
Wir landen irgendwo im Hafen des königlichen Jacht-Clubs und werden mit Maschinengewehren gestoppt.
«WAS WOLLEN??!!»
Ich blinzle der Gewehrschaft anzüglich durch meine Fiorucci-Gläser (hyazinthen-pink!) zu: «Was alle hier wollen - in Ruhe gelassen werden!»
SIE FANDEN DAS GAR NICHT SPASSIG - DER KANDIDAT HATTE NULL PUNKTE.
Auf dem Polizeiposten untersuchten sie zuerst einmal das Gepäck. Als sie Innocents Sauerstoffgerät in die Hände bekamen, bauten sie gleich eine Krise. Hurtig sprengten sie die Apnö-Hilfe in die Luft.
«UND WIE SOLL ICH JETZT NOCH SCHLAFEN?», jammerte der kleine Klugscheisser, dem Monaco stets als das Paradies im Traum erschienen ist.
Dann wurden wir in einem gar kargen Zimmerchen bei Wasser und (immerhin) Brioches kaltgestellt.
Als endlich Onkel Nudelstadt erschien, klopfte dieser einem der Gewehrsmänner auf die Schulter: «Lässee leee laufen, Mössiö... ssö sssong döö Dummi dölla Suisse... e l?Apparätli gö wu awwee dang la Luft geschprängt ete donk sölmang gö lee Suisses pöö wytter guet dormir...»
«Ach Onkel Nudelstadt», schniefte ich dem gütigen ältern Herrn ans Revers, «gottlob bist du gekommen. Das hier ist das perfekte Grauen! Die Fussballreporter sind heilig dagegen...»
Er tätschelte meine Weichteile: «Na, na - du Dussel. Immerhin wohnt hier auch der Prinz...»
DARÜBER BRAUCHEN WIR UNS JETZT NICHT MEHR ZU UNTERHALTEN.

Freitag - «Ich möchte nach Menton», schluchzte ich zu Innocent. «Schon meine liebe Mutter hat immer von Menton und dem rauschenden Meer geschwärmt...»

«Ja», nickte der liebe Freund, «aber das war zur Zeit, als deine Mutter noch Zähne hatte und Menton den Jugendstil...»
ICH WILL NACH MENTON!!!»
Wir hielten vor dem Jugendstil. Und verlangten ein Zimmer.
«Zweiter Stock, Messieurs», lächelte der Concierge.
Um uns herum stand lauernd ein Grüppchen von älteren Damen. Alle Spitzenhäubchen-Typ.
Die erste «Fermez toujours la porte... trois fois... il y a un assassin...»
Die zweite: «L?ascenseur ne marche pas... la dernière fois il est marché il y a 2 ans et demi...»
Die dritte (sprach deutsch): «Der Koch hier ist schwul wie ein Meerschweinchen. Er süsst einfach alles. Spätestens nach drei Wochen haben die Gäste Diabetes...»
Der Concierge verscheuchte die Damen wie eine Herde lästige Hühner: «Hören Sie einfach nicht hin, Messieurs... das sind unsere Pensionärinnen... geschwätzig wie 100 Castagnetten und giftig wie ein Jumbo-Paket Nattern... sie verbringen ihre letzten Jährchen hier, weil sie ihre Kinder schon ins Grab genervt haben... hier ist der Schlüssel zu ihrer Suite...»
Dann hüstelnd: «Leider ist der Lift momentan ausser Betrieb...»
Die Suite entpuppte sich als kleine Kammer mit Klappsofa und Blick auf den Parkplatz.
Das Rauschende war dann nicht das Meer, sondern die Wasserspülungen. Unglaublich wie die alten Damen Drang hatten.
Als dann auch noch das «Carré d?Agneau» mit süssen Zuckerpfläumchen serviert wurde, haben wir den Schlüssel zur Zimmertüre fünfmal umgedreht.

Samstag - In Cannes erwartete uns Onkel Nudelstadt mit seinen knicksenden Zimmermädchen und den buckelnden Portiers: «Heute Abend führe ich euch fein aus...»

Nach den Zuckerpfläumchen war dies zumindest ein Lichtblick.
Allerdings hatten wir die Rechnung ohne diesen verdammten Fussball gemacht. Kaum dass die Kellner im «Martinez» eine erste Auswahl an «Grüsse aus der Küche» aufgebaut hatten, schnalzte der Onkel nach der Rechnung: «Schöö rögrett, mes amis - mä le Mätsch avec lee Suisss commangs en 10 Minüttt...»
Leider stieg im Hotel dann die TV-Antenne aus. Der Onkel schrie bis Cap Ferrat. DA WAR DANN ABER AUSGEBUCKELT!
«Auf dem Rückweg halten wir in San Remo», flüsterte ich Innocent zu. «Meine liebe Mutter hat dort immer...»
«Deine liebe Mutter ist nie über Aeschi bei Spiez hinausgekommen...», giftelte Innocent unfeinfühlig.
Mag sein - aber wenn, dann hätte sie im Grand Hôtel übernachtet.

Donnerstag, 6. Juli 2006