Von silbernen Votivherzchen und dem Abschied vom Sommer

Donnerstag - wie kleine, untergehende Sonnen leuchten die Granatäpfel von den Ästen. Die Quitten sind von dieser gelbsüchtigen Farbe, die meine Mutter jeweils erschauern liess: «Bringt mir nicht diesen überreifen Mist... Quitten müssen grün sein, wenn sie gut gelieren sollen!»
Und Erika hat Hochsaison. An allen Wegbiegungen flammen einem viola-zarte Kügelchen, fein wie Nadelköpfchen entgegen - daneben wird das Auge durch riesige Rosmarinbüsche beruhigt. Zartblau blinzeln ihre Blüten nun über dem fast schwarzen Meer und künden das Ende der Sonnensaison an.
Ich verstaue den Sommer in die Kästen, packe mir für die Reise Winterwarmes ein und sehe, dass die Ernte des Herbsts zu üppig war: drei leicht angeschlagene (doch deswegen eben sehr, sehr preiswerte) Jugendstilvasen, die ich auf dem Samstagsmarkt von Orbetello Filippo, dem kleinen Dorfgauner, abgeluchst habe.
Filippo hat zur Zeit, als ich noch den Messestand betrieb, jeweils silberne Votivherzen unter der heiligen Agatha weggestohlen und sie mir sündhaft teuer verkauft. Schon am ersten Messesamstag sind die Kunden dann Schlange gestanden, um sich so ein Votivherz zu ergattern. Und Filippo hat seine Wucherpreise mit klagenden Schreien hochgejammert: «Aber wenn ich erwischt werde, Signore... meine Familie wäre für immer entehrt... Don Martino würde kein Erbarmen kennen!»
Erst Jahre später habe ich vernommen, dass die Armenkassen von Don Martino und Filippo jeweils «halbe-halbe» gemacht haben - und wenn so ein Silberherzchen irgendwo bei Ihnen an der Wand hängt, so denken Sie daran: Sie haben die Armen unserer kleinen Insel, den Wucherer Filippo und ganz wesentlich auch meine Messekasse unterstützt.

Samstag - Die Anzahl der Pakete, die also von der Insel in die Schweiz reisen müssen, ist erheblich. Neben den eben erwähnten Jugendstilvasen, die Gallé persönlich signiert hat (wie mir Filippo auf die Seele seiner lieben Mutter schwor, welche sich an einem Silvesterabend am eigenen Grappa zu Tode gesoffen hatte), sind da auch zwei uralte Kerzenstöcke, die einst den Altar der Hafenkirche geziert haben. Don Martino ersetzte sie kurzentschlossen durch zwei billige Sparbirnen-Ständer, als ich Kaufinteresse zeigte.
Viel Freude bereitet mir ein 48-teiliges Service Fischgeschirr mit aufgesetzten Terracotta-Muscheln, die eine verspielte Hand mit Silberglimmer überzuckert hat. Der Glimmer wechselt je nach Luftfeuchtigkeit die Farbe von Nachtigallenzungenrosa bis Libellenflügelgrün. Natürlich habe ich das Service nur gekauft, um Innocent so richtig den Gong zu geben.
Er hasst Flitter.
Er ist diese Sorte von Ästhet, der die Kunst in der Gerade kauft: irgendein Stück Schnur an die Wand gepinnt mit Künstlerkatalog, der dann weniger schlicht, sondern in Hochglanz daher- kommt. Alles zum Preis eines Mittelklassewagens.
Oder dann ein Fetzen Karton, der dank meiner Zugehfrau Conception bereits im Papierabfall verschnürt war. Der Karton war von einem berühmten amerikanischen Künstler. Ich brauche hier wohl nicht auszuführen, was ich von der Kunst aus jenem Lande halte, wo man 20 Raucher vor dem Restaurant an einem einzigen Aschenbecher so zusammengepfercht sieht wie die Schweine am Trog.
Gianni kommt nun auch noch mit einer Harrasse, gefüllt mit ersten Mandarinen und letzten Zitronen. Immer wenn ich gehe, hat er verweinte Augen. In den ersten Jahren hat mich dies tief gerührt. Dann musste ich merken, dass er in Vorfreude auf das nun wieder ruhigere Leben bereits mit zünftig Grappa auf meine Abreise angestossen hatte.
Ich beschwöre Gianni zu den Katzen zu schauen. Trotz seiner «ma si... si... si»-Beschwörungen, bin ich mir aber klar bewusst, dass er all meinen Kitekat-Vorrat am übernächsten Mittwochsmarkt zum halben Preis verkaufen wird.
«Arrivederci» - umarme ich Anna-Maria, die mit ihrem verdreckten Daumennagel das Kreuz auf meine Stirne zeichnet.
«Arrivederci» - winken sie nun alle am Tor. Selbst Filippo ist zum Abschied erschienen, um mir noch ganz schnell ein Set mit alten Bronze-gewichten (bei uns sehr gesucht) anzudrehen. Und da ich keine Zeit zum Feilschen habe, wird der Preis so schwer wie die Gewichte.
Tom, mein fitter Vetter, der auf dem Beifahrersitz zwischen zwei Korbflaschen mit dem ersten Olivenöl und drei Wildsauschinken eingeklemmt ist, nuschelt hinter einem Olivenbäumchen, das ich Eva versprochen habe, hervor: «Wenn du noch etwas aufladest, gehe ich zu Fuss...»
Der Dummi. Er weiss nicht, dass am Hafen Raffaela mit einem Blechkanister voller eingelegter Sardellen wartet...

Sonntag - O.k. Man kann den Sommer nicht in die Wintermonate verpflanzen. Aber man kann sich an trüben Novembertagen auch an Erinnerungen aufwärmen.

PS. Riesentheater am Zoll von Chiasso. Ich soll für das Fischservice, die Bronzegewichte und die Gallé-Vasen Zoll bezahlen.
«Blödsinn» - knurre ich. «Das sind Antiquitäten. Und die sind zollfrei...»
«Antiquitäten ja», sagt der Gesetzeshüter zuckersüss, aber das hier ist gefälschter Schund «made in China».
Ihr Lieben - schaut Filippos Votivherzchen nicht allzu genau an...

Donnerstag, 26. Oktober 2006