Von der Dernière in Salzburg und Palatschinken zum Entsorgen

Donnerstag - «Das hohe C tönt immer gleich - egal ob an der Premiere. Oder an der Schlussvorstellung.»

Das war Innocent.
Und das war das Wort zum Tag von einem, der sein hohes C nur im Büro singt.
«Es macht sehr wohl einen Unterschied!» - gebe ich es ihm honigsüss. «Die Spannung an der Premiere ist sechs Mal explosiver als an der letzten Vorstellung. Das ist wie mit einer Jungfrau. Weshalb wollen alle diese Macker Jungfrauen haben - he?»
Innocent ist verwirrt. Das nutze ich aus. Und setze zum Schlussstich an: «? und deshalb ist das C einer Premiere mindestens dreifach so hoch wie an der 24. Vorstellung?»
Innocent dumpf: «DIE PREISE AUCH!»
Nun setze ich aufs dramatische Fach - und schluchze im Crescendo: «Immer nur der oberste Rang... immer nur die Schlussvorstellung? sie kommen an den Dernièren in ihren seltsamen Werktags-Tschackerln und ohne ein Krönchen im Haar. Dann hocke ich mutterseelenalleine auf diesem Flohbühnenplatz in Mooshammers (GOTT HAB IHN SELIG) Reinseidenem und fühle mich wie das Dior-Fläschchen inmitten der WC-Enten. DAS HAT MEINE MUTTER FÜR IHREN KULTURELL INSPIRIERTEN SOHN NIE GEWOLLT?»
Innocent bleibt von solchen dramatischen Szenen unberührt.
Stoisch puzzelt er seine Zahlen in diese verdammten Sudokus: «Deine liebe Mutter hatte das Mittwochs-Abonnement im Morgarten-Kino? so viel zum kulturellen Umfeld der 6er-Tram-Sippe. Und nun gib endlich Ruhe.»
SUDOKURUH!
Nicht mit mir.
Ich jage zum Wäscheschrank und knalle ihm das vergilbte Deckchen mit dem gestickten Kleeblatt und dem gestichelten Zweizeiler hin:
Das Glück im Hause nie versiegt,
wo Gott der Seele Frieden gibt.
«Hier», tose ich - das ist noch aus dem Nachlass der Deinen.»
Seine Sippe stickte kulturell im Kreuzstich-Verein.

Samstag - «? Nahmts wenigstens a Pausenschmankerl mit - y sog immer: Mehr als e holbs Stunderl Gsang macht en hohlen Bauch!»

Die «Schmankerl» waren zwölf Stück Palatschinken, die Lieselchen mit der Konfitüre von Marillen, was Aprikosen sind, gefüllt hat.
Ich beschloss, das Fresspaket auf dem Weg ins Salzburger Festspiel-Haus zu entsorgen, aber dieser Weg ist noch schlimmer als AESCHENPLATZ-BAHNHOF SBB: nirgends auch nur ein Abfallkörbchen. Nur lustige Ständlein, an denen die Sektkorken knallen. Oder dann dieses Angebot an Mozart als Kugel auf Marzipan-Gianduja-Basis.
Vor dem Eingang zu den Treppen, die in diese Wahnsinnshöhen führen, wo die Luft dünner und die Preise auch so werden, habe ich dann das Paket mit den noch lauen Palatschinken unauffällig auf eine Steinbank gelegt. Schon im zweiten Rang, auf Höhenmeter 54,7, hat mich einer der livrierten Torhüter eingeholt. Mit seinen weissen Handschuhen streckte er mir angeekelt das Paket entgegen, das bereits erste Fettflecken zeigte: «Sie haben da etwas auf der Steinbank vergessen, werther Herr!»
Der werthe Herr drückte die Palatschinken genervt an sich. Und nun waren die Fettflecken auf Moosis Rotseidenem.
Ich habe daraufhin die Palatschinken von Lieselchen unter dem Holzsitz verstaut, und da ging der Zauber auch schon lüpfig ab der Geige los. Ein blütenweisses Bühnenbild mit blütenweissen Frauen in blütenweissen Dessous versprach den Don Giovanni einer andern Art. Na ja - jedenfalls kam man sich gleich mal vor wie im Schaufenster von Calida - nur dass da einer eine gewisse Anna vergewaltigen wollte, was diese bis zum dreifach gestrichenen F schreien liess.
Innocent war schon hin und weg, rutschte in Extase zu den höchsten Tönen hin und her, bis ihn sein Hintermann auf die wattierten Schultern tippte: «Stellen Sie gefälligst das Handy ab!»
Ich kehrte mich entschuldigend um: «Das ist nicht sein Handy. Es sind seine Hörapparate. In Höhenluft reagieren die übersensibel - und wenn er sich nur ein bisschen bewegt, dann?»
PIIIIP? PIIIP? PIIIIP!
«Pschhhht!» - zischte meine Nachbarin zur Linken erbost. «Das ist die beste Stelle? passen Sie doch auf!»
«Nein», beruhigte ich sie, «die Nacktszene kommt erst im zweiten Akt?»
Aber nun hub ein Gehiepe und Gezische der Umgebung an. Unflätige Wortgeschosse wie «Pöbel», «unverschämtes Pack», «Kultursäue» durchsiebten die Luft und «PIIIP? PIIIP? PIIIP».
«Wasss-iss-denn-los?», hielt Innocent sich die Hand ans Ohr. Kurz danach hat uns der livrierte Aufseher mit den weissen Handschuhen rausgewunken.
«Nächstes Jahr gehen wir an die Oberammergauer Festspiele», drohte Innocent.
«Wir kaufen Ihnen die Billette», röhrte die ganze Sitzreihe.
«So eine Schande?», heulte ich wieder mein Crescendo in Mollig und Dur. «? weshalb kannst du nicht ein stummes Hörrohr nehmen wie dein toter Vater auch??»
Zu Hause drückte uns Lieselchen an ihr grosses Herz: «Na Buaberln - ihr seids aber früh? hamm die Palatschinkerln gschmeggt??»
Die zumindest ruhten entsorgt unter dem Stuhl auf Höhenmeter 76,3.

Donnerstag, 21. September 2006