Donnerstag - Herbstmesse ist immer ein bisschen trauriges Zauberland, das mit den zarklebrigen Süssfäden der gesponnenen Zuckerwatte umgarnt wird.
ICH MEINE: HERBSTMESSE ERINNERT MICH DARAN, DASS DER SOMMER ABGEKÜHLT IST - WIE EINE ABGESTELLTE HERDPLATTE.
Und die Marroni auf dem Rost knallens Dir hart in die Ganglien: «Heee Dicker - hol schon mal den Nierenschutz aus der Schublade. Der erste frostige Morgen kitzelt wie tausend Nadelstiche um deine Speckhüften.
«Bin froh, ist der Spuk passé!» - das ist Innocent. Das Strickmuster seiner persönlichen Sentimentalität ist ähnlich romantisch gestrickt wie eine Fabrikhalle voller Dosenkonserven. Immer steril verschlossen. Nur ein Fläschlein vom guten Roten bringt etwas Luft...
Innocent schaut wehmütig auf die zahlreichen Kisten, die im Hausgang herumstehen: «Trotzdem - Du musst dich endich damit abfinden, dass die Messe auch für dich vorbei ist. VOR ALLEM PUNKTO EINKAUF. Weshalb um alles in der Welt bestellst du 2500 Espressotassen, wo wir doch zum Frühstück nur Tee trinken...?» DANN ZIEMLICH GIFTIG: «Und sag mir jetzt nicht, das seien die Weihnachtsgeschenke für meine Sekretärinnen...»
Sind es natürlich nicht. Nein. Die Sachen sind das Resultat der nun überall propagierten Internet-Einkauferei.
Also: Als meine beiden Freunde Dominik und Heinz in Italien zu Besuch waren und ich ihnen ein kleines Strandcafé zeigte, das nicht nur einen Tintenfisch anständig zu frittieren versteht, sondern auch den Ristretto in zylinderförmige, kalkweisse Tassen zischen lässt - als die beiden also beeindruckt von Form und Tasse die felliniartige Umgebung mit den kreischenden Möwen, dem einarmigen Muschelhändler und den augenlosen, toten Puppen im Sand gar nicht mehr in sich aufnehmen konnten, weil ihr Sinnen nur noch um das eine kreiste: «Darin servieren wir künftig den Espresso an unsern Einladungen und MANNOMANN! so viel Chic soll uns einer dann mal nachmachen...!» - also da habe ich als netter Gastgeber diese Tintenfisch-Trine natürlich gefragt, ob man solche Tassen kaufen könne. Doch die herzlose Frittiererin hat nur giftig abgewunken: «No, Signore!» Sie ist eine klare Fremdenhasserin oder war einfach nur sauer, weil ich ihre «Spaghetti carbonara» als etwas zu nahe am Salz gebaut empfunden habe...
Nun hat unsereins allerdings nicht umsonst 30 Jahre den Tschumpel an einem 3-Meter-langen Messestand gemacht.
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Also habe ich sofort die Tasse umgekippt, wie meine liebe Mutter, wenn sie auf Besuch war und das Porzellan der Gastgeberin nach Meissen-Schwertern oder «BAVARIA» untersuchte - ich kippte also die Tasse und damit leider auch den halben Espresso auf mein weisses T-Shirt mit der Aufschrift «PAPAS LIEBLING». Unter der Tasse habe ichs dann gesehen: «Tazzina Napolitana».
Das T-Shirt wurde in Perlwoll gebadet und die Adresse im Internet herausgesucht: «Ihr sollt eure Tassen haben!», sagte ich grossmütig zu Heinz, der ebenso säuerlich wie eine zu lange eingelegte Gurke auf die Absage der Tintenfisch-Lady reagiert hatte.
Natürlich wollte die Fabrik Referenzen. Wer ich sei? Was ich tue? Wovon ich leben würde? Na ja - der übliche Zirkus: sag mir, wer du bist, und ich nenne deine Kreditmöglichkeiten.
Da es in der heutigen Zeit nicht mehr ratsam ist, den ehrbaren Beruf eines Journalisten offen zuzugeben, weil dieser beim Volk nicht mehr für die ehrbare Münze von einst genommen wird, habe ich gesagt: «Stand. Ich habe einen Messestand. Dort verkaufe ich die Tassen.»
Daraufhin der Fabrikant. «Va bene - die Mindestbestellung liegt bei 2500 Tassen!»
Heinz muss gespürt haben, dass Schwierigkeiten wie graue Regenwolken im Anzug waren. Jedenfalls hat er die Stirne gerunzelt und da wollte ich nicht so sein: «Va bene» - sagte auch ich.
Und nun sind sie im Hausgang. 52 Kisten zu je 48 Stück. Und vier separat verpackte Tässchen. Sowie das Couvert mit der Rechnung. Letztere schwankt im Bilanzenbereich, den man ansonsten für die Einrichtung eines 600-Betten-Hotels budgetiert. ABER IMMERHIN:TAZZINA NAPOLITANA! Das hat nicht jeder. Und schon gar keine 2500 Stück.
Innocent, der mindestens so säuerlich dreinschaute wie Heinz vor dem Tassenhandel, tropfte sein Beruhigungsserum wie wild auf Würfelzucker. Und schaute dann mit diesem glasigen Blick, den Boxerhunde mitunter vor Metzgerei-Schaufenstern entwickeln. «Ich werde mich der Sache annehmen... aber das ist das letzte Mal!»
Das hat er letztes Mal auch gesagt.
Mittwoch - Am Telefon ist Heinz. Seine Stimme ist Essig pur: «Innocent hat uns 12 Tassen und eine Rechnung geschickt...»
«Ach ja?»
«Ach ja! Für diesen Preis hätten wir das idyllische Strandhüttchen samt Tintenfisch-Fritteuse kaufen können!»
Ich versuche es auf die scherzhafte Art: «Ihr kennt ja den alten Rappenspalter...»
Nun wird die Stimme von Heinz aber eisig: «Ja. Eben. Und als wir gestern an einer Einladung erstmals den Espresso in diesen Tassen servieren wollten, haben alle unser Freunde aufgeschrien: WAS - IHR HABT DIE AUCH?! Was sagst Du nun?»
Eines muss man Innocent lassen: Er hat an der Messe viel gelernt...