Vom Pulver gegen Frühlingsgefühle und Mollenkopf

Dienstag - Der Frühling stupft.
UND NICHT NUR DER FRÜHLING.
Es stupft alles. AUCH MOLLENKOPF, UNSER INSELKATER UND OBERSTUPFER.

Nachts heult er in Liebesweh wie ein liegengebliebenes Baby.
Alle zwei Stunden trottet Tom, mein fitter Vetter mit verschlafenen Augen und einer wassergefüllten Blumenvase aus dem Schlafzimmer. Er schüttet das Nass über den Mauzer: «Tschuldigung Mollenkopf - aber jetzt wird gepennt!»
Nach einer halben Stunde fängt das Konzert wieder an. Und mein Vetter Tom brummt weinerlich in die Kissen: «Der ist heisserer als ein Atomkraftwerk? Weshalb musst du ihn auch immer noch mit diesen eiweissstarken Hühnerbrüstchen füttern?»
DAS IST DER NEID DER BRUNSTSCHWACHEN.
Neid schüttet sich auch von Gianni über den Kater. Säuerlich, beobachtet er, wie ich dem Prachtvieh den Bauch kraule. Mollenkopf schnurrt in verklärter Wohligkeit wie ein alter Saurer-Lastwagen im Leerlauf.
«Sie verwöhnen den alten Rammler viel zu sehr», jammert Gianni.
Ich werfe dem Gärtner einen gereizten Blick zu: «Ich kenne andere alte Rammler, denen ich ganz anders ans Fell gehen werde, wenn sie mein Mollenköpfchen nochmals am Schwanz rumzwirbeln.»
Gianni hüstelt schuldbewusst.
Er hält die Hand schützend vor seine halb zugeknöpfte Lade. Und weiss der Teufel, warum die Italiener immer gleich den Hosenschlitz abdecken, wenn von einem Schwanz die Rede ist.
IRGENDWIE IST DAS JA HYSTERISCH.
Die benehmen sich wie Fussballstürmer vor dem gegnerischen Direktschuss.
Ohne meinen persönlichen Schutz wäre mein schnurrendes Mollenköpfchen natürlich längst Braten alla Nonna.
Gianni hat da sein eigenes Rezept.
Aber da dieser geile Staudenstecker weiss, dass ich beim nächsten Mal, so er wieder Katze als «coniglio» auftischt, sein mieses Verhältnis mit der noch mieseren Amerikanerin vom andern Hügel dem Pfarrer beichten werde, seither hält er sich zurück.
DER PFARRER BESTRAFT NÄMLICH NICHT NUR MIT ROSENKRÄNZEN. DER PREDIGT AUCH NOCH FACTS MIT NAMEN VON DER KANZEL.
Ich meine: Da ist in der Kirche so viel los wie in Röschenz.
Zurück zu unserm alten Sünder: ER IST PUNKTO KATZEN STINKESAUER.
Und schaut unsern Kater an wie Herr Bush einen Gauloise-Raucher.
«Man könnte ihm wenigstens ein bisschen etwas Dämpfendes unter das Futter mischen, Signore. Sonst haben wir in der Umgebung wieder 250 Jungkatzen?»
Gianni zeigt mir ein weisses Papiersäckchen: «Das hat mir Arnoldo, der Farmacista, gemixt?»
Ich nehme das Tütchen dankend entgegen.
Vermutlich ist es dasselbe Jod-Pulver, das sie zu jenen Zeiten, als die Spermien noch schneller spermten, den Schweizer Rekruten unters Essen gemixt haben.
SO ETWAS KOMMT MIR GERADE RECHT.
Mein Vetter hat nämlich das Objekt seiner frühligen, fröhlichen Begierde in Basel zurückgelassen.
Da staut sich einiges.
Auch der Neid gegenüber Mollenkopf, der alles rauslassen kann.
Heute Abend werden die Spaghetti aglio-olio also nicht nur mit Knoblauch gewürzt?

Donnerstag - Das hysterische Lachen der Möven, die hier stundenlang über der Abfallmulde der Insel kreisen, hat etwas Beängstigendes.

HITCHCOCK-VÖGEL LIVE - UND ZUM HÜHNERHAUT KRIEGEN.
Die alten Inselweiber erzählen sich die Geschichte von den betrogenen Ehefrauen, die einst beschlossen hatten, den Gespielinnen ihrer Männer in einer mondlosen Nacht die Kehlen durchzusäbeln.
Als die Männer das Blutbad und ihre abgeschlachteten Freudenweiber entdeckten, sollen sie mit spitzen Dolchen bewaffnet gegen ihre Frauen losgezogen sein.
Diese retteten sich schwimmend ins Meer. Die Männer verfolgten sie. Und da sie stärker waren, holten sie sie bald einmal ein.
Schon blitzten die Dolche. Da lachten die Frauen aber plötzlich schrill auf. Sie verwandelten sich in Möven. Und flogen ihren Männern davon. Diese aber waren gelähmt vor Schreck.
«Sie gingen alle in einer Welle unter, die» - so endet die alte Pedrossi immer die Geschichte in der Bar Centrale vor dem sechsten Gläslein Limoncello - «zehn Mal so hoch war wie der höchste Glockenturm auf unserer Insel. Und ihr wisst ja wie hoch der Turm von San Giuseppe ist?»
«Ich mag die Möven nicht», knurrt Gianni. Und schaut zum Himmel, wo sich wieder ein Schwarm der weissen Vögel vom Wind tragen lässt. «Alles fliegende Ratten?»
Dann schaut er mich misstrauisch an: «Wo ist übrigens das weisse Päckchen, das ich Ihnen gegeben habe, Signore? Ich habe es verwechselt. Es sind Stangenbohnen-Samen drin.»
Ich schaue schuldbewusst zu Tom mit seinen schwarzumränderten Augen.
UND ALLES IST KLAR.

Donnerstag, 1. Juni 2006