Vom Besuch im Nobelhotel und wozu ein Doktortitel gut ist

Donnerstag - «Wir werden in der Pension?Mandelbaum? wohnen...»
Das war Innocent. DER AHNUNGSLOSE.
Für München habe ich nämlich bereits das «4 Jahreszeiten» reserviert.
O.k. Ich weiss, dass er ausrasten wird. Er wird toben, Schaum vor dem Mund bilden und die Augen rollen, wie eine türkische Animations-Tänzerin ihren Bauch.
ABER ICH HABE IM «4 JAHRESZEITEN» BESTELLT, WEIL ICH SCHON ALS KIND VON SOLCHEN HOTELS GETRÄUMT HABE.
Wohl gemerkt: NUR geträumt. Die Realität waren Berghütten und schnarchende Männer im Stroh.
UND DESHALB HABE ICH NACHHOLBEDARF.
Das ist wie Wienerschnitzel nach einer Abmagerungskur. HAST SIE DIR REDLICH VERDIENT UND KANNST GAR NICHT GENUG DAVON KRIEGEN.
Schon als ich anrief, war im «4 Jahreszeiten» eine sonnigere Stimmung als in der grauen Pension Mandelbaum. Letztere kenne ich von den vergangenen 43 Mal, als wir in München waren.
«Servus - was wollns denn?»
«Ich hätte gerne ein schönes Zimmer mit...»
«A Stuberl wollens. Ja freilich. Ober s Klosett ist naussi im Gang und woschen müssens d Füss schon im Lavabo...»
Er sagte Lavapoo.
Meinen Vater hätte das nicht gestört. Der übernachtete ja auch an einem Seil angehängt zwei Tage in einer vereisten Bergwand, während Mutter mit roten Augen bereits die Lebensversicherungs-Policen sortierte...
Wer aber eine Jugend lang das beste Stück Fleisch dem Vater und Ernährer der Familie überlassen musste, hat NACHHOLBEDARF. Deshalb pfeife ich auf das Etagen-Klo in der Pension Mandelbaum.
«... und auf welchen Namen darf ich die Suite reservieren?», das war die taubengurrende Stimme der noblen Welt vom «4 Jahreszeiten».
«Für Herrn Innocent. DOKTOR INNOCENT.
Das schnallen die Menschen auch nie wirklich - NÄMLICH: Natürlich muss der DOKTOR erwähnt werden, wenn er Eindruck und bessere Zimmer machen soll. Da musst du dieses alberne Gesülze und Geziere wie «ich gebe den Titel nie an» rigoros vergessen.
Innocent baut da stets eine Oper: «Das tut man nicht... man kann das auf der Visitenkarte angeben, aber nicht mündlich und wenn, dann nur in gestochener Schrift. Überhaupt hast du einen Spleen mit solchen Nichtigkeiten wie Professoren oder Doctores und...»
Mein Vater hatte auf seiner Visitenkarte: Hammel TST gedruckt. GESTOCHEN.
TST wertete den gewöhnlichen Hammel auf. Als Innocent ihn einmal nach der Bedeutung dieses Titels fragte, streckte Vater sich um zehn Zentimeter: «Trämler Sechser-Tram.»
UND WER SAGT DA NOCH, ICH HÄTTE DEN DOKTORTITEL UND DAS «VIER JAHRESZEITEN» NICHT REDLICH VERDIENT...?

Montag - Natürlich bekam er den Gong, als die nette Rezeptionistin mit dem adligen Titel auf dem Namensschild lächelte: «... ich werde Sie persönlich in die Präsidenten-Suite führen!»
Zuerst schnappte er nach Luft.
Dann warf er zwei Coramine ein.
Und schon kullerten ihm die Tränen über die rotflammenden Backen: «PRÄSIDENTENSUITE... ja bist du denn total vom Aff gebissen?! Was kostet das...»
Er nahm die adlige Empfangsdame am Ärmel und japste asthmatisch: «Liebes Fraueli - das ist ein ganz schrecklicher Irrtum. Mein Freund meint noch immer, er sei Ali Khan und würde jedes Jahr mit Gold aufgewogen. Ein Heer von Psychiatern kämpft gegen diesen Wahn an. UND HABEN SIE NICHT IRGENDWO EIN RUMPELKÄMMERCHEN MIT EINEM WASCHTROG?»
Die Empfangsdame lachte hell auf: «Sie anonymer Scherzkeks. Wir wissen doch wer Sie sind, Herr Doktor...»
Innocent stöhnte auf. Dann zu mir: «Du Dummfurz - der Doktor kostet beim Personal immer einen Extra-Fünfer Trinkgeld mehr...»
Na ja - es war dann wirklich sehr schön in diesen Räumen, die nach dem Präsidenten genannt werden, wo aber niemand weiss, welcher Präsident es ist. Alle 10 Minuten dingdongte es an der Tür und ein Lakai schleppte «Grüsse von der Direktion» an.
Nachdem Innocent auch den vierten Kellner, der einen Korb mit Früchten trug, mit einem Euro verabschiedet hatte (und einen Blick erntete, der mindestens so sauer war, wie die Aprikosen im Korb), weigerte er sich beim fünften Ding-Dong, zu öffnen. «Die zocken einem doch mit all diesen Trinkgeldern eiskalt ab», flüsterte er. «Pssst!», flüsterte er. Und hielt den Finger an den Mund. Dann spähte er durchs Guckloch.
Draussen stand der Hoteldirektor mit einem Blumenstrauss - «Hallo Herr und Frau Doktor...»
«Stell dich tot!», zischte Innocent zu mir.
Aber da wurde die Tür auch schon geöffnet: «Herzlich willkommen...»
Der Herr Direktor musste über den Irrtum mit der Frau Doktor herzlich lachen - er ist eine Gemütsnudel. Und als wir gingen, schob er uns das Gästebuch zu: «Alle Bewohner der Präsidenten-Suite schenken uns einen netten Spruch...»
Innocent hat für solche Fälle immer dieselbe Floskel bereit: «Auf diesem Hotel liegt ein Fluch - und der Fluch heisst Gästebuch.»
Aber unterschrieben hat er mit DOKTOR INNOCENT.

Donnerstag, 17. August 2006