Von einer Landung in Rom und dem schreienden Kind

Donnerstag - Römische Woche! Wie sich das anhört. Als ob es Bonbons regnen würde.
DIE WIRKLICHKEIT: STRESS HOCH ZEHN!
Der Stress fängt schon auf dem Kleinflughafen Ciampino an.
Bis dorthin gehts noch easy. Alles munter-heiter. Die Crew singt «Ciao-ciao Bambina» und tut es aus vollem Herzen, weil sie den kleinen neapolitanischen Schreibalg, der sich von Basel bis Rom die Lungen rausbrüllt, endlich von Bord hat entsorgen können.
Die Mutter drückt das Frischgeborene an ihren üppigen Busen, so dass das Kind später einmal eine flundernflache Boxernase haben und die Mamma für ihre Busendruckerei zur Hölle verwünschen wird - der Ehemann sammelt derweil mit dem verklärtem Gesicht des Jungvaters alle Windeln, Schnuller, Fläschchen und Gummitierchen ein. Er strahlt dieses schreiende Ungetüm mit diesem irrealen Stolz des Erzeugers an, den Aussenstehende und Wurzelverstockte nie (NIE!) verstehen werden.
Selbst Ausseriridische sind mir näher.
ABER: WIR SIND GELANDET. UND DAS IST DIE HAUPTSACHE.
«Ein reizendes Kind», schleimte ich zum gut aussehenden Vater beim Runtertreppeln vom Flugzeug.
Natürlich müsste ich laut meinem Lebensgefährten Innocent nun einen öffentlichen Billig-Bus besteigen.
Innocent nimmt immer den Bus.
Man verliert in Italien zwar mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gut 2 bis 3 Stunden, weil der Chauffeur gerne mal ein Schwätzchen hält und irgendeine Tante auf Sitz 3 ganz, ganz dringend mal muss, weil sie - wie sie lächelnd allen Reisenden ihre pralle Blase erklärt - zuviel Orangensaft getrunken habe.
Ich will nicht hadern - ich will nur erklären, weshalb ich diesen Bus, der mich nach Roma Termini fahren würde, nicht besteige und zum Taxi-Stand weible.
ALLERDINGS - ICH HÄTTE DEN ÖFFENTLICHEN BUS GAR NICHT BESTEIGEN KÖNNEN! DIE BUS-FAHRER STREIKEN NÄMLICH.
Die Bus-Männer wollen von der Regierung Prodi mehr Beachtung, mehr Freizeit, mehr Lohn und weniger Kritik. Das entnehme ich zumindest den handgeschriebenen Prospekten, die ein Heer von Trillerpfeifenden beim Ausgang des Flughafens himmelwärts hebt. Na ja - alles Flehen dieser Welt geht himmelwärts (und nicht direkt zu Prodi), auch meines, wie ich sehen muss, dass die Taxi-Fahrer sich dem Streik ihrer Bus-Kollegen angeschlossen haben. Die Taxi-Fahrer fordern: mehr Konzessionen, mehr Taxi-Plätze, Polizeischutz für alle.
Rund ein halbes Tausend Menschen stehen ratlos am Arsch der Welt (und als solchen haben schon die Römer das Fleckchen unweit der Appia Antica auf der Landkarte bezeichnet), hocken auf ihren Koffern und wissen nicht, wie ihnen geschieht. Inmitten der Menge: das brüllende Kind, das nun die purpurne Farbe einer Kardinalsuniform angenommen hat.
Da ich nur Handgepäck habe, kann ich mich nicht auf solches hocken, sondern stehe mir die Beine in den Bauch - diese Beine, in denen die Krampfadern wieder derart heftig pochen, wie der Nikolaus an die Türe.
Ein englischer Tourist, der mit einer Billig-Linie gelandet ist, tobt auf ganz unbritische Manier in die Runde: «SHIT. SHIT. SHIT... ARE WE IN AFRICA?»
Eine Dame aus Lyon schaut ihn böse an. «Ah non - Afrique c?est mieux.»
Und die vielen Italiener haben zwar kaum ein Wort verstanden, merken aber, dass diese bissigen Ausländer böse mit ihrem Land sind. Und wenn die Italiener eines nicht ertragen, dann Schelte an ihrem Vaterland. DA SOLLTEN DIE HELVETIS ABER MAL IN DIE SCHULE GEHEN!
Sofort solidarisieren sie sich, brüllen zwar durcheinander, aber sagen dem Engländer klipp und klar, er solle mal vor seiner eigenen Königin wischen. Ein Land, das zum Frühstück geräucherten Baccala reinschlinge, sei eh nicht ernst zu nehmen.
Dann bekreuzigen sich alle, aber nicht um IHN anzurufen, sondern ganz praktisch: Sie greifen zu SEINEM Sprachrohr, das er ihnen als Gnade und in handlicher Handy-Form in dieses Jammertal geschickt hat. Finger tanzen wie hektische Stepperinnen über die Tasten - alle reden in wildem Durcheinander auf die Apparätchen ein. Und kaum 30 Minuten später fährt ein Konvoi von Autos bei Ciampino vor: Zia und Nonno... Cugina und Suocera... in diesem Land ist man gewohnt, auszuhelfen, wenn der Streik alles lahmlegt.
Jeder hat irgendeinen Onkel oder eine Liebste, die ihn mit dem Auto abholen kommt.
NUR ICH STEHE DA.
Mein Onkel hockt in Cannes bei einer Massage.
Herr Innocent klebt Rabattmarken in Basel.
WIE KOMME ICH NUN NACH ROM REIN?
Da in Rom meistens ein Gelübde zu den Wolken Hilfe verspricht, verspreche ich IHM mit dem Nägelkauen aufzuhören. Und den geplanten Cashmere-Mantelkauf zu annullieren.
Neben mir brüllts. Der junge Vater lächelt mich an: «Wollen Sie bis in die Stadt mitfahren?»
Sie haben mich bis vor die Türe gefahren. Ich habe mich mit einer Riesentafel «Cailler mit Nuss» revanchiert.
Und siehe da - als das Kind die Schokolade sah, verstummte das Gebrüll. Es reckte seine wurstigen, kleinen Fingerchen danach.
Ich muss zugeben: ein sympathisches Kind.

Donnerstag, 16. November 2006