Vom englischen Butler und wie sich alles ändert

Donnerstag - Das Unangenehme an England ist, dass sie anders stecken.

Das Angenehme: dass es so nette Leute sind.
Ich hocke also vor der Steckdose wie die Katze vor dem Mauseloch.
ABER NICHTS GEHT.
Die Löcher sind hier anders. Irgendwie eckiger. Gar keine Löcher, sondern kleine Tunnel. Und da lampt mein Computerstecker drin wie die Bratwurst in der Turnhalle.
Telefon zum netten Concierge. Und der verspricht mir, einen Mann heraufzuschicken.
MANN IST IMMER GUT.
BESONDERS WENN ER SICH MIT DIESER STECKEREI AUSKENNT.
Dingdong.
Das war die Zimmerglocke. Und vor mir steht ein älterer Herr, der auch schon um acht Uhr morgens einen Frack trägt. Die Kembserweg-Omi hätte ihm jetzt auf die wattierte Schulter geklopft: «Was ist Alter, gehen wir an den Morgestraich?» Aber die Kembserweg-Omi ist nie über Herisau hinausgekommen.
Die Arbeitskleidung des Butlers ist der Frack. Und wenn ich mir vorstelle, das Theater, das unsere Annick jedes Mal macht, wenn sie mal ein weisses Schürzchen anschnallen sollte?
Na ja - die gute, alte Zeit: OH BRITANNIA, DU HAST SIE NOCH.
«I?m George», sagt der Befrackte. Und verneigt sich leicht.
George spricht dieses Englisch, das uns die Lehrer am alten Gymnasium vergeblich einzupauken versucht haben. Mit phonetischen Sprachübungen wurden unsere Zungen so weich geschleudert wie Soft-Ice: THE CAT HAS A PINK TONGUE - «sse kätt häss ä pinkk tankkk».
Wir haben damals gelernt, dass es das miese orale Wischiwaschi der Cockneys gibt. Da tönt die Sprache, als hätte sie einer durchs Passevite gedreht. So etwas darf keiner vor vornehm Befrackten in den Mund nehmen.
DESHALB: Das hier ist ein «battler» und kein «böttler».
Er bringt auch nicht einen «cöpp off tii», sondern einen «capp of tii». Und den darf man keinenfalls schlürfen.
George brachte weder cöpp noch capp. Sondern meinen Überbrückungsstecker.
Er äugte auf meine Unterhose mit der Aufschrift «CALL ME HONEY!» und sagte nichts.
Georges Morgengabe ist ein Stecker, der vorne zackige Pole und hinten zartere Löchlein hat, als das, was die Briten so gewohnt sind.
«We charge twenty Pounds, Sir», sagt George. Er sagt das nicht zu mir, sondern in die linke Ecke, wo mein Koffer offen steht. Der Koffer offenbart ein unsagbares Wirrwarr von Hemden, Jeans, Pullovern und getragener Leibwäsche, die dringend der Reinigung bedürfte.
Ich beige die Sache George aufs Silbertablett. Und dann so vornehm, wie es mir der alte Gugolz beigebracht hat: «Ssse cättt häss ä pinkkk tankkk!»
George verneigt sich schaudernd. Aber er hat begriffen.
Ach so: Der Überbrückungsstecker funktionierte tadellos. Sonst wäre dieses Mimpfeli nie zustande gekommen.
«Marvellous thank you Georges.»
Letzteres mit weichem, schäumendem: «tschhhhh.»

Freitag - Leute wie George sind englische Museumsstücke. Touristen können sie noch bei Fortnum and Mason als Konfitürenverkäufer bewundern. Oder in diesen Agatha-Christie-Filmen, wo immer ein Befrackter mit Tee zur Stelle steht.

Ansonsten sind die englischen Butlers wie auch die Melonenmännchen in der City reine Staffage des Verkehrsvereins.
Selbst das Lion?s Tea House sucht der London-Besucher heute vergebens.
Als junge Austausch-Eleven haben wir uns hier kulinarisch und finanziell über Wasser gehalten. Ein Gurken-Sandwich sowie eine Riesentasse Tee kosteten damals «tappens». Eigentlich «two Pence». Aber da nur die Cockneys und ich im Lion?s Tea House verkehrten, durften wir das Getränk schlürfen und «tappens» sagen.

Samstag - O.k. O.k. Ihr könnt euch wieder einkriegen und die Nase entrümpfen.

ICH WEISS, DASS DER GRAND PRIX D?EUROVISION KULTURELL NICHT MIT SCHOPPENHAUER ZU VERGLEICHEN IST.
Aber das Kultur-Tussi lässt sich diesen Abend nicht nehmen.
George hat mir Sandwiches aufs Zimmer gebracht. Dazu «a bottle of Mineralwater - sparkling».
«Sparkling» - das klang klar nach Sparangebot. Aber als ich die Bestellung quittieren musste, entdeckte ich, dass es in England immer noch billiger ist, durch den Kanal zu schwimmen, um in Paris im Champagner zu baden, als sich eine Flasche Wasser aufs Zimmer bringen zu lassen.
GUT. GUT. DA WAR ICH SCHON MAL GANZ SCHÖN MIES DRAUF. Ich stellte mir Innocents Lamento beim Eintrudeln der Visa-Rechnung vor und bestellte noch ein Stück von diesem sündhaftteuerguten Chocolate-Cake («tschoggletkeiik»).
Als ich dann nach vier durchgesungenen Stunden zuschauen musste, wie die ganze Eurovisions-Welt diesen Horror-Figuren aus Finnland die Punkte zuschanzte, da wusste ich, das ist das Ende der guten, alten Zeit?
«IT?S A FUCKING BIG SHIT», tobte George.
Er sagte «fökking». Nicht «fakking».
Nichts wird mehr wie früher sein.

Donnerstag, 22. Juni 2006