Von Patchwork-Familien und Hefe gegen unreine Haut...

Donnerstag Holger und Jasmin kamen zu Besuch.
Eigentlich sind die zwei ganz allerliebste Kids.
Gut. Holgers Piercings sind nicht jederfraus Sache. Irgendwie gewöhnungsbedürftig: Augendeckel, Oberlippen, Nasenflügel? alles silbrig durchstochen. Ein bisschen erinnert es an Kembserweg Omis Gufenkissen. JA VERDAMMT UND ZUHGEPIERCT? WESHALB LASSEN IHM SEINE ALTEN SO ETWAS DURCHGEHEN?!
Jasmin hingegen ist die fleischgewordene Barbie-Puppe unserer heutigen Label-Welt: Das Kind trägt doch bereits mit 15 den Shawl von Hermes und die Tasche von Gucci.
Ich will mich hier nicht einmischen? obwohl mir der schwere Gestank von Frau Chanels Duftwolke 5 noch wochenlang bleischwer in den Vorhängen haften wird. Da ich keine eigene Brut habe, steht mir eine Wertung über eine andere nicht zu. Nicht ÖFFENTLICH. IN mir aber schreit es: WAS TUT IHR EUCH AN, KINDER!?
Nach aussen mime ich mega Coolness. Absolute Toleranz. Selbst Holgers schwarzgelackte Zehennägel nehme ich einfach nur zur Kenntnis? ich tue, als hätte ich als 10-Jähriger schon mit schwarzgelackten Zehennägeln geglänzt. HABE ICH JA AUCH. Allerdings wars «Nachtblau» von Elizabeth Arden. Und besser aufgetragen.
Beide Kinder sind also im aufmüpfigen Alter. Der Bub brettert auf dem hartgepflasterten Weg der Punker-Welt. Das Girl stöckelt geziert als das, was man zu meiner Zeit mit «Hermes-Schnalle» umschrieben hat.
DOCH WIE GESAGT? ICH VERBLASE MIR JEGLICHE EINMISCHUNG UND ERWÄHNE GANZ BEILÄUFIG (WIRKLICH NUR SO NEBENBEI), DASS FRISCH-HEFE GEGEN UNREINE HAUT WUNDER WIRKE. UND ES GEBE SIE AUCH IN PILLENFORM!
Die Pubertät offenbart sich nämlich auch mit diesen manchmal geröteten, manchmal leicht eitrigen Pickeln im Gesicht, die uns an sauren Bienenstich oder abgestandenen Streuselkuchen erinnern.
NICHTS DAGEGEN. ABER WENN MAN SICH DIE ZEHEN SCHON SCHWARZ LACKIERT? WESHALB DIE RUPPELFASSADE NICHT AUCH MIT MAX FACTORS ABDECKUNGSCREME «WÜSTENSAND 3» RESTAURIEREN?
Auch Jasmin pustelt. Sie erinnert weniger an diese duftende Blüte, welche ihr bei der Geburt den Namen geschenkt hat, als an einen feurigen Dornenbusch nach Staubregen. Aber solche optische Makel lassen beide kalt? Hauptsache: silbrig verbohrt und seidig betucht.
Die Eltern von Jasmin und Holger sind ganz anders: weder Piercing noch Hermes. Zweimal Jeans. Zweimal ein Rucksäckchen. Und zweimal Frischrasur mit Calvin Kleins Aftershave.
Die Eltern heissen Emil und Rolf.
Jasmin und Holger sind nämlich das Resultat einer Patchwork-Familie. Solche Lebensformen gibt es heute ja mindestens so oft wie die Müsli-Doppelpackung bei Aldi.
Schon als Emil damals Annette ehelichte, habe ich es kommen sehen. Annette war eine Karrierefrau, die wusste, was sie wollte: ein Kind und einen Mann, der ihr an die Wäsche ging, was in diesem Falle hiess: er wusste, wie man einen Tumbler bediente...
Annette brillierte als Fachkauffrau auf dem Gebiet der Elektronik, wurde gar Gastdozentin an der nahe gelegenen Hochschule für Life Sciences und bastelte stundenlang an ihren Vorlesungen, derweil Emil Karotten schnippelte und den kleinen Holger aufs Töpfchen setzte.
Ähnlich auch bei Rolf: seine Frau Traudel ging ganz in Esoterik und ihrem einfühlsamen Wesen auf. Sie fühlte, wo, wie und was sie konnte. Ja, sie entwickelte gar Fühlkurs-Programme, bei denen man lange herum ooohmte und einander mit geschlossenen Augen die Hände zum inneren Glück reichte.
Zu Hause bügelte sich Rolf derweil durch einen Berg von lilafarbenen und orangen Wallkleidern, Pumphosen und Tüchern. Hin und wieder musste er Jasmin mit Honigschnullern beruhigen. Die Kleine steckte im ersten Zahnungsstadium und brüllte sich auberginefarbig.
Das Treffen von Rolf und Emil am Windelständer des Super-Centers bezeichnen die beiden heute noch als «vorbestimmten Schicksalsmoment.» Ein Griff zu den Pampers, ein gegenseitiger Blick? DAS GENÜGTE.
Die zwei Väter trafen einander nun öfters? diesmal nicht mehr vor dem Windelständer. Und weil alle unkompliziert aufgeschlossen waren, wurde eine Patchwork-Familie gegründet. (Dabei stellte sich übrigens Traudel recht fleissig an: sie heiratete noch zweimal, bekam drei Mädchen und deponierte auch diese bei ihrem ersten Ehemann und dessen Lebensgefährten, um weiterhin ungestört ooohmen und fühlen zu können.)
Mit all dem kann ich leben. Ich bin ja nicht so? ich zu allerletzt.
Ich könnte das Mädchen wie auch Holger knuddeln, sie in die Arme nehmen und sagen: «Heeee... das mit der Pubertät haben wir alle mal durchgeschwitzt!? Kommt alles cool, werdets schon sehen...»
Natürlich sage ich null und nix. Will mich schliesslich nicht anschleimen. Stattdessen kann ich mir die Frage an Holger nicht verkneifen: «Und... hast du schon eine heisse Braut?»
Er schaut mich verächtlich an: «Bist du gaga? Ich bin erst 17... wenn ich 30 bin angle ich mir eine gute Frau, die zu Hause kocht, die Hosen bügelt und auf meinen Sohn aufpasst... echt revolutionär, kapierst du... diesen miefigen Familien-Puzzle-Scheiss von heute will ich ganz sicher nicht!!»
P.S. Jasmin hat sich übrigens zwei Tage später nach den Hefe-Pillen erkundigt.

Donnerstag, 24. Juli 2008