Von der Katzenphobie und wie man sie überwindet

Donnerstag Eigentlich kann ich mit Katzen nichts anfangen. ABER DIE MIT MIR!
Wenn ich den etwas wirren Erzählungen meiner einzigen noch verbleibenden Erbtante, eine entfernte Cousine meiner lieben Mutter, kinderlos, aber mit Katzen (wenn Sie verstehen, was ich meine), wenn ich also Ruthchens Geplapper Glauben schenken soll, dann war es ihr «Lumpi», der mir die Katzenphobie zum «Kater meines Lebens» gemacht hat.
Lumpi war ein vergammelter Angora-Kater. Wenn Ruthchen sich beugte und einen Buckel machte, hüpfte er drauf. Vom Buckel auf den Küchenkasten. Und vom Küchenkasten wie Batman aufs Sofa.
Ruthchen nannte es «das Lumpi-Spiel». Der Kater wollte öfters? so wie diese Kater halt sind. Und Ruthchen buckelte gut zwei Dutzend Mal am Tag.
Da meine leiblichen Eltern für kulturell wertvolle Dinge wie Mickey-Mouse-Heftchen oder Revolver-Kino kein Geld lockermachten, musste ich mich mit Tante Ruthchens Katzenzirkus begnügen.
«Versuchs auch mal», heizte Ruthchen mich an. Sie machte mir vor, wie man sich vor Lumpi langsam beugte, den Kater ins Auge nahm und dann «hopp!» sagte.
Ich beugte mich also. Krächzte «hopp!». Und ich weiss nicht, was mit diesem verdammten Kater los war? er schoss sich auf meinen Buckel ein. Krallte sich fest. Und das Kind mit dieser wunderbar zarten Haut, die heute noch als Topreklame für jede Körpermilch durchgehen würde, schrie ZETERMORDIO.
Lumpi? so meine Tante? sollen die Schreie derart animiert haben, dass er an mir hysterisch wie an einem Katzenbaum rauf und runter jagte. Immer mit den Krallen voraus. Immer rein in die Vollen (ich war ein pummelig watteweiches Kind)? jedenfalls muss ich danach ausgesehen haben wie ein weitgereistes Erdbeertörtchen.
«Er hat doch nur spielen wollen?», hat mich Tantchen dann getröstet. Und die Kratzwunden mit ihrem hochprozentigen Bananenlikör abgetupft. «Jetzt mach doch wegen der paar Kratzer kein Theater. Sei ein Mann!»
DIES SAGTE SIE EINEM KLEINEN JUNGEN, DER SCHON IMMER ROTKÄPPCHEN HÄTTE SEIN WOLLEN.
Ein Leben lang habe ich dann bei Katzen die Kurve gekratzt und «Den gestiefelten Kater» aus meinem Märchen-Repertoire gestrichen.
Katzen hatten meine Sympathie höchstens noch als Rheumafell oder in schokoladiger Zungenform. So ist das schöne Kind auf den Hund gekommen (aber das ist eine andere Geschichte). UND NUN DIES:
Als Innocent mir zwanzig Jahre nach dem Lumpi-Spiel die Insel am südlichsten Ende der Toskana heissmachen wollte, hat er immer nur von Glühwürmchen geredet. Schlangen, Schweine und Wildkatzen hat er vornehm verschwiegen.
SIE SIND ABER DA.
Und so kommt es, dass mein erster Blick in der Herrgottsfrüh nicht etwa übers energisch wogende Meer schweift, sondern direkt vor meine Küchentür geht, wo ein gutes Dutzend dieser streunenden Miezen, die mich nachts mit ihren Lustschreien wach halten, nun ihre Kräfte mit proteinkräftigem «Gudigudi-feinifeini» auftanken wollen.
MANN KANN JA NICHT SO SEIN!
Noch vor dem Zubettgehen werden Hühner geschlachtet, ihr Fleisch ausgebeinelt und alles in Happen geschnitten. Dazu gibts Restenspaghetti (ich koche da bei meiner, mir zugestandenen 45-Gramm-Diät stets noch drei Kilos für die Lieben mit)? und ab geht die Post!
Der Fresstopf in der Grösse eines Kleinwagens wird zum Katzenplatz geschleppt. Dabei umtänzeln mich die Miezen wie die Schwäne den Siegfried im Schwanensee. Kaum ist der Napf abgestellt, ist Siegfried vergessen. NUN ZÄHLT NUR NOCH DIE VÖLLEREI. Und nachts sind sie dann wieder im Schuss.
Es ist nicht so, dass mein Herz an diesen Flohsäcken hängen würde. Aber man gewöhnt sich an sie? und sie haben mich total im Griff. Wenn sie das Auto heranknattern hören, stehen sie Spalier. Für einen egomanischen Moment denke ich, sie würden es um meinetwillen tun. Aber ganz klar: Sie tuns für die Hühner im Kofferraum.
Jeden Abend muss ich Tantchen den Katzenbestand telefonisch rapportieren.
«Ich bin so stolz auf dich? du hast deine Phobie überwunden?», schnurrt sie dann. «Hast du ihnen das Lumpi-Spiel beigebracht?»
«Klar», lüge ich. «Sie hüpfen von meinem Buckel direkt auf den Olivenbaum?»
Tantchen schluchzt dann:
«Ach, wenn ich das doch noch erleben dürfte?»
Gottlob, darf sie das nicht. Sie hat den vierten Herzschrittmacher. Und der Arzt hat ihr jede Reise verboten.
DAS IST SCHÖN SO.
«Ich werde im Testament an dein gutes Katzenherz denken?», seufzt sie. Und hängt auf.
DAS IST NOCH SCHÖNER.
Innocent, diese alte Unke, raunzt, der alte Zahn würde eh alles dem Katzenverein vererben. Und ich solle das Geld nicht schon im Voraus ausgeben?
Na, ja? er ist eben kein Tanten-Mann. Mehr Glühwürmchen-Typ?

Donnerstag, 22. Mai 2008