Donnerstag Als ich nackt aus der Dusche kam, hat uns beide schier der Schlag getroffen. Draussen am Stubenfenster klebte ein Mann in verbeulter Arbeiterhose. Als er mich so in Natur sah, fiel ihm vor Schreck der Stumpen aus dem Mund. Und fast wäre das Männchen auch vom Gerüst gekippt, wenn ihn sein Meister nicht in letzter Minute am Gürtel gehalten hätte. «Jetzt krieg dich wieder ein, das ist nur diese Tucke vom 3. Stock. Die geht hier doch immer nackt rum?»
Da wurde ich ohnmächtig. Und hoffte doch sehr, dass das Ganze ein mieser Traum wäre.
WAR ES ABER NICHT.
Es war Innocent, der mich die Wände und diese Männer ein Gerüst raufklettern liess. Schon seit Jahren liegt mir dieses Geizpaket in den Ohren: «Wir müssen die Terrasse vergrössern, das erhöht den Wert des Hauses!»
SO EIN BLÖDSINN!
Hochgerechnet sind wir alle zwei Jahre mal für eine Zigarettenlänge auf dem Balkon. Deshalb: «Was soll der Mist? Du baust nicht umsonst eine Terrasse. Was steckt dahinter?!»
Innocent schmollend: «Nichts steckt. Aber im Alter braucht man eine grössere Terrasse, damit wir all diese Turngeräte dort aufstellen können und?»
«WELCHE TURNGERÄTE? ICH FRAGE NOCH EINMAL: WELCHE TURNGERÄTE??»
Innocent druckst hin und her: «Ja also? im Sommer kann ich da auf dem Hometrainer meine Muskeln straffen? dann habe ich so einen Hüftgürtelwackler bestellt? und ein Kleinboot für die Bauchmuskeln. EINE SENSATION, sage ich dir, EINE SENSATION! Sie haben im Fernsehen gezeigt, wie schnell der Bauch waschbrettartig hart wird und?»
Solches zieht sich Herr Innocent bei schlaflosen Nächten auf dem Werbekanal rein. NICHTS DAGEGEN. Soll er sich über alles freuen, was da so auf der Mattscheibe hart wird? auch wenns die Muskeln eines Null-IQ-Hormonpakets sind. ABER DAS IST DANN NOCH LANGE KEIN GRUND, SICH GLEICH EIN HAUSBOOT MIT EINGEBAUTEM PULSMESSER UND KALORIENVERBENNUNGSANZEIGER ANZUSCHAFFEN!
Als ich kürzlich vom Werbekatalog einen mobilen Steamer-Ofen bestellte, bekam er gleich die Krise. Und nun lässt er gar das Haus umbauen, nur damit auch noch eine rollbändige Laufmaschine und Hanteln von fünf bis 50 Kilo Platz haben. Was aber ist das Ende vom Lied: Arbeiter, die Stumpen und sich selber fallen lassen, und unsere aufgewühlten Nerven, die mit einer Kurpackung Valium wieder eingebracht werden müssen.
«Zieh sofort die Vorhänge», schreie ich hysterisch und bedecke meine Scham mit dem Rauchertischchen.
«Wir haben keine Vorhänge», seufzt Innocent. Auch das ist seine Schuld. Wie viele Male habe ich ihm gesagt, eine Wohnung ohne gerüschte Wolkenvorhänge sei wie der Seidenstrumpf ohne Strapse? nur eine halbe Sache.
Doch Innocent stellte auf stur: «Wir sind doch keine von diesen Bünzlis, die sich vor ihren Nachbarn hinter Rüschen verstecken?»
JETZT HABEN WIR PROMPT DEN SALAT. ICH STEHE VOR DEM MANN MIT DER BOHRMASCHINE NACKT DA. UND KEIN NACHBAR IST, SO MUSS ER SICH DOCH SICHERLICH SEHR WUNDERN, DASS DA JEMAND DIE BLÖSSE MIT EINEM RAUCHERTISCHCHEN BEDECKT!
«Bleib einfach am Boden liegen», seufzt nun Innocent. «Ich hole deinen Badestrampelanzug und?»
«Aber den mit dem rosigen Frottee und dem Hasenmotiv?», zische ich und äuge zum Fenster, wo bereits vier Arbeiter grinsend am Bohrer rummachen. Sie tun, als würden sie die Krähen in den Bäumen vis-à-vis beobachten. ABER MICH TÄUSCHEN SIE NICHT.
«Meinst du, die haben noch nie einen alten Mann nackt gesehen?», rufts nun aus dem Badezimmer. Für das «alt» werde ich mich später rächen. Und seine Prothesensammlung vor dem Fenster aufbauen. Endlich streckt er mir meinen Homedress hin. Wie ich den frottierten Anzug übergestreift habe, fällt diesem Vorarbeiter noch einmal der Stumpen aus dem Mund.
Okay. Mein Homedress ist eigentlich ein umgebautes Hasenkostüm. Und wenn ich dann noch die Plüschohren aufsetze, sieht das Ganze wirklich heiss aus.
«Ich glaube, das rosige Hasi hat sie erschreckt?», kichere ich zu Innocent. Doch der ist heute echt schlecht drauf: «Du meinst wohl: das schwangere Nilpferd im Mastsau-Look. Schau mal in den Spiegel und versuch dann nicht in Tränen auszubrechen?!»
Manchmal kann er wirklich ein Besen sein? besonders nach diesen schlaflosen Nächten, in denen Herr Innocent eine ganze Turnhalle zusammenkauft! «Du hättest mir sagen können, dass sie ein Gerüst vor die Fenster bauen», schmolle ich nun, «mein Puls hämmert wie ein Karnickel in der ersten Mainacht!»
«Ach Dummi», seufzt nun Innocent, «das Gerüst steht doch schon seit sechs Tagen da. Und jeden Morgen bietest du den Arbeitern, die darauf rumturnen, dieselbe Nummer mit dem Rauchertischchen? dein Hang zum Exhibitionismus wirkt langsam etwas peinlich.»
EXHIBITIONISMUS?
UND DAS SAGT ER MIR, DEM ICH RÜSCHENVORHÄNGE VORGESCHLAGEN HATTE!
Von fehlenden Rüschenvorhängen und Arbeitern am Fenster
Donnerstag, 8. Mai 2008