Donnerstag Jammertal! OH JAMMERTAL!
Der Donnerstag nach dem Kappenfest hat es in sich. Da ist dieses schreckliche Gefühl wie an Weihnachten, wenn alle Geschenke ausgepackt sind? und das Diadem dann doch nicht dabei war.
LEICHENHALLENFRÖHLICHKEIT UND GRAUDUMPFE LEERE.
Im Gang höre ich einen Staubsauger.
STAUBSAUGER SIND DIE ABBAS DER HÖLLE!
Die Menschen haben das Colafröschlein erfunden und fliegen zum Mars? WESHALB GIBTS NOCH KEINE LÄRMFREIEN HOOVERS?
Ich schaue mich im Hotelzimmer um.
EIN SCHLACHTFELD. Jetzt verstehe ich auch, weshalb die Staubsauger im Einsatz sind? sie gehen den drei schönsten Basler Tagen an den Kragen. Fressen sie auf. Hoovern sie rein.
FERTIG LUSTIG!
Um drei Uhr morgens war die Stadt noch geschüttelt von Fieber? sie bäumte sich auf, wie diese totgeweihten Patienten, die vor ihrem Abgang in die unergründliche Galaxis ein letztes Hoch erleben. Alles vibrierte. Alles auf den Beinen.
Und bei jedem ausgerufenen «Nunnefirzli» oder «die Alte» überlegt der Kopf hinter der Larve:
«Das ist das letzte Mal... die kommen nicht wieder... es ist der Schlusspfiff.»
Schliesslich das Crescendo um vier Uhr morgens? die Trommeln geben ihr letztes. Und die Putzmaschinen lauern wie gigantische Dinosaurier. Minuten später fressen sie die 72-Stunden-Fröhlichkeit einer Stadt auf. Schnauben die Fröhlichkeit weg. Und walzen Erinnerungen platt. Es sind Momente, denen jeder wie einer ausgelebten Liebe nachtrauert. Mit zugedröhnter Birne. Und mit Alka Seltzer? das einzige übersprudelnde an diesem Kater-Morgen.
Nun klopft es an die Tür.
NA BINGO.
Wir sind hier ein Trauerhaus? haben eben den schönsten Moment des Jahres beerdigt.
DA KLOPFT MAN NICHT EINFACH MIRNICHTSDIRNICHTS AN DIE TÜR.
Eine Frau mit weissem Häubchen schaut ins Zimmer? und zieht sich so erschrocken zurück, wie ein Kaninchen, das die Büchse des Jägers vor Augen hat. «Ohh... tschluldigeigen Sie... ich hier wollte putz...»
Tür wieder zu. Und erneutes Solo von Hoover, dem heulenden Sauger.
Langsam kriegen sich auch meine Ganglien wieder ein: ich liege im Hotelzimmer. Und solches habe ich meiner alten Linda zu verdanken. Vor 35 Jahren hat sie mich ins Gebet genommen:
«JETZT KOMMEN FASENACHTIGES...»
Ja und?
«WIR HABEN HIER VIELE HUNDERTTAUSIG NIPPIGES IN HAUS... PORZELLANIGES SCHEISSENGELCHEN UND JUGENDLICHES VASIG MIT ECKIG AB...» Sie meinte «angeschlagene Jugendstilvasen».
«FASNACHTIGES IMMER BRINGEN MILLIONIG VON KONFETTIGES IN HAUS UND ÜBERALL LIEGEN DANN IN ENGELIG UND NIPPIGMIST UND LINDA HABEN MÜHE MIT PUTZ...»
Klar!
«NIX KLAR? DESHALB DU GEHEN IN HOTEL ODER SONST GEHEN LIEBES LINDA FÜR IMMER AUS HAUS... LINDA NIX MEHR SKLAVE VON PICCOLO PFEIFENDES ALTES TANTIG...
Damit war die Sache geklärt und ich im Hotel untergebracht. Nun haben Hotelzimmer am Tag der Abreise eh stets diesen Touch von Abdankungsfröhlichkeit? an einem Fasnachtsdonnerstag ist aber alles noch trister als beim «Arrivederci» von Rimini.
Wie eine explodierte Müllhalde liegen die Erinnerungen der letzten 72 Stunden auf dem Boden herum: zerknüllte Zeedel, deren Pointen an einem Fasnachtsdonnerstag so fade auf der Zunge schmecken wie leicht stichige Ricotta. Da sind vergammelte Stofftierchen, welche hysterisch hampelnde Waggis mir von ihren Wagen nachgeworfen haben... und ein Mimosenzweig, dessen eidottrige Blüten so flauschig die Nase kitzelten, wie ein Zehn-Tages-Kücken und die jetzt aussehen wie Pfefferkörner mit Gelbsucht.
Mitten in diesem besinnlichen Moment des Grauens schellt das Telefon:
«Ich wollte nur mal schauen, ob Dus hinter Dich gebracht hast...»
Innocent hat die Sensibilität eines Ochsnerkübels. Er, der von uns Verständnis verlangt, wenn er vor den Fasnachtstagen mit seiner Freundin Rosie und der Base Bethli gen Rigi flieht, weil er? so klagt das Sensibelchen? sich nie so ausgestossen von dieser Stadt fühle, wie an den Fasnachtstagen? er also, der über dem Hochnebel dieser Welt auf der Rigi hockt, plappert nun fröhlich drauflos: «... und dann habe ich für das Marieli ein Fondue gekocht... 24 Knoblauchzehen waren drin... Du kannst Dir ja vorstellen... »
JA. DANKE. KANN ICH.
Und deshalb wird auch sofort das Handy wieder ausgeschaltet und die Decke über die Ohren gezogen: noch einmal vom Glück der drei Tage träumen. Noch einmal vibrieren...
Selbst der Hoover hat mit seiner Heulerei aufgehört? nur der Rhein vor dem Fenster zieht unbeirrt weiter. Und zieht die letzten Erinnerungen mit seinen ewigen Wirbeln tief auf den Grund.
Vom Katzenjammer-Tag und Fondue auf der Rigi
Donnerstag, 14. Februar 2008