Von bitteren Orangen und eidottrigen Mimosen

Donnerstag Wie untergehende Sonnen hängen nun die Orangen an unsern Bäumen. Daneben duftets nach Fasnacht und dem Comité-Spiel der Karten: Wir mischen auf! Die Mimosen, zart wie wochenalte Küken und eidottrig im Couleur, haben ein etwas arg starkes Parfüm. Aber der salzige Wind, der vom Meer herweht, fegt alle falsche Romantik wieder weg und bringts auf den nüchternen Punkt:
ARBEIT!
Gianni steht da. Beine breit. Hände im Hosensack. Die Italiener haben meistens die Hände im Sack, wenn sie nicht gerade an fuchtelnden Diskussionen sind. Aber Gianni schweigt. Deshalb: Hände im Hosensack. Dort leise wühlend? «Irgendwer sollte mit der Orangenernte beginnen!», gebe ich den Tarif durch.
Gianni schaut sich links und rechts um. Da ist aber niemand. Nur er.
«Eben», seufzt er, «tocca sempr?a me!» Er verschluckt bösartige Schimpfworte, weil in vier Tagen sein Geburtstag ist. Und ich ihn mit vielversprechenden Andeutungen wie «gestern habe ich ein Geschenklein gesehen, das hätte dir arg gut gefallen?» oder «kennst du die Schweizer Uhr, die auch im Weltall tickt??» heiss mache.
Solche Worte machen ihn kirre. Und weil er schon lange auf eine neue Taucheruhr scharf ist, halte ich ihn mit zufällig herumliegenden Prospekten in diesem Genre und diversen Anspielungen («Wie tief tauchst du eigentlich?») auf Trab.
NATÜRLICH BEKOMMT ER KEINE UHR. NUR DIE ANSPIELUNGEN. SCHLIESSLICH WARTE ICH AUCH SCHON SEIT JAHREN VERGEBLICH AUF DAS ZEITMASSGEBENDE HANDGESCHMEIDE MIT DEM KRÖNCHEN.
Um auf die Orangen zurückzukommen: Ich weiss nicht, was da mit unsern los ist. Die von Herrn Gucci schmecken süss wie Honig, die von Herr Pilotti wie Zuckerwatte? nur die an meinen
Bäumen haben dieses ganz spezielle Aroma von gestandenem Essig und dieser Bitterkeit einer sozialorientierten Studentin, die als Gelegenheitsjobberin «diesen Armleuchtern von Jung-Bankern» einen Campari Soda zur Happy Hour servieren muss.
Wir überschütten Gianni mit Vorwürfen («Du warst wieder zu stinkefaul, um zu düngen!»), aber der nimmts gelassen und mit der Weisheit der Insulaner: «Wir verkaufen sie ja verpackt. Und mit der Schale. Wie singt man schon wieder im Land des Lächelns??Denn wies da drinnen aussieht, geht niemand was an??»
(Hier möchte ich einmal sagen, dass mir diese unterschlagenen Akkusative in Operetten und Fernsehnachrichten zünftig auf den Keks gehen. Es heisst nämlich: «NIEMANDEN was an»?
umsonst sind wir ja nicht durch die Matur geflogen!)
Gianni entschuldigt seine am Strand vergockelten Sommer-Flirtstunden, die er mir als «Bäume düngen, Bäume putzen, Bäume wässern» auf die Abrechnung geschrieben hat, mit einem falschen Akkusativ. Und Innocent gibt ihm? NATÜRLICH!? recht, weil der doch schon die Euroscheinchen knistern hört. «? Am besten, wir nageln die Orangenkisten gleich zu. Dann kommt sicher keiner in die Versuchung, so ein Früchtchen anzubeissen!»
«Kein Mensch hier kauft vernagelte Orangen. Die kennen das Geschäft. Die kennen Gianni?»
Innocent zieht die Brauen hoch? ein klares Zeichen dafür, dass ein Sturmtief im Anziehen ist: «Dann mach eben Bitterorangen-Konfitüre daraus? Und wir verkaufen das Glas für fünf Euro fünfzig!»
Er tätschelt mir gönnerisch mein üppiges Haar (PRIORIN!):
«Pro Glas bekommst du zwölf Cent? na, ist das was?!»
Das neue Jahr hätte so schön anfangen können, wenn nicht die Bitterkeit der Orange wäre?

Samstag Vor mir ein Pfännchen. Hinter mir: ein Berg mit drei Tonnen Bitterorangen. In mir die Wut: «Warum nur hat das Leben aus dir eine Konfitüren-Tussi gemacht...? SIEHT SO DAS JAHR 2008 AUS? EINKOCHEN UND ABFÜLLEN?»

Ich muss an Basel und meine türkische Putzfrau Tarma denken. Während sie bei uns die Böden schrubbert, sitzt ihr Mann Ahmed vor einem Glas Tee und kugelt im Hosensack herum wie Gianni zu Beginn dieses Berichts. Nur dass Ahmed dort so eine Art Perlenkette hat, wo er eine Perle der nächsten hintennachschiebt.
Tarma also hat zu mir gesagt: «Frauen sind stärker als Männer? deshalb hat ihnen die Vorsehung die grösseren Lasten aufgebürdet?»
Da ich mich nicht im eigentlichen Sinne als Frau sehe, habe ich solches nicht unwidersprochen in der Luft hängen lassen können. Da ich aber auch keine Demonstration vor meiner Haustüre heraufbeschwören will, lasse ich das Erwiderte hier ungeschrieben.
Trotzdem muss ich an Tarma denken, wie meine ansonsten schon arg zerschundenen Wurstfingerchen die Orangen schälen, die Schale schnipseln, das Fruchtfleisch auspressen? DERWEIL HOCKEN INNOCENT UND GIANNI UNTER DEN BLÜHENDEN MIMOSEN UND SPIELEN JOKER!
Mein einziger Trost: Gianni wird zum Geburtstag statt des Tauchweckers ein Päckchen mit drei Intimissimi-Unterhosen bekommen. Pinkfarbig. Mit dem Aufdruck «I?m so lonely?».
Und Innocent werde ich den Konfitürenglas-Preis auf 15 Cent raufsetzen.

Donnerstag, 17. Januar 2008