Von der Fahne mit dem Stinkefinger und «Bombe»

Donnerstag - Als Alfredo die rote Fahne mit der berühmten Faust drauf nicht finden konnte, brüllte er so laut, dass die Fischer am Hafen mit dem Flicken ihrer Netze innehielten. Den Kopf schüttelten. Und einander vieldeutig anschauten: «Alfredo hat wieder mal zu viele?Bombe? vernascht?» Der Spruch war zweideutig.
Bombe sind in Italien das, was wir unter pflaumenweichen Berlinern oder mit Vanillepampe voll getankten Donuts verstehen.
Alfredo ist für seine Bombe-Lust genauso berühmt wie für seinen Heisshunger auf die andern «Bombe». Diese müssen weniger pflaumenweich, sondern knusprig jung sein. Nach beiden leckt Alfredo nicht nur die Finger?
Als der Gemeindeschreiber, der sich der neuen Generation (und Partei) von italienischen Kommunisten verschrieben hat, zum Vize-Bürgermeister des Ortes gewählt wurde, spöttelte die Rechte: «Zumindest wird er im nachwuchsarmen Italien für Bälger sorgen?» In einem Land, wo die Mühlen und auch die Wurzeln der Männer langsamer mahlen, als es der EU lieb ist, war dies zumindest ein Pluspunkt.
Ugo, sein Rivale vom rechten Flügel und Schwager von Don Pietro, dessen Schäfchen in der Kirchenbank ebenso selten geworden sind wie die Neugeburten im Lande, der christliche Parteiführer stöhnte im Lokalteil des «Tirreno» gar die Schlagzeile: «Mütter - kühlt eure Pfannen ab. Alfredo ante portas!» MAN KONNTE DIES AUSLEGEN, WIE MAN WOLLTE - EFFIZIENT FÜR EINE LINKS-RECHTE KOOPERATION WAR ES NICHT.
Und nun, am Tag der Arbeit, der auch in Italien ein Feier- und schöner Tag ist, fehlte die rote Faust-Fahne, hinter der schon Generationen der Insel-Kommunisten am 1. Mai marschiert sind, «L?ammazzo - ICH BRINGE IHN UM!» -, tosten Alfredos Morddrohungen durch die Gassen. Und alle wussten, dass Ugo das Opfer sein sollte.
Die Anhänger der christlichen Demokraten rannten zum Haus des Bürgermeisters, wo seine Frau Loredana die Teppiche so heftig klopfte, dass die Staubwolken das enge Gässlein trotz herrlichstem Sonnenschein grau vernebelten. Aus Protest gegen den Feiertag hatte es sich Loredana zur christlichen Aufgabe gemacht, den 1. Mai immer mit öffentlich demonstrierter Hausarbeit zu ehren.
«Wo hat Ugo die Fahne??», hustete sich Padre Pietro durch den Staub seiner Schwester. «? Alfredo will ihn umbringen. Und es ist nicht der Stil des HERRN, dass wir Dinge entwenden, die erstens des Teufels und zweitens nicht unser sind.» Loredana schalt ihren Bruder einen Esel. Ugo weile schon seit drei Tagen bei seiner Schwester in Udine. Und wenn die Fahne nun fehle, so sei dies als wunderbarer Wink von oben zu verstehen.
Loredana unterbrach die Teppichklopferei. Bekreuzigte sich. Und lobte SEINE Weitsicht?
Mittlerweile aber marschierte ein Trüpplein, angeführt vom brüllenden Alfredo, ebenfalls durch das staubvernebelte Strässchen: «ICH REISSE IHM DEN SACK AB!», jaulte Alfredo. Und «LE PALLE? LE PALLE!», tobte das Grüppchen, das zur Feier des Tages die Schreihälse mit roten Taschentüchern umwickelt hatte, im Chor. Die Männer streckten ihre Fäuste gegen den Himmel, und Loredana hieb weiter auf den Teppich ein.
Es war dann nicht ein 1.-Mai-Umzug wie in anderen Jahren.
Zwar marschierte die kleine Kapelle mit dem humpelnden Fernando an der Pauke wie immer getragen musizierend dem Zug voran - aber Alfredo schaute wie ein drohendes Gewitter. Nur seine Frau, die sich zum Ehrentag eigens die Haare hatte rot färben lassen, grüsste freundlich nach links und rechts, bis sie die rote Fahne über dem Hauseingang des jungen Ernesto funkeln sah.
«Ecco la!» - rief sie erfreut zu ihrem Mann.
Die Freude herrschte nicht lange - denn ein scheusslicher Geruch von vergammeltem Fisch stieg allen in die Nasen.
UND DA LIEF DER KOPF VON ALFREDO SO ROT AN WIE DIE FAHNE MIT DER FAUST.
Jemand hatte nämlich auf die Faust einen Mittelfinger gezeichnet, sodass es aussah, als würde die Partei den Leuten den Stinkefinger entgegenstrecken. Wie ein Lauffeuer ging die Geschichte vom Hafen bis zur Kirche. Und natürlich wusste jeder, dass der Stinkefinger Ernestos Rache an Alfredo war.
Zwar hatte der junge Fischer keine Parteizugehörigkeit und besuchte auch nur an seinem Namenstag die Kirche - aber er hatte Luisa. Und eben dieser Luisa hatte Alfredo seit Wochen nachgestellt. Der Vize hatte ihr immer wieder vor dem «Intimissimi»-Geschäft, wo das junge Mädchen Spitzen-Unterwäsche an alte Weiber verkauft, abgepasst. Er hatte sie mit süssen «Bombe» und klebrigen Worten verführen wollen - bis es ihr und auch ihrem Verlobten zu viel wurde.
Ernesto holte sich die rote Faust-Fahne aus dem Partei-Büro. Drehte sie in alten Fischköpfen. Und zeichnete den Stinkefinger.
Heute morgen, zwei Tage nach dem Ereignis, hat man den plötzlich recht schweigsamen Vize-Bürgermeister mit Ugo in der Bar Centrale gesehen. Ugo hat versprochen, der Gegenpartei den Stoff für eine neue Fahne zu finanzieren, wenn Alfredo ihn beim Projekt für ein «Haus der jungen Kirche» unterstützen würde.
Beide haben frische Bombe gegessen.
Und im Dorf betrachtet man dies als ein positives Zeichen.

Donnerstag, 3. Mai 2007