Von überraschenden Geschenken und Käseschnitten

Donnerstag Danke. Ich weiss: ES IST NICHT DAS FEST DER GROSSEN GESCHENKE.
Hier bewegen sich die Mahnfinger wie ein Corps de Ballet? synchron und bestimmt: «Schenken ist des Teufels? es gibt Edleres, das unsere Herzelein erfreuen kann, als schnöder Besitz und TEUFLISCHER Mammon.»
Halleluja und Amen.
DANN SOLL SICH DOCH MAL JEMAND MELDEN, WELCHER SICH AN EINEM PÄCKLEIN STEINHARTER TOTENBEINLEIN UND LIEBEN WORTEN WIE «EIN FRIEDVOLLES, BESINNLICHES FEST? DEINE TANTE JULE» MEHR ERFREUEN KANN, ALS AN EINEM FERRARI-CABRIO ODER EINEM SECHSKARÄTER.
Alles scheinheiliges Gelaber.
O.k. Ein Fünfkaräter tuts auch. ABER FUNKELN SOLLS. BRILLERN. GLÄNZEN. Dies vor allem in einer Zeit, wo Basel punkto Glamour noch hinter Bern und nur ein halbes Karat vor Affoltern am Albis abschneidet?
Innocent gehört ins Corps der asketischen Mahnfingertänzer: «Ich finde Geschenke in einer Zeit, wo Armut kursiert und russische Kinder unter Tag leben ganz einfach dégoutant!»
Die Kinder werden uns Protzekeln immer zur Abschreckung mit einem Einzahlungsschein unter den Baum gelegt.
Ich bezahle ja dann auch mit schlechtem Gewissen ein, nur um mich mit gutem Gewissen auf meine Rolex-Uhr freuen zu können. Die kommt dann aber natürlich ebenso wenig an meinem Handgelenk an, wie meine 100 Franken in den russischen Kinderuntergrund.
ICH MEINE? DIE WELT IST NICHT NUR AUF EINER SEITE UNGERECHT.
Deshalb (beim Frühstückstisch): «Hör mir auf mit der Leier vom NICHTSSCHENKEN! Die paar Jahre, die mir noch bleiben, will ich Päckchen öffnen, dass es knallt?»
Ich halte rasch das Konzentrat mit der Zwiebelsäure an die Augen? und schon tropft alles los: «Man kann doch einem alten Mann die letzten Freuden nicht verweigern? nun bin ich 60 Lenze und 158 Tage und habe noch immer nicht diese Uhr mit dem Krönchen gekriegt, von der selbst George Clooney sagt: «Sie schmeckt wie tausend Erdbeertorten!» Innocent legt die Beerdigungsanzeigen auf das Konfitürenglas: «Das ist Nespresso? Clooney wirbt für Nespresso. Und deine Uhr mit dem Krönchen wird von Sportlern wie unserem ballernden Tennis-Roger getragen?»
Dann süffisant: «Bist Du ein Sportler?»
«Nein? aber die Netrebko trägt sie auch?»
Er: «Bist du die Netrebko?»
Im Radio bringen sie «Jingle Bell», dieses schöne Lied aus Bush-Land, das Onkel Alphonse immer in «Schinken-BELL Schinken-BELL» verbellhornt hat. Nun heule ich auch ohne Zwiebelsaft los.Und Innocent wirft erschrocken die Konfitüre (Quittengelee) um: «Aber Mausi? es war doch ein Spässchen. Natürlich bekommst du ein Geschenk?»
Am anderm Tag lag es dann prompt auf seinem Pult? ein längliches, flaches Päckchen mit Silberband und vielversprechendem Inhalt. ICH WAR JA SO ETWAS VON NERVIG DESWEGEN!
Dann schüttelte ich das Geschenklein wild vor meinem Ohr, um sein leises Ticken zu hören.
Da fiel mir eben noch ein: Krönchenuhren ticken vornehm lautlos.
Ich nahm mir darauf vor, Innocents Käseschnitten am Abend zu loben, obwohl dann die ganze Wohnung wieder einmal grauenvoll stinken wird.
Und den Check für die hungernden Kinder unter den Dolen von Russland werde ich auch gleich ausfüllen, obwohl ich überzeugt bin, dass selbst die hungerndsten Russen um Innocents Käseschnitten einen Bogen machen würden?

Sonntag Damit ich am Fest der Tanne dann auch nicht ganz ohne dastehe, habe ich natürlich ganz nett eingekauft: einen lindengrünen Cashmere-Pullover, vierfädig, der zwar nicht sonderlich gut zu Innocents meerblauen Augen passt, aber umso mehr zu meinem schönen, braunen Haar (Gott hat gewollt, dass wir beide dieselbe Grösse tragen? DAS SIND DIE WAHREN WUNDER VON WEIHNACHTEN).
Dann noch: Armanis Eau de Toilette (obwohl Innocent solches nicht auf die Haut auftragen sollte, weil er sonst wieder aussieht, wie frisch zerquetschte Erdbeeren). Und natürlich: diese kleine Geldspange in 18 Karat, die künftig seine Scheine halten soll. Oder besser: seinen Schein. Er trägt nämlich nie mehr als ein Zehnernötchen bei sich und davon sind fünf Franken die eiserne Reserve?
UND DANN HABE ICH ES NICHT MEHR AUSGEHALTEN: Denn selbst nach 198-maligem kräftigem Durchrütteln konnte mir das kleine Paketchen nicht sagen, ob das goldene Modell (wie es auch die Netrebko trägt) oder die simple «Oyster» (Hartstahlband? wie bei Prokurist Hubert Aenishänsli) drin liegt.
Deshalb: hurtig Wasser auf Volldampf? Klebestreifen über der Wolke langsam ablösen? Knötchen des Silberbands mit einer feinen Gabel aufzwirnen? Deckel sorgfältig wegheben: UND DANN SEHE ICH ES. EIN INNENTEMPERATUR-MESSER FÜR BRATEN UND GEFLÜGEL!
Es war jener Abend, als Innocents Käseschnitten direkt ins Quartier flogen. Und ich bei Stucki in einem neuen Cashmere-Pullover das Überraschungsmenü reinzog.
Der Cashmere: lindengrün und vierfädig?

Donnerstag, 20. Dezember 2007