Von den valenzianischen Spitzen und Kurzschluss bei Hochzeit...

Donnerstag - Seit mir der kleine Benigno - er hat Schuhgrösse 35 und die Macho-Allüren eines zustechenden Stierkämpfers - seit Benni mir also Valencia gezeigt hat, wehen mich die Winde immer wieder hierher.
Valencia ist berühmt für seine blasenden Winde. Hier bläst einem immer einer um die Ohren. Ich sage nur: ALINGHI.
Überhaupt wird viel geblasen. Valencia ist nämlich die Stadt der Fallas. Und jede von diesen Fallas hat ihre eigene Blaskapelle. Wo?s in Basel trommelt und pfeift, bläst es in Valencia.
Klar, dass ich hier von diesen Fallas erzählen sollte. Aber das ist zu früh - die Fallas haben ihren Höhepunkt vom 16. bis 19. März. Es ist so eine Art Fasnacht - auch wenn diese sehr heilig und JOSEF, DEM ZIMMERMANN, gewidmet ist.
Das ist auch so sympathisch an den Valenzianern: Sie ehren wohl «La Virgen» Maria und die heilige Theresa - aber sie vergessen dabei den armen Josef nicht.
Hand aufs Herz: Josef kommt neben Maria immer zu kurz. Hier aber verbrennen sie zu seinen Ehren gezimmerte Statuen in der Höhe eines Einkaufszentrums. Das ist dann eben das Fest der Fallas - mit frittierten Hefe-Bandwürmern, welche die Leute in heisse Schokolade tauchen. Und Churros nennen. Und mit goldfadenbestickten Mantillen - zart schillernd wie Spinnennetze im Morgentau.
Natürlich waren es nicht nur die Winde, es waren auch diese feinen Stickereien, die mich nach Valencia gezogen haben. Innocent tut sie verächtlich mit «was willst du mit diesem Mist?!» ab. UND WER WIRD GROSSE AUGEN MACHEN, WENN DIE GOLDUMWOBENEN SCHLEIER UNSERN WEIHNACHTSTISCH ZIEREN?!
Dummerweise hat der kleine Benni dem guten Innocent vom Museum der Wissenschaften erzählt. Er hat ihm Versuche geschildert, die dort jeder Besucher selber anstellen darf: EIN MUSEUM ZUM ANFASSEN!»
Das genügte.
Bekanntlich lässt Innocent nichts aus, wenn er zupacken kann. Und die Versuchung der Versuche ist zu stark.
«... und das Museum ist erst noch von Calatrava erbaut», jubelt er.
So sind wir also statt zu den Kaskaden von Spitzen in die «Ciudad de les Arts i les Ciències» gefahren.
Das hört sich dramatisch an. Und sieht noch schriller aus. ABER SPANISCHE SPITZENSTICKEREIEN SIND HIER KEIN THEMA. Nur Lappalien: Wie funktioniert ein Staubsauger? Weshalb kugelt der Mond jährlich drei Zentimeter von der Erde weg? Und: Wie werfe ich mein eigenes Atomkraftwerk an?
JA IST DAS ETWAS, WOMIT DAS GEÜBTE HÄNDCHEN EINEN WEIHNACHTSTISCH AUFRÜSCHEN KANN?

Samstag - Innocent buchte das Hotel am Meer.
Seine Worte: «Die Luft ist besser. Und wir können dort baden...»
Sein WAHRER Grund: Er wollte mich von den schönen Läden der Stadt in sicherer Distanz wissen.
ICH BIN JA NICHT BLÖD.
Aber es gibt eine höhere Gerechtigkeit. Das Hotel, das Innocent blauäugig bongte, ist so stinkfein, dass sich die Kellner nur mit Handschuhen begrüssen. Die Anlage erinnert an Akropolis und griechische Götter: SAGENHAFT. Umsonst hat Innocent in Panik alle Kästen nach der Preisliste durchsucht - DENN: HIER SPRICHT MAN NICHT VOM GELD. HIER GIBT MAN ES AUS.
Natürlich wollte er hurtig umbuchen. Als ich ihm aber das Grand Hotel beim Markt in der Stadt vorschlug, atmete er drei Mal durch: «VERMUTLICH KOMMTS HIER IMMER NOCH BILLIGER, ALS WENN ICH 300 BALLEN VALENZIANISCHE SPITZE NACH BASEL VERSCHIFFEN MUSS!»
Ich schluckte also drei Abführpillen, um in die hautengen Jeans zu kommen.
Dann bügelte ich mich mit Frau Ardens Schnell-Lift-Salbe auf. Und liess mich in der Lobby von hinten und vorne bedienen. WER JAHRELANG ANDERN DEN BRATEN ROLLT, DARF SICH SCHON SELBER MAL WAS GÖNNEN!
Kellner wuselten wie dressierte Pinguine herum. Sie dienerten bei einer Hochzeitsgesellschaft von rund 400 Gästen. IN SPANIEN WIRD IM GROSSEN STIL GEHEIRATET. Die Frauen hatten sich wie Tischbomben aufgerüscht. Ihr Geschnattere ratterte wie tausend Kastagnetten. Die Männerbäuche waren in seidene Binden gezwängt - schon kündete ein Feuerwerk die Braut an. Auf der Freitreppe erschien etwas wie ein Wolkenvorhang von Ikea. Ein mickeriges Männchen hielt den Vorhang an den Händen - die Leute jubelten. Und der fleischgewordene Ikea-Tüll hob die fetten Arme, um zu winken.
Gegessen wurde erst um Mitternacht.
Um ein Uhr morgens weckten mich Kanonenschüsse. Gleichzeitig startete die Hard Rock Band - sie rockte, dass selbst unsere Betten tanzten.
Um vier Uhr tanzte die tüllige Braut noch immer. Und um 05.00 Uhr hatte Innocent genug. Er verliess die Zimmerflucht in den Unterhosen. Mein Schrei «VERLASS MICH NICHT!» ging im Bumm-Bumm von drei Kesselpauken unter.
UND DANN WAR DUNKELHEIT. STILLE. HERRLICHE STILLE - bis die Braut einen durchdringenden Schrei ausstiess. Und die Notlichter in der Hotelanlage zu flimmern begannen.
Innocent kam leise zurück: «So - für drei Stunden ist Ruhe. Ich war an der Schaltstelle?»
Zugegeben - es kann ganz nützlich sein, zu wissen, wie ein Elektrokraftwerk funktioniert?

Donnerstag, 18. Oktober 2007