Donnerstag - Das Zipperlein zipperlt.
Bei Innocent. Wie auch bei mir.
«Kommt vom Fressen und Saufen», bringt Onkel Nudelstadt die Sache sehr unsensibel auf den Punkt.
STIMMT NICHT. Es ist genetisch. Schon mein Vater zipperlte stark. Und wenn einer zwei Fläschlein am Tag kippt, kann man ja nicht vom Saufen reden.
Auch Innocents Mutter war eine Zipperliese: Sechs Kaffees zum Frühstück! Prost, Gicht.
Ich selber trinke gar nichts. Esse nur Schokolade (dunkel). Und zipperle trotzdem.
FÜR DIE WISSENSCHAFT BIN ICH EIN RÄTSEL.
«Es ist eine Mischung aus Gicht, Rheuma und Heuschnupfen», erklärt Herr Felix, mein Arzt. Und verschreibt flutschige Salben.
Der Apotheker weiss es dann noch besser: «Natürlich verkaufe ich Ihnen diese Salben gerne, Herr -minu. Aber haben Sies schon mit Magnetismus versucht?» MAGNETISMUS?
Er betet gummige Halskettchen und Armbänder aus Edelstahl vor mich hin: «Die haben alle irgendwo einen Magneten. Dieser Magnet bringt dann Ihr Inneres in Ordnung. Er wirft Strahlen aus, die?» STRAHLEN!
In unserm Quartier ist eine Riesenantenne geplant. Alle wehren sich dagegen. Weshalb soll ich freiwillig Strahlen am Armgelenk rumtragen? Herr Pölsterli, der Pharmazist, weiss, weshalb: «Herr Russi, der Skifahrer, tut dies auch. Und auch Herr Zuberbühler im Goal. Diese Strahlen sind nämlich etwas anderes als das, was aus dem Computer oder den Mobiltelefonen rauskommt. Das sind GUTE Strahlen?»
Es gibt also böse Strahlen. Und die guten Strahler. Abends kommt Innocent total aufgeblüht nach Hause. Er tut verliebt. Grund: seine neue Sekretärin: «Sie hat das strahlendste Lächeln der Welt, kann ich dir sagen?»
Dann glotzt er entsetzt auf den Fleischkäse auf dem Teller und zieht den Bauch ein: «Ab heute nur noch Magerkost. Hat es Joghurt?»
Da kann die Wissenschaft sagen, was sie will: Strahlende Sekretärinnen bringen wohl die grösste Wirkung gegen das Zipperlein?
Freitag - Evchen weiss Rat. Bei Schildkröten, Kompost und Zipperlein ist Eva Expertin.
«Das Einzige, was du brauchst, ist ein Reinigungstee. Ich hab da was aus Herisau im Appenzell und?»
Bei «Appenzell» hüstelt sie.
Evchen weiss genau, dass ich ihre Besuche bei diesem herisäuischen Wurzelheiler missbillige. Einmal hat sie meinem Vetter Tom so einen Wurzelsaft gegen dessen Rückenwarzen mitgebracht. Wir haben die unschönen Dinger damit tinkturiert. Haben auch den abnehmenden Mond abgewartet und dreimal den Spruch «O Warze du, so gehe fort. Warz ab an einen andern Ort!» geflüstert.
Tatsächlich zeigte die Tinktur Wirkung. TOM WAR MIT FEUERROTEN BORBELN ÜBERSÄT. Und auf den Warzen wuchsen Haare.
Erst viele Jahre später brachte eine Studie des Max-Plank-Instituts die Lösung des Übels: Toms Rücken litt unter der Reibung seines Rucksäckchens. Rucksäckchenreibung fördert nämlich Warzenwachstum.
ICH HABS IMMER GESAGT.
Evchen will mir also den Appenzeller und seine legendäre Wurzel aufschwatzen, aber sie sieht mein Gesicht und greift seufzend zu einer Visitenkarte. MISTER SHEBA - AYURWEEDISCHE ÖLBÄDER UND KARTENLESEN.
Dienstag - Mein Zipperlein führt mich ins tiefste Kleinbasel. Ratlos stehe ich vor einem Riesenblock, wo Mister Sheba und seine Karten zu Hause sind. Es hat 55 Glockenschildchen. Die Namen sind türkisch, chinesisch, russisch, albanisch - nur einer heisst HUBERT MEIER.
Dort klingle ich, obwohl ich vermute, dass Hubert Meier weder ölt, noch Karten liest.
Ein altes Männchen öffnet. Zeigt mit dem Finger wortlos zu einer Türe im dunklen Korridor. Ich sage «merci». Klopfe an - und schon gaggern mir fünf Frauen in schwarzen Kopftüchern mit feurigen Augen entgegen: «Raus! Raus!»
«Sheba?», kann ich eben noch fragen. Da knallt die Türe. Und eine andere öffnet sich. Ein Mann in der Kleidung eines Maharadschas macht eine leichte Verbeugung: «Come in!»
Ein bisschen ist es wie an Weihnachten: überall Kugeln und Kerzen. Dazu ein nasenbetäubendes Duftgemisch aus Zimt, Nelken, Curry und WC-Ente.
Da ich die Karten ablehne, legt mich Herr Sheba auf eine Gummicouch und begiesst mich mit heissem Öl. Dann holt er kugelige Kräutersäckchen und knallt mir die energisch auf alle Weichteile. «Stempel-Massage», lächeln seine Zähne.
Schliesslich werde ich erneut geölt, und es würde mich nicht wundern, wenn Herr Sheba mich direkt auf den Grill führen würde. Aber nichts da. Er zeichnet ein Kreuz auf meine Stirn. Und bittet mich, ihm die Zunge rauszustrecken. Ich strecke sie ihm.
«Aha», sagt er. Und holt aus der Küche eine Teekanne, in der verschiedene Blüten schwimmen.
Der Tee schmeckt wie eingemachte Gurken.
Zu Hause komme ich dann nicht mehr aus der Toilette raus. Evchen ruft an: «Wie fühlst du dich?» Ich muss zugeben, dass das Zipperlein nachgelassen hat. «Den Tee hat er vom Appenzeller?», sagt Evchen triumphierend.
Gesucht wird nun eine strahlende Sekretärin?