Von Glühwürmern und Panik im Schlafzimmer

Donnerstag - Es ist, als ob eine Fee im Mai den Zauberstab über die Insel ausschütten würde: Immer wenn die Nacht ihren schwarzen Schleier über die Hügel wirft, flimmern Millionen von Lichtern aus den Büschen: le Luciole. Nicht umsonst bejubelt das Touristen-Büro unsere kleine Insel als Glühwürmchen-Paradies. Und das kann man in Italien doppelbödig auffassen: Luciole ist nämlich auch das Wort für Freudendamen. Vermutlich weil diese in ihrer glimmrigen Art ebenso auf sich aufmerksam machen wie die kleinen Fliegen mit ihrem hellen Lichtsignal.
Insel-Gäste stehen verzaubert vor der Flimmerpracht, wenn der Weg zum Meer wie der Broadway zu funkeln beginnt. Sie rufen «ahhh». Und «ohhh». Und später rufen sie auch - NÄMLICH MICH AUS DEM SCHLAF, WEIL SO EINE LUCIOLA SICH IN IHR SCHLAFZIMMER VERIRRT HAT. UND NICHT ETWA DIE DOPPELBÖDIG GEMEINTE. SONDERN DIE MIT DEM PENETRANTEN LICHT AM SCHWANZ.
Nun ist es aus mit Pennen. Sowohl für mich wie auch für den Gast, der jammernd herumirrt: «... kann man die nicht abstellen?!»
Nein.
Kann man nicht.
Luciole sind Dauerbrenner.
Erst bei den ersten Sonnenstrahlen knipsen sie auf «aus». Und sehen dann ohne ihren Funkelzauber aus wie hässliche kleine Fliegen mit Runzelschwanz - na ja. Auch hier gibts eine Parallele zu den Luciole des horizontalen Gewerbes...
«In meinem Zimmer ist ein Glühwurm», jammert Tom, mein fitter Vetter.
Er hat mich aus diesem wunderbaren Traum geweckt, wo mir 30 Knut-Bären aus weisser Schokolade einladend zuwinken. AUSGERECHNET WEISSE SCHOKOLADE. Ich hatte einen Bärenhunger drauf und weils ein Traum war, liefen die Dinger ja unter kalorienfrei.
DESHALB WARS JA EIN TRAUM.
«Was mache ich nun?», wird mein Vetter leicht hysterisch.
Ich meine: Da turnt er sich zwei Stunden am Tag die Möpse straff, trainiert seinen Arsch auf und den Ranzen ab. Er hat Oberschenkel wie Parma-Schinken und nennt sich bei der Weiberwelt «der Mann für alle Gelegenheiten». JETZT KOMMT SO EINE LUCIOLA IN SEIN ZIMMER. UND DER SUPERMANN KENNT NUR EINES: PANIK!
«Sie tun nichts», rapple ich mich aus dem Schlaf. Und höre wie mein armer (nicht trainierter) Bauch den verpassten Schokobären nachknurrt.
«Sie tun nichts» - ist das Wort, das ich auf dieser Insel im Munde führe wie der Prediger das «Amen».
Wenn Augustos Bienenvolk sich auf unsere Erdbeerkonfitüre verirrt: «Sie tun nichts!»
«Sie tun nichts» - rufe ich auch beim Schrei der Leute unter dem Feigenbaum. Sie stieren wie gebannt auf die - zugegeben - etwas allzu langen grünen Schlangen. Für die verfressenen Tiere sind Feigen eben dasselbe wie für unsereins Schoko-Knuts.
«Sie tun nichts!» - beschwichtige ich die Stadteier hier, wenn eine Herde Wildschweine wieder mal vorbei trampelt, nur weil sie kurz unser Artischocken-Beet umpflügen will.
Und «HOL EIN WASSERGLAS!», knurre ich nun zu Tom, dessen spärliches Haar (denn das kann er nicht trainieren, das nimmt ganz von selber ab) in alle Richtungen steht.
Er zittert vor Aufregung, so wie er sonst nur zittert, wenn er 50 Mal die Hanteln à je 25 Kilo hochgestemmt hat. Dann verkrümelt er sich. Und sperrt seinen durchtrainierten Körper im Badezimmer ein.
Natürlich kann ich das Glas selber holen.
O.k. So ein Glühwurm hat die Ausstrahlungskraft einer Callas als Tosca. Und ganz klar, dass einem das Geblinke im Schlafzimmer auf den Geist geht. ABER DAS IST NOCH LANGE KEIN GRUND, MICH MEINER SÜSSEN SCHOKO-TRÄUME ZU BERAUBEN, DIE ÜBERDIES UNTER DEM WEIGHT-WATCHER-SIEGEL «DUDARFST» STEHEN.
Nun haben Glühwürmchen wohl diese Leuchtkraft, die ich bei Kandidaten von «SUPERSTAR» immer vermisse. Aber sie sind nicht unbedingt die Beweglichsten. Nein. Es sind Lahmeier wie ich. Und das Schöne liegt eben in ihrer sanft dahingleitenden Ausstrahlung (wieder: wie ich).
Es ist deshalb ein Leichtes, die Fliege mit dem Glas einzufangen. Innocent hat sich gar einmal überlegt, ob so etwas auf der Insel nicht industrialisiert als Energie-Alternative auszubauen wäre. Aber ich finde, sobald wir hier ein Glühwürmchen-Kraftwerk aufbauen, raubt dies dem Ganzen bestimmt den Reiz des Märchenhaften...
So wie der Schmetterlingsjäger mit dem Netz gehe ich mit dem Glas auf die Luciola los. Sie blinkt nun gefangen hinter der Scheibe. Ich lasse sie draussen wieder frei. Und sie bedankt sich mit einem Lichtsignal, dessen Worte ich nicht verstehe, das aber sofort einen Partner/eine Partnerin (wer weiss das schon?) anlockt.
«IST SIE WEG?» - tönts dumpf hinter der Badezimmertür.
«JA - UND MEIN SCHLAF AUCH!», gebe ichs dem Muskelpaket bissig.

Freitag - Lida bringt ihre Tochter zum Putzen mit. Der Minirock der Kleinen hört genau dort auf, wo das Unanständige anfängt...
Tom baut sich breit auf. Und lässt die Muskeln hopsen: «Oh lala... bella signorina...»
Sie kichert. Und lässt den Besen fallen. Dann signalisiert sie Freude mit Augen und Hüften.
Gottlob leuchtet sie nicht. Sonst wird das nie etwas...

Donnerstag, 24. Mai 2007