Von einem Stierkampf in Valencia und zwei Ohren

Donnerstag - Valencia ist eine wunderschöne Stadt. (Damit ist dieser Satz geschrieben, den ich dem Ufficio del Periodico zugestanden habe, damit sie mir eine Eintrittskarte zum Stierkampf besorgen.)
Ich musste so einen Kampf einfach sehen. Evchen, die zweitbeste Freundin von allen, hatte sich vor meine Füsse geworfen und die Fäuste zum Himmel gestreckt: «DAS TUST DU NICHT... DENKE AN DAS ARME TIERCHEN UND DIESEN VERDAMMTEN MACHO, DER ES UMBRINGEN WIRD. DIES ALLES, UM BEI EIN PAAR PAPIERFÄCHERWEDELNDEN SENORITAS EINDRUCK ZU SCHINDEN...»
Ich dachte - zugegeben! - weniger an das arme Tierchen als an den Macho mit Dolch. Stierkämpfer tragen nämlich ein hautenges Kostüm, das ihre Rundungen klarer abzeichnet als Paris Hiltons neuste Frisur den IQ. Ja, Stierkämpfer sehen in ihren Hosen immer aus wie gülden bestickte Bratwürste aus dem Sud: prall und phall.
Evchen umfasst nun meine Beine und schluchzt: «Stell Dir vor, der Stier wäre Hugo...»
HUGO IST IHRE SCHILDKRÖTE - ein absoluter Rammler, vor dem kein Schuh sicher ist. Ich habe Hugo in Gedanken schon öfters zu Suppe gekocht...
«Der Stier hat auch seine Chance...», sage ich. Und stelle mir genüsslich vor, wie er mit dem Spitzen Horn aufs Torero-Pralle losgeht.
«Der Stier hat absolut keine Chance», sagt Benni, als da Nummer 19 mit Namen «Roberto di Sevilla» und 503 Kilo Bio-Fleisch auf vier Beine verteilt in die Arena torkelt. Da die Sonne scheint und Roberto di Sevilla keine Brille auf sich trägt, sieht er nichts als fuchsia-farbige Tücher, mit denen einige Hilfstoreros rumwedeln, wie Innocent mit Kleenex bei einem Niesanfall. Mit den flatternden Tüchern wollen die Männer Roberto heiss machen - und mit ihren ausgeschamten Hosen die Frauen.
UND NICHT NUR DIESE.
Aber das dumme Käppi, unter dem sie das Haar einölen wie unsereins das Filet vor dem Grill - also dieser Deckel verdirbt jeglich toreronisch Männliches. Da können sie diesen Tschäpper noch so stolz - olé! - in die Arena schmeissen. Wenn darunter das kleine, haarige Schwänzchen herauslampt, das sie zu allem Elend auch noch Cola nennen, so ist das für einen Nichtspanier genau so reizvoll, wie der Bulle von Tölz in langen Woll-Unterhosen... Jedenfalls habe ich nicht mit dem Fächer gewedelt...
«Das Schwänzchen ist Tradition. Ohne geht es nicht», flüstert mir Benni gereizt zu. Er entschuldigt sich nach allen Seiten, weil ich die Menschen mit meinem Interesse, das mehr dem Äussern gilt, madig mache. «Wenn er das Schwänzchen abschneidet, ist seine Torero-Laufbahn zu Ende.»
NA BRAVO. BEI DEN KASTRATEN FING DA DIE KARRIERE ERST AN...
Der Stierkämpfer heisst El Cordobes und gibt trotz dieses Haar-Tutts, der ein bisschen an Tante Bärbel vor dem Schlafengehen erinnerte, eine blendende Erscheinung ab. Kein Gramm Fett zu viel (das war bei Tante Bärbel ganz anders!). Und wie er sich zapfenzieherisch drehen kann - EIN GENUSS! Das Finale ist dann die Bananen-Position mit hohlem Kreuz und gezücktem Schwert. Ich schaue gespannt auf die durchgespannte Rückseite. Aber das Kostüm hält. Es muss aus diesem unverwüstlichen Stretch sein, wie die Stützstrümpfe der oben genannten Bärbel...
Allerdings macht Roberto di Sevilla dann Meister El Cordobes einen zünftigen Strich durch die Rechnung. ROBERTO IST EIN STIERER STIER. Kein Feuer im Arsch. Kein Schnauben auf den Lippen. Roberto di Sevilla ist mehr das, was unser Adelbodner Nachbar-Bauer Göpfi auf der Weide hält. Und «Mädi, myner beschter Miuchchueh» nennt.
El Cordobes versucht nun diesen Roberto mit wedelndem Tuch aus der Reserve zu locken. NICHTS DA. Der Toro di Sevilla schaut nur wie der Frosch vor der Fliege. Ihn scheisst die Sache einfach an, ahnt das arme Tier doch, dass es spätestens am nächsten Morgen als Corned Beef in Büchsen enden würde...
«Eine müde Nummer», urteilt meine fette Nachbarin zur Linken. Während der blutigen Prozedur, als ein Reiter auf gepanzertem Ross Roberto mit einem langen Speer piesackt und die Hilfstoreros den Stier mit gerüschten Dolchen spicken (wie Kembserweg-Omi den Rindsbraten mit Speck), während dieser Leidenszeit hat diese Mantilla-umwölkte Zweizentner-Paella doch seelenruhig sechs Berliner verdrückt. Nun ist ihr Mund das Süsseste vom Mädchen.
Schon ertönen drei Trompetenstösse. Die Musik - ein Acht-Mann-Orchester von erbärmlicher Qualität und null Taktgefühl - verirrt sich in einer Art Flamenco.
Roberto di Sevilla gähnt. Dann hat das Warten ein Ende. El Cordobes stösst zu. Der Stier schaute be- und getroffen. Endlich sackt er in sich zusammen wie damals das alte Theater, als man es sprengte.
Und meine Nachbarin hat nun auch den 8. Berliner, den sie hier Zurro nennen, verdrückt.
Nun aber hebt ein Brüllen in den Rängen an. Die Leute winken mit ihren weissen Sitzkissen.
«Sie wollen die Rrabo für El Cordobes», schreit Benni entzückt, «er soll die Hoden bekommen...»
Na, wenn er das braucht. Mir geht die Sache eh auf die Eier...
Statt der Hoden hat der Torero dann aber nur zwei Ohren des Stiers bekommen.
Abends habe ich Evchen angerufen: «Für Hugo besteht in Spanien keine Gefahr...»
Hugo hat weder Ohren noch Eier...

Donnerstag, 12. April 2007