Vom Tag danach und Rollmops mit Spiegelei

Donnerstag - Ach Kinder.
ES IST DAS GRAUEN PUR.
O.k. Nicht für Innocent. Der hockt mit seinen Weibern auf der Rigi. Und schellt mich bereits um acht Uhr morgens aus der Heia:
«Hallöchen?»
Ich bin noch weit, weit weg. Meine Birne glüht. Vermutlich Fieber. Sicher aber ein Kater.
Ein Fasnachtsdonnerstag-Morgen ist wie die eigene Todesanzeige - zum Vergessen.
«HALLÖCHEN HABE ICH GESAGT!» Und dann weinerlich: «Seid wir registriert sind, bist du so kalt zu mir?»
DIESE ALTE TUSSE MACHT WIEDER AUF STUNKALARM.
Ich erhebe mich mühsam aus den Daunen. Mir ist nicht nur tonnenschwer ums Herz. MIR IST AUCH KOTZÜBEL.
«Nimm einen Rollmops mit Spiegelei», haben sie mir im Stadtkeller nach dem Schlusspfiff um vier Uhr vorgeschwärmt. «Man erwacht dann leichter? überdies ist das Tradition. Schon vor hundert Jahren haben die Bebbi ihre Fasnacht mit einer Daagwach und dem Rollmops begraben?»
ES IST, ALS HÄTTE ICH NICHT DIE FASNACHT, SONDERN DEN ROLLMOPS BEGRABEN. DER LIEGT MIR NÄMLICH NUN QUER IM MAGEN. UND INNOCENT DARÜBER:
«Weshalb sagst du nichts?», tönt das Klagelied von der Rigi.
Ich versuche die verklebten Augen auszureiben. Was ich sehe, ist nicht schön: Konfetti, deren Farben nun so erloschen sind, wie die Weihnachtslichter im Mai? mein Kostüm, das Lotti mit so viel Liebe und Fantasie geschneidert hat, mieft von Bier durchtränkt über einem Brokatsessel. Irgend so ein besoffener Arsch hat nämlich sein ganzes Rugeli darüber geschüttet. Und in dieser bierigen Wolke habe ich dann den Mops und das Ei reingezogen - HIMMEL WAR DAS EINE BIERIDEE!
Das Piccolo liegt in den Schuhen, den ausgetretenen, und die beiden Einlagen sind auf dem Spannteppich verstreut. Sie sind neu. Und sie haben mir so höllisch weh getan, dass ich mir vorkam wie diese Prinzessin im Märchen, die auf Schwertern gelaufen ist, um ihre Brüder zu erlösen. NUR WARTEN BEI MIR WEDER BRUDER NOCH KÖNIGREICH - SONDERN DIESE RIESENSCHWEINEREI UND DAS KÖTZI IM MAGEN.
«HALLLOOOO!», brüllts nun energisch aus dem Hörer.
Ich versuche nicht nur eine Unterhose, ich versuche auch meine Stimme zu finden.
Beide verschollen.
Überdies klopfts dezent gedämpft von der gepolsterten Tür: «Hallo!» - dies kommt aus einer andern Welt, draussen im Korridor.
Langsam trudeln auch wieder die Ganglien auf die Reihe: Klar. Ich bin ja noch in diesem Hotel, in das mich die gute, alte Linda immer verbannt hat, weil sie an der Fasnacht «nicht dieses Räppli-Schwuainerei» im Haus haben wollte.
Das Hotel kann ich nicht auf Spesen absetzen. SO GUT GEHTS UNSERER ZEITUNG AUCH WIEDER NICHT.
Und dies erinnert mich daran, dass unsereins auf das «Hallo von der Rigi» freundlich reagieren sollte.
Zuerst aber - «klopfklopfklopf» - muss der zweite Halloaner draussen vor der Tür befriedigt werden.
Es ist eine nette, schwarze Frau in ebenso rabenschwarzem Kleid und weissem Schürzchen sowie hellem Gemüt. Sie strahlt mich an: «Sie wollten um acht Uhr geweckt werden, Mössiö?»
Sie sieht aus wie Linda - nur üppiger aufgebaut.
Ich versuche, nach einem Portemonnaie Ausschau zu halten - auch als einfache Trämlerstochter weiss MANN, was sich im Hause der drei Könige gehört.
Ich äuge umsonst. Und ich kann der guten Frau ja nicht von diesen Mimosen in die Hände drücken, die nun bereits mit knallharter Deutlichkeit darauf hinweisen, dass es mit ihnen und Basels schönsten Tagen sein Ende gefunden hat.
Die Frau kapiert. Zeigt lächelnd eine Reihe blitzender Zähne. Und diese erinnern mich daran, dass ich heute noch meinen neuen Badezimmerspiegel montieren will.
«Macht nix, Mössiö», lächelt die schwarze Perle unverwüstlich, «ich bringe Ihnen in zehn Minuten einen Kaffee.»
Die Stimme aus dem Telefon tönt nun weinerlich - kommt in Panik: «Ist etwas passiert? HALLO? HALLO? Mauselchen? sag doch etwas?!»
Er hat mich «Mauselchen» genannt.
Das tut er sonst nur an Weihnachten, wenn er mir sein Buch unter der Tanne überreicht.
Ich schaue aus dem Fenster. Träge zieht der Rhein vorbei. Er nimmt die Zeit mit - und lässt die Erinnerungen.
Über die Brücke, wo gestern noch Menschentrauben hinter den Guggemuusigen hermarschiert sind, fährt ungerührt die Normalität: Ein Sechsertram bimmelt energisch einen Velofahrer vom Gleis.
Ich hangle nach einem Zigarillo. Die braunen Dinger liegen aufgeweicht neben einem Glas mit Cola. Noch immer brummt der Kopf - zitternde Finger knipsen den Flammenwerfer an. Zwei Minuten später gibts Feueralarm. KLAR - HIER IST JA NICHTRAUCHERZONE. Rote Lichter tanzen wie aufgeschreckte Mücken durchs Zimmer. Eine Sirene heult all das heraus, was meine Gefühle sagen wollen.
«Hallo!», schreits nun verzweifelt aus dem Hörer.
«Hallo», tönts draussen auf dem Gang, «HALLO - Ihr Kaffee, Mössiö?»
«Hallo», sage ich endlich.
Hallo - am Tag danach?

Donnerstag, 1. März 2007