Donnerstag - Im Januar ist die Insel verlassen. Und ich bin es auch.
Seit Innocent diesen miesen Zeitungskiosk am Hafen entdeckt hat, der neben nackten Weibern in Latex-Stiefeln auch noch faschistische Lektüre über die Zeit des Duce («Man kann sagen, was man will - aber damals war alles noch in Ordnung. Und Arbeit, Arbeit hat jeder gehabt?») feilhält, seit Innocent also zwischen Mussolini und dem Kalender der Ortspolizei auch einige Heftchen mit Sudokus entdeckt hat, ist er nicht mehr zu sprechen.
Er brütet. Sudokutet von 1 bis 9.
UDN NUN DÜRFT IHR MAL RATEN, WER DIE WÄSCHE AUFHÄNGT!
Ich habe gedacht, jetzt wo ein neues Jahr mit frischem Zivilstand angefangen hat, würde sich bei registrierten Partnern alles zum Bessern wenden.
JA PIMMELDRECK!
Ich klammere Leintücher an durchhängende Plastikseile.
Ich bügle Unterhosen. Knete Pastateig. Und wenn ich etwas sagen will, heisst es: «Pssst - nicht jetzt. Mir fehlen nur noch drei Zahlen?»
DA FÜHLST DU DICH SO EINSAM, WIE DIE LIEGENGEBLIEBENE BARBIE AM STRAND?
Die Sonne ist ein paar Monate voraus und wärmt, dass die Mimosen bereits den eidottriggelben Flaum raushängen lassen. Sie versprühen Fasnachtsduft. Und ich wünschte mir, jetzt in Basel zu sein, wo mein Piccolo noch immer uneingepfiffen in der Schublade liegt. Und der «Brandenburger» so unberührt wie eine alte Nonne daneben auf meinen Einsatz wartet.
Kein Touri-Mensch nervt zu dieser Jahreszeit auf der Insel. Am kleinen Hafen hocken die Fischer auf den ambossförmigen Anlege-Bolzen. Sie spinnen Fischergarn. Und kauen die Perlen von Riccola, seit ihre einstigen Toscani-Stumpen aus allen Beizen und Bars verjagt werden wie der Leibhaftige aus der Kirche.
Wenn ich im schmucken Hütchen mit dem lindengrünen Patchwork vorbeiparadiere und ihnen ein herzliches «saluti zusammi!» entgegentrompete, schaut keiner mehr auf. Die Zeit hat sie an das Schreckliche dieser Welt gewöhnt - die Zeit und das Fernsehen, das nicht nur ihr Nachtessen, sondern auch ihren Liebesakt begleitet.
Nur Luigi, der Bäcker des Ortes, scheint sich wirklich zu freuen, wie ich den winzigen Laden (der eigentlich nichts anderes ist als eine Garage, in der ein Holztisch sowie eine Registrierkasse stehen) betrete.
Luigi backt die besten Brötchen im Ort. Seine «arabi», wie er die braungebrannten, knusprigen Bengelchen nennt, sind politisch nicht unbedingt korrekt, aber sicher im Umkreis von 200 Kilometern das Beste, was Italien an täglichem Brot zu bieten hat. Das Land ist diesbezüglich nicht sonderlich verwöhnt. Italienisches Brot ist spätestens nach drei Vaterunser ein hartes Brot. Aber Luigis arabische Brötchen bleiben aussen knusprig und im Innenleben watteweich, sodass die Menschen in der Touristensaison stundenlang vor der kleinen Garage Schlange stehen, um an Luigis Bengelchen zu kommen.
NUN ABER IST DIE GARAGE LEER. Und Luigi kommt aus der Backstube in den Laden gehüpft. «So eine Freude - dass Sie hier sind? Endlich können wir mal zusammen plaudern. Nehmen Sie zwei, drei Cantucci mit mir?» Schon balanciert er ein Blech voller fingerlanger, frischgebackener Knusperdinger, in die er ganze Haselnüsse und Aniskörner eingebacken hat. Ein verführerischer Duft schwebt durch das dunkle Loch, und wer kann da schon widerstehen. Im Nu ist das halbe Blech leer: «Wir geniessen diese Zeit, Signore? keine Touristenseele weit und breit. Endlich kann ich auch mal mit meinen Kunden ein paar Worte wechseln?»
WIRKLICH CHARMANT DER MANN!
Er erzählt mir vom mühsamen Leben eines Bäckers, dessen Frau und Mutter seiner fünf Kinder nach dem Stillen des Nachzüglers keine sexuelle Lust mehr zeige: «Aber auch ein Bäcker hat sein Bedürfnis, Signorino?» Nun guckt er mich mit seinen Augen, die voller Grappatränen sind, vielsagend an und taxiert mein Fleisch wie Aldo, der Dorfschlächter, die Zuchtsau.
Mir ist die Sache etwas peinlich und ich mache mich über den Rest auf dem Blech her. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, will ich das Rezept seiner Cantucci . Luigi grinst: «La Nocciola, Signorino? meine wunderbare Haselnuss ist das Geheimnis.»
Dann formt er mit Daumen und Zeigefingern einen Kreis und zeigt - «hehehe!» - die Grösse der Haselnuss.
Hurtig mache ich mich davon, bevor ich auf einem seiner Vorratssäcke lande. Man stelle sich vor: bald sechzig, frisch registriert und dann im Mehl gedreht.
DAS DANN DOCH NICHT!
Auf der Strasse brüllt er mir nach: «Ihr seid alle gleich? profitiert nur. Die Cantucci kosten 12 Euro, Signore!»
«Der Frühling kommt dieses Jahr einfach zu schnell», sagt Gianni abends.
Wo er recht hat, hat er recht.
Freitag - Innocent brütet wieder über einem neuen Stapel von Sudoku-Heftchen.
«Luigi wollte mich vergewaltigen?»
«Awa?» - murmelt er.
«Er hatte bereits die Mehlsäcke bereit?»
«Awa?»
«Ich habe die Flucht ergriffen und dann noch 12 Euros für gehabtes Vergnügen bezahlt - ein Blech voller Cantucci?»
Nun juckt Herr Innocent aber wie ein Springball von den Sudokus auf: «12 EUROS - DER SPINNT JA!»
Sagen wirs mal so: Das Jahr verspricht nicht viel Neues?