Vom humpelnden, dritten König

Donnerstag - In unserm Hafenort auf dieser kleinen Halbinsel, wo die ersten Mimosenbäume in der Weihnachtsnacht zu blühen begonnen haben und goldgelbe Grüsse von den Verstorbenen aus der Galaxis auf die Zurückgebliebenen ausschütteten, in «Porto» also rüstet sich jeder und jedes für den Königstag.
Am Samstag kommt noch einmal die «lebendige Krippe» in Aktion - dieses Krippenspiel, das von den Einwohnern seit Hunderten von Jahren in der Nacht des Heiligen Abends erstmals durchgeführt wird: Der Ort verdunkelt sich wie unsere liebe Stadt beim Vier-Uhr-Schlag. Nun lodern Fackeln und Wachslichter an allen Ecken. Und man hört das Hämmern von Kesselschmieden, das Blöken der Schafherde, die ein Hirt durch die engen Gassen dirigiert, das Sägen der Zimmermänner - kurz: Der Ort dreht die Zeit 2000 Jahre zurück und jeder hat seine Rolle zu spielen.
Die Handvoll Touristen gehen von Gasse zu Gasse, lassen sich Wein aus tönernen Krügen einschenken, einen Tropfen, der auch nicht besser schmeckt als vor 2000 Jahren - auf offenen Feuern werden Schweine, deren Haut goldglänzend schwitzt, am Spiess gedreht. Die alte Loredana aber, die ansonsten im Douglas-Parfum-Shop After-Shave zu Dumping-Preisen verschachert, bietet hier in einem Outfit, das eher an die Titelfigur «Nicht ohne meine Tochter» als an eine Marktfrau Bethlehems erinnert, handgepflückte Feigen an, die sie mit einem Holzstab aufgespiesst und in der Herbstsonne getrocknet hat.
DAS SCHÖNSTE ABER SIND DIE DREI KÖNIGE.
Kurz vor Mitternacht fahren sie auf einem prächtig beleuchteten Schiff (und natürlich sind die tausend Glühbirnen ein Anachronismus - aber im biblischen Theater darf man alles nicht so eng sehen...) im Hafen ein und ziehen mit ihren Eseln, die Berge von Geschenkpaketen tragen, zum Jesuskind in die Kirche.
Natürlich ist es die höchste Ehre, einen König im Krippenspiel darstellen zu dürfen. Aldo hat sein ganzes junges Leben davon geträumt - aber erstens war Aldo arm wie die berühmte Kirchenmaus. Und die Könige hatten ihre Kostüme wie auch die Geschenke, die sie an die Kinder verteilten, selber zu berappen.
Überdies war es ein ungeschriebenes Gesetz, dass nur die Schönsten des Dorfes zu Königen erkürt wurden - und als Aldo, bei dessen Geburt die Hebamme aufschrie: «un Zampone - ein Schweinefuss!», sich für die Rolle des Königs meldete, wurde er verhöhnt. «Wir wollen keinen?Mago?, der humpelt», schrie das Krippen-Konsortium. «Und auch keinen, der schielt, kaum drei Fuss gross ist und beim Espresso die Kaffeebohnen abzählen muss...»
Der «Zampone» verliess an einem Dreikönigs-Tag den Hafenort. Ja, der kleine Aldo war nie mehr gesehen. Und keiner hat ihn gross vermisst.
Umso heftiger war nun die Aufregung, als viele Jahre später ein Brief bei der Gemeinde ankam: Aldo stelle sich zur Königswahl. Er habe in den Staaten sein Glück gemacht. Seine Schinken-Vertriebskette habe Millionen gebracht. Und er werde nicht nur die Armen, sondern auch die hochdekorierten Gemeindemitglieder sowie den ganzen Krippen-Vorstand mit goldenen Geschenken überraschen.
Muss sich ja keiner wundern, dass im Lande, wo der Metzger demjenigen das beste Filet zusteckt, der ihm den teuersten Wein offeriert, alles in Begeisterung ausbrach. Als eine kritische Stimme sich kundtat: «Ma il Zampone... der Schweinefuss... der Teufelsblick... der Zwergenwuchs», wurde sie sofort überbrüllt. «Es hat immer schielende Könige gegeben - und auch der Duce war nicht der Grösste!»
Gespannt warteten die Menschen vor Mitternacht am Hafen auf den König aus Amerika. Es schien ihnen, als leuchte das Schiff auf dem teerschwarzen Meer noch heller - und als da gar statt eines Esels ein Kamel an Land ging, machte die Aufregung einer Hysterie Platz: «Ein Kamel... ein echtes Kamel... der Zampone ist wirklich ein bedeutender Mann... unsere Könige waren bis anhin nur von Eseln umgeben...»
Niemand hätte den Zampone wiedererkannt. Majestätisch ging er neben seinem Kamel her. Eine Operation - durchgeführt von den besten Chirurgen der Staaten - hatte den kranken Fuss gegen eine Prothese ausgewechselt. Medizinmänner hatten seinem Schielen ein Ende gemacht und alle waren sich einig: «So blaue Augen haben wir noch nie gesehen!» Selbst Giuseppina, die am Hafen Fische putzt und der keiner etwas vormachen kann, behauptete später: «Er war mindestens 20 Zentimeter grösser als damals, als er uns verlassen hatte...»
Das Volk ging in die Knie, als ihr neuer König schweigend vorbeizog und an die Kinder wunderbare Geschenke wie Barbie-Puppen und Kriegsspiele verteilte.
Jedem Gemeinde- und Krippenkommissionsmitglied aber steckte er ein Päckchen zu, das in silbernes Glanzpapier gewickelt war.
Als der König beim Jesuskind angekommen war, jubelte das Volk. Er nahm die Ovationen ungerührt entgegen.
«Wir wählen ihn in den Gemeinderat», flüsterte Enzo, der Metzger. «Dann hat unser Ort ein Leben lang ausgesorgt...»
Aber da stand der «Zampone» auch bereits wieder am Hafen. Er wurde von einer schneeweissen Jacht erwartet. Ohne sich umzukehren, fuhr er in die schwarze Nacht hinaus - und niemand hat je wieder etwas von ihm gehört.
Als die Gemeindehöchsten ihre Pakete öffneten, war da ein goldener Stinkefinger drin. Für jeden einen. Sie haben ihn versteckt und nie mehr über diese Geschichte geredet...
So jedenfalls hat mir Giuseppina die Geschichte erzählt. Und ihr macht wirklich niemand etwas vor.

Donnerstag, 4. Januar 2007