Donnerstag - «Natürlich kommt Tante Martha!» Ziemlich resolut schaue ich von meinem Nespresso hoch. Sie nennen sein Aroma «Roma», obwohl mich der Caffè eher an den immer Queen-Mum-like winkenden Benedetto erinnert: «Viel Schäumchen und jeder Satz voller Rätsel.»
Über unserm Frühstückshimmel (Honigcornflakes, Gipfeli - auf die Innocent dann noch Butter streicht, UND DAS BEI CHOLESTERINSTAND 120000!!! - sowie frisch gepressten Mandarinensaft) schwebt Tante Martha wie eine düstere Gewitterwolke.
Martha ist Mutters Seite. Somit meine.
Zugegeben! - Martha ist schwierig. Und isst schwierig: «Ich will euch keine Umstände machen», kündet sie immer ihr Kommen an, «aber keinen Fisch? ich krieg die Dinger einfach nicht runter? und Kutteln. IGITT!! - Zunge? Um Himmels willen. Ich bin schon reichlich von bösen Zungen umgeben. Nein. Etwas Einfaches, leicht Verdauliches. In meinem Alter sind Verdauung und Zähne?»
Es folgt dann eine bunte Beschreibung von Tante Marthas Verdauungsgängen und Prothesenproblemen. Innocent wird grün im Gesicht. Und stellt den Hörapparat ab.
Mit mir spricht er stumm Bände. Sein Himmelfahrtsblick zeigt deutlich, was er von der Situation hält: «NATÜRLICH DEINE SEITE!»
Nun - sein Schwager Alfred-Ludwig ist nicht besser. Drei Mal schon hat er mir in seinem Vollhorn an die Tanne pinkeln wollen.
Alfred-Ludwig ist unkontrollierbar. Alle zwei Jahre wird er in diese privaten Kuren geschickt, die schon Betty Ford Linderung gebracht haben.
Bei Betty hats genutzt.
BEI ALFRED-LUDWIG NICHT.
Wenn er rauskommt, geht er im Galopp wieder an den Grappa-Schrank. Und behauptet: «Auf diesen Schnaps habe ich mich nun drei Monate gefreut, wie auf die Zigarette danach?»
Innocent schaut so deprimiert wie dieser Hund vor der «? und ich darf nicht hinein»-Metzgerei: «Weshalb tun wir uns das alles an? Warum können wir nicht einfach wegzischen. Und lassen die Alten in dem Heim?»
Ich tätschle ihm seine welke Hand, so dass der gebutterte Gipfel erschrocken in den Orangensaft plumpst: «Weil wir dann keine schöne Weihnachtsfeier hätten? das schlechte Gewissen würde uns plagen, wie der Teufel die Seele der armen Omi, als sie während des Zweiten Weltkriegs die Brotration ihrer Schwester heimlich aufgegessen hat?»
OMIS DIEBEREI WAR FAMILIENLEGENDE.
Sie wurde uns Kindern in jüngsten Jahren als drohendes Beispiel für kriminelle Neigungen runtergebetet. Omi selber spielte sich als reuige Brotagonistin (mit B!) auf. «? das könnt ihr euch natürlich nicht vorstellen? aber der Hunger war damals einfach schrecklich? und da lag das Brot? die Familie hat Irmchen verdächtigt? und ich habe nichts gesagt. ABER DAS GEWISSEN - KEIN AUGE HABE ICH NACHTS MEHR ZUGETAN. ICH WURDE BLEICHER UND DÜNNER. EURE URGROSSMUTTER SAH MICH IMMER NUR MIT TRAURIGEM BLICK AN? na ja. Mütter kennen ihre Kinder eben. Und da habe ich es nicht mehr ausgehalten und nach 10 Tagen alles heulend gebeichtet. Kinder - es gibt nichts Schlimmeres als ein schlechtes Gewissen. Lasst euch das eine Lehre sein - UND WEHE, WENN IHR MIR NOCH EINMAL AN MEINE BRUNSLI GEHT!»
Soweit die Omi-Saga.
Die stehlende Omi hat uns aber nicht allzu grossen Eindruck gemacht, weil wir das Stadium des schlechten Gewissens längst hinter uns und die Hälfte aus der Brunsli-Büchse gemuggt hatten.
«Ich dachte immer, Weihnachten sei HALLELUJA und das Fest der Freude. Bei uns ist es ein Treffen des Horrors. Wenn ich nur schon an Base Lucrezia denke?» Innocent buttert gefrustet den durchweichten Gipfel nach.
Nun ja - mit Base Luzie (wie wir sie nennen) ist es wirklich nicht schön. Sie behauptet konstant, in ihrem Pflegeheim würden sie stehlen wie die Raben. Als dann letztes Jahr ihr Hörapparat an unserer Feier verschwunden war, wurde jeder von ihr als Gauner bezichtigt, bis wir das muschelförmige Dingelchen schliesslich beim Jesuskind in der Krippe fanden.
Base Lucrezia schaut sich in kindlicher Freude nämlich vor der Singerei die Figürchen einzeln an und behauptet, die kämen noch aus ihrer Familie und dem Spätbarock, dabei ist selbst der Esel deutlich mit «made in Taiwan» auf seinem Kunststoffhintern geimpft worden.
Na ja - bei der Betrachtung muss ihr der Lauscher also rausgefallen sein. ABER NATÜRLICH WAR DANN DER TEUFEL LOS, und selbst mein fröhlich angestimmtes «Kommmeeet Iiihr Hiiirten?» brachte keine Entspannung. Erst als Schwager Alfred-Ludwig sich vor der Tanne aufbaute, um? na, schauen Sie sich mal den Anfang an? als alle zetermordio schrieen und Innocent den Stockbesoffenen in einen Sessel buxierte (und ich will euch nicht sagen, wie der Sessel danach aussah!) - also: da hat sich Fannys kleiner Dackelhund das taiwanische Jesuskind aus der Krippe geschnappt, und wir hörten plötzlich ein feines Pfeifen, weil die feuchte Schnauze den Hörapparat beschnuppert hatte. ICH MEINE - DAS SIND AUCH WEIHNACHTSWUNDER!
Und deshalb also: «SOLLEN WIR UNS DAS ALLES ANTUN?»
Innocent sieht jetzt schon aus wie Boxer Schulz in der sechsten Runde.
«Wir binden sie an die Stühle und geben Valium in den Apéro?», das bin ich.
Innocent: «Na dann: Oh du fröhliche?»
Von Gästen unterm Weihnachtsbaum
Donnerstag, 14. Dezember 2006