Vom letzten «Mimpfeli» und Schreiben

Illustration: Rebekka Heeb

Es gibt Leben, die laufen in geraden Bahnen. Alles schön vorprogrammiert - nun ja, ein bisschen wie bei diesen modernen Elektroautos, bei denen einer das Ziel eingeben muss. Und alles läuft dann automatisch ganz von selbst.

Ich meine das etwa so: Ein liebendes Elternpaar, welches die Kinder zur Matur prügelt... Studium ohne Umlaufbahn - auf direktem Kurs in den Grossbetrieb. Und dort nach 7 Jahren Lächeln in die Chefetage.

DAS IST DIE EINE NORMALITÄT.

Die andere: Pfadi... Jusos... Demos... und viel, viel Spass bei all den Treffen.

VERSTEHEN WIR UNS?

Nun - s o war mein Leben nie. Es machte Kurven. N u r Kurven. Steil gings bergauf - dann wieder zackig bergab. Matura? - Schwamm drüber! Arbeit? Kellner, Telefonist, Sonntagssekretärin mit Kopfhörer und dem Tippen von Peter Vogels FCB-Bericht. Dann auch Latein-Nachhilfestunden-Magister. In Latein war ich stark. Weiss der Himmel, von wem ich das hatte. Aber es brachte mir 2.50 Franken in der Stunde. Hallohallo - das half zu überleben! (Die Zeitung bezahlte fürs Sonntagssekretariat nur 1.35 Franken - und der alte Vogel schiss mich jedes Mal zu, weil ich seine diktierten Sätze falsch verbessert hatte...)

In all diesem Chaos aber waren die GESCHICHTEN.

Ich bin damit geboren. Im Kindergarten hat mich Fräulein Zürcher immer wieder aufgefordert: «Hanspeterli - erzähl uns ein Gschichtli!» Manchmal spann ich etwas zusammen. Oder spann Wahres von zu Hause zu einem Drama. Das Publikum war begeistert.

Nur einmal, als mein kleiner Bruder zu früh in die Welt rausrutschte und meine Mutter eine Frühgeburt hatte, weil sie beim Polizeianruf erfuhr: «Ihr Schwager hatte einen Autounfall. Er ist tot. Die Insassen sind es auch. Nur Ihre Schwester hat überlebt - der Zustand ist jedoch sehr bedenklich» -, also damals, als meine Mutter vor mir mit dem schwarzen Telefonhörer vom Sessel sank und plötzlich überall Blut über den falschen Perserteppich flutete - damals nahm ich das Drama in mich auf. Und erzählte es an meinem Geschichten-Mittwoch im Kindergarten. Reality-Story heisst so etwas heute.

Fräulein Zürcher unterbrach mich ungehalten: «Hanspeter - das ist ein ganz wüstes Geschichtlein. Ein totes Brüderlein. So etwas flunkert man nicht zusammen. Ab in die Ecke...» So habe ich schon früh gemerkt, dass die Menschen nicht die Wahrheit wollen - sondern bunte Hirngespinste. (Später habe ich das Rezept gemixt, sodass es für den Leser schwierig wurde, zu unterscheiden: Was ist Wirklichkeit was hat er erfunden? (War klare Absicht.)

Schon in der Primarschule wurde mir Schreiben das Liebste. Ich brillierte zehnjährig mit einem Aufsatz zum Thema «Ich bin eine Biene». Herr Ruppli, diese Seele von Lehrer im Gotthelfschulhaus, hatte uns alles über das Leben der fleissigen Insekten beigebracht. Aber natürlich war so ein Thema für mich viel zu lapidar. Ich machte aus der Biene eine Balletttänzerin, die von einer eifersüchtigen Wespe zur Sau gemacht wurde. Die Wespe endete im Schnabel einer Krähe - schon damals: DRAMATIK. Und die Benotung: «Am Thema vorbei...»

Im Gymnasium war Zeichnungslehrer Bart ein Fan meiner Aufsätze. Ich durfte auf den grossen Tisch hocken. Und aus meinen Ergüssen vorlesen. Derweil hatten meine Schulkollegen den Jungen mit den schmachtenden Kuhaugen zu zeichnen. Sie waren weder von dessen makelloser Schönheit noch von seinen wundervollen Geschichten inspiriert. Sie schnatterten über meine deklamierten Passagen hinweg - und kannten nur zwei Themen: Fussball und Weiber! MEIN GOTT!

Es war ganz klar, dass ich Schreiben zu meinem Beruf machen wollte. Ich sah mich als Kritiker von Shakespeare-Aufführungen - die Wirklichkeit wurden dann 30 Zeilen über den bunten Abend des Jodelclubs Schützenmatte.

ES WAR IMMERHIN EIN ANFANG.

Die Fortsetzung war die Jahresversammlung des Handorgelvereins Harmonika. Bref - ich wurde zum schreibenden Vereinsmeier jener späten 60er-Jahre.

Der grosse Moment kam, als «Onkel Fritz», der Lokalchef der einstigen «National-Zeitung», händeringend herumschrie: «ES FEHLEN UNS 50 ZEILEN! - BUBI, FÜLLE DAS BLEI MIT IRGENDEINER GESCHICHTE!»

Bubi war ich. Wenn jemand für die Herren Redaktoren zum «Kaffee-Servieren» und «Gipfeli-Holen» abdelegiert wird, ist er automatisch «Bubi». Es gab damals übrigens n u r Redaktoren. Keine INNEN. Und auch keine Kaffeeautomaten.

Wir produzierten z w e i Zeitungen am Tag. Und dies auf richtigem Papier. MUSS SICH EINER HEUTE MAL VORSTELLEN! Stoff war immer knapp.

UND SO SCHLUG MEINE STUNDE! Ich hockte mich an meine Hermes. Und hackte eine Geschichte von einer Ente Gwendolyn runter. Es war ein Enterich. Er ernährte sich von Zuckerschnecken. Stand politisch links. Und wohnte auf meinem Balkon. In seiner ersten Geschichte entwarf er Flyers («RUPFT DAS KAPITAL - UND NICHT DIE ENTEN!»)

Onkel Fritz raufte sich die Glatze: «Ja spinnst du denn - was soll dieses Gemimpfel?»

Aber es blieben nur noch 5 Minuten bis zur Deadline. Die Geschichte musste sofort in den Satz. Und so ist das erste «MIMPFELI» unter Druck in Druck gekommen. Es wurden viele «Mimpfeli» - und das Wort «mimpfeln» für die kleine, nichtige Schreiberei bald einmal ein ständiger Begriff.

Viele politisch orientierte Leser konnten mit dem Gemimpfel nichts anfangen. ABER GAR NICHTS.

Sie protestierten auf der Redaktion. Sie protestierten beim Verleger. Doch dessen Gattin Emmi war eine heisse Verehrerin von Gwendolyn - nur ihr ist es zu verdanken, dass die Neidhammel in der Redaktion aus dem gefiederten Star keinen Braten gemacht haben.

Bis heute haben die «Mimpfeli» überlebt - in einer Zeit, wo alles kurz geschrieben und schnell... schnell... schnell online abgefüllt werden muss, ist das ein Wunder. Dafür bin ich dankbar - auch der Illustratorin Rebekka Heeb, die mit ihren Zeichnungen ein grossartiges Eye-Catch kreierte. Und so alles zum Kult machte. Mit der Zeit wurden die «Mimpfeli» von geschäftstüchtigen Verlegern gesammelt. Und in Bücher verpackt. Auch gut. Auch: danke!

Doch jetzt: Vorhang. Und adieu an alle, die das Mimpfeli stets treu gelesen haben.

Ich wollte nie Schriftsteller sein. Wie auch? Ich wollte in der Zeitung auch nie politisch einfärben - oder eine Parteimeinung vertreten. Ähnliches gab es schon früher viel zu viel. Ich wollte einfach nur eines: in all dem Weltenchaos und Politsalat dem Leser ein paar Momente ein Lächeln schenken. Ich denke, so etwas braucht es in einer Welt der giftigen Leserbriefe, der Meinungskriege, des ständigen Hasses und des Bomben-Gezeters mehr denn je. Wir haben viele junge begabte Schreiber*innen. DESHALB: JETZT MAL LOS!

Ein bisschen tut es weh. Wie jeder Abschied. Aber die Kiloschachtel mit den Pralinen hilft über die ersten Durchhänger hinweg.

ICH DRÜCKE EUCH ALLE - UND DANKE, DASS IHR SO LANGE DABEI WART!

Illustration: Rebekka Heeb

Montag, 27. Juni 2022