Vom Einrichten, Häusern und den Träumen...

Illustration: Rebekka Heeb

Meine frühste Bubenerinnerung ist eine Zweizimmerwohnung an der Colmarerstrasse. Ich pennte in der Stube auf der Couch. Das Zimmer ging auf die Kreuzung zur Allschwilerstrasse. Und der ewige Verkehrsradau vom bimmelnden 6er-Tram, hustenden Velosolex und stöhnenden Autos brachte den Vorteil, dass man mir auch heute noch in einem Hotel das lauteste Zimmer auf die Hauptstrasse anbieten kann.

Ich verlange Prozente. Schlafe dennoch. Die Kindheit hat es gebracht.

Das Bad ging auf die Strasse - wenn man in der Wanne mit der Ente planschte, flog der Blick in den Oekolampad-Park. Und meine Mutter konterte stets, wenn ich wegen der miesen Wohnung stänkerte: «Aber Königliche Hoheit - wer kann sich den Hintern schon mit Blick auf den Park waschen!»

War nichts dagegen zu sagen.

Aber: Die Küche war düster. Gasherd. Und immer wieder kursierten beim Kaffeekränzchen diese Geschichten von gebrochenen Frauenherzen, welche mit Kopf im Gasofen den Weg über den Regenbogen suchten.

Es gab eine Terrasse. Sie ging in einen Hinterhof, der aus viel Kieseln und einer Teppichstange bestand. Die Teppichstange wurde zu meinem Trapez. Ich sah mich im Glimmerkostüm am Zirkushimmel - die Realität: Ich krachte in den Kies. Und schlug mir zwei Zähne aus. Kein Applaus.

Es ist sicherlich verständlich, dass der Bub dieser engen Atmosphäre entkommen wollte. Seine Freunde wohnten zumindest in Drei- oder gar Dreieinhalbzimmerwohnungen. Zwei in einer Villa. Letztere machte ich zu dem, was man heute «best friends» nennt - nur um einmal die Luft eines Hauchs von kaiserlichem Wohnen zu atmen.

Das Kind wollte also sein eigenes Haus. «Aber sicher!», sagte mein Vater. Und baute mir im Elsässer Garten ein Baumhaus.

DAS WAR JETZT NICHT UNBEDINGT M E I N DING! Wer Versailles vor Augen hat, will nicht eine Strickleiter zu einem Hundestall hinaufklettern müssen.

«Alles klar» - tröstete mich die Mutter. Sie kaufte mir ein Puppenhaus, wo ich die verschiedenen Nischen mit Miniaturmöbelchen einrichten konnte. Okay. War besser als die Hütte im Baum. Aber Versailles war es auch nicht.

Mit 16 zog ich in eine WG. Backsteinbau. Dunkel. Aber ich war verliebt - da ist alles gross. Und hell. Mit 20 war die Liebe am Ende. Und ich nahm mir meine erste eigene Wohnung: Dachkammer. Abgeschrägt. Und nicht weit vom Wasserturm entfernt gelegen. Der Turm begrüsste mich jeden Tag. Und half mir, den Traum von den 830 Zimmern in Versailles zu vergessen.

Später, als ich mit Innocent bereits 20 Jahre gemeinsames Streiten («Weshalb musst du dein Bürstchen stets in mein Zahnglas stellen?») auf dem Tacho hatte, eröffnete mir mein Ein und Alles: «Wir legen unser Geld in Häuser an. Das ist die Rente fürs Alter.»

Damals murrte ich. Ich hätte gern einen Ferrari, eine automatische Eiswürfelmaschine und einen Diener gehabt. Aber nichts da. Wir kauften eine Hütte in Leymen - ein altes Fachwerkhäuschen. Wir bauten es um. Investierten dort Geld. Später auch in Adelboden - im geerbten Chalet meiner Eltern. Und schliesslich verwirklichte ich mir meinen Traum: eine Wohnung in Rom.

«Das ist Blödsinn» - so Herr Innocent.

«Es ist ein Traum», heulte ich.

«Mit Träumen macht man keine Altersrente!», konterte er trocken.

Also kaufte ich die Wohnung heimlich mit dem Geld, das ich um den Hafen des gemeinsam Gesparten weggeschleust hatte. Weil es nicht viel war, wurde es wieder eine Einzimmerwohnung. Dies in einem Quartier, bei dem meine Römer Freunde das Kreuz schlugen: «Vergiss es! Hierher kommen wir bestimmt nie, um dich zu besuchen - da leben nur Kriminelle!»

Immerhin: Eines Tages zogen alle Kriminellen weg. Eine Maklerin hatte ihnen Traumpreise für die miesen Löcher geboten. Als sie auch bei mir anklopfte, erklärte ich: «Nein. Kein Verkauf, nur ein Tausch. Wenn Sie mir etwas in einem Palazzo finden, der Ähnlichkeiten mit Versailles hat.»

Sie fand eine alte Stallung eines verarmten Conte im Hinterhof eines Nobelpalais. Innocent schaute sich die Sache an. Und erstmals nickte er anerkennend: «Das mit der Römer Wohnung beim Campo hast du ganz gut gemacht - wir investieren nun das gewonnene Geld in diesen Stall. Die Lage beim Pantheon wird immer teuer zu verkaufen sein - und wir brauchen das Geld fürs Alter.»

Irgendwann kam dann auch noch eine Hütte auf einer Insel dazu. Ich richtete all diese Häuser und Wohnungen mit viel Liebe ein - es war wie das Puppenhausspiel von anno dazumal. Nur etwas grösser.

Heute weiss ich, dass Häuser viel Pflege brauchen. Viele Kosten verursachen. Und - so man keine Renditenbauten mit Mieteinnahmen hinstellt - nur Geld schlucken.

Meine Rente ist mager. Die von Herrn Innocent aufgebraucht. So müssten wir jetzt eigentlich auf den Plan B zurückgreifen: Unsere Altersvorsorge versilbern! Doch dann stehe ich inmitten dieser Erinnerungen. Und bin von meiner Vergangenheit festgenagelt.

MAN KANN ERINNERUNGEN NICHT VERKAUFEN!

Innocent tätschelt meine Hand: «Cool down, es findet sich ein Weg» So essen wir also Käse und Brot. Manchmal Pasta an Olivenöl. Und es geht immer. Allerdings frage ich mich jeden Tag, wie Louis XIV. das mit Versailles geschafft hat

Illustration: Rebekka Heeb

Montag, 25. April 2022