Von «Gstältli», Hüftgürteln und Strapsen

Illustration: Rebekka Heeb

Als Kind trug ich so etwas wie Strapse. ES WAR HORROR! Die Kembserweg-Omi nadelte mir Strümpfe auf Teufel komm raus. Sie strickte mit einer Wolle, die kratzte. Man hätte mit der Wolle auch rohes Holz polieren können. ABER HIER WAREN ES MEINE BEINE! Sie nannte es «Gstältli». An einem ausgeleierten Gummigürtel lampten Schnallen wie die Häute von ausgelutschten Weisswürstchen runter. Mit Perlmuttknöpfen wurden die gräulich grauen Wolldinger am Hüftgürtel festgeknüpft.

UND SO SCHICKTEN SIE MICH AUF DIE STRASSE. Die Oekolampad-Gang fand es einen Brüller. Aber Frau Gygax, unsere Etagennachbarin, intervenierte bei meiner Mutter: «Hanspeterli ist eh schon zartbesaitet - solche Hüftgürtel mit Wollbeinen dran könnten bei ihm einen dauernden psychischen Schaden auslösen.»

Mutter ging gleich auf 100: «Ach ja? Geben Sie das doch bitte meiner Schwiegermutter durch. Sie finden sie dort, wo die Luft nach Pech und Schwefel stinkt.» Die Beziehung Schwiegertochter-Teufelsbesen war so bissig wie die Wolle, mit der die Omi stickte.

Wenn ich meinem Vater die Jammerarie «Die andern Buben lachen über mich, wenn ich

ihnen den Strumpfhalter zeige» sang, klopfte er mir fröhlich auf die Simpelfransen: «Warts ab. Die kommen auch noch auf den Geschmack.» IRRTUM. KAMEN SIE NIE!

Meine Mutter benutzte ebenfalls so einen Textilgürtel, an dem die ersten Nylons aus dem Land der tausend Möglichkeiten aufgeknüpft wurden wie Verbrecher am Galgen. Jahre später habe ich etwas Ähnliches an Marlene Dietrich bewundert. Allerdings war Marlenes

Aufknüpf-Montur aus nachtblauer Seide. Und die Strümpfe waren schwarz. Im Übrigen konnte es Mutter nie mit den Beinen des blauen Engels aufnehmen. Ihr «Hügü» (wie die Konstruktion im Volksmund frivol benannt wurde) dümpelte in der Farbe eines in die Jahre gekommenen Klöpfers. Sie trug das Arge unter dem Deuxpièces. Auch die Unterwäsche hatte damals den dezenten Ton abgehangenen Fleisches.

Das Prozedere, bis der Strumpf am Bein war, wurde dann zu einem Heidending: Vor der Frisierkommode drapierte sich die Frau auf dem Hocker. Rollte die teuren Nylons zusammen, sodass sie in etwa so aussahen wie die Gummidinger der Männer, für die die Reklame ebenfalls «röllele, röllele, röllele» befahl. Dann winkte Mama mit der grossen Zehe. Und schlüpfte rein ins Hauchdünne. Das Spinnfadenzarte wurde an den Beinen hochgerollt. Und dann an winzige Klämmerchen geknipst.

Vater - der bei Mutter immer auf Diät war («Ich habe Wäsche, Hans!»), schaute ihr mit leerem Schlucken zu: «Ach Lotti, könntest du nicht einmal rot...?»

Sie hob genervt den Kopf: «Spar dir solche schweinischen Ideen für deine Weiber auf!» Dann fluchte sie, weil ihr eine Laufmasche entgegenrannte: «HIMMELUNDDORIA, jetzt habe ich mir die sackteuer mit verstärkter Naht andrehen lassen, und schon sind die durch den Wind!» «Ach Lotti...» «Nichts da Lotti - bring sie sofort zu deiner Schwester. Ich brauche die Nylons morgen zur Fledermaus-Premiere.»

Man ging damals nicht einfach ein Paar neue Strümpfe kaufen. Die Dinger wurden nämlich ähnlich teuer gehandelt wie ein neuer Mercedes oder drei Kilo Opium-Bällchen. Also brachte man Laufmaschen zum Flicken - bei uns zu Tante Lilli. Vaters Schwester reparierte alles Gefallene mit einer kleinen Maschine, welche die Maschen wieder auffangen und hochspinnen konnte. Sie flickte für die ganze weibliche Verwandtschaft. Auch für Onkel Jules, von dem alle wussten, dass er unter der Polizeiuniform rote Strapse trug.

Zwei Jahrzehnte später, als Mutter dann etwas fülliger wurde, zwängte sie sich in einen Hüfthalter, der Üppiges zusammenhielt wie das Bratennetz den Rollschinken.

Diese Hüfthalter waren die Nachfahren des Korsetts. Und wer je im ersten der drei Sissi-Filme mit Romy Schneider mitgelitten hat, wie sie dem armen Mädchen Luft und Bauch abschnürten, weiss, wie meine gute Mutter gelitten hat. Dabei war sie nur Trämlersgattin. Und hatte kein Volk zu bezirzen.

ABER AUCH HIER SCHAUTE IHR GATTE MIT AUFGERISSENEN AUGEN ZU: SIE STOPFTE KEUCHEND DIE RUNDUNGEN IN DEN ELASTISCHEN GUMMI WIE DER METZGER DIE ALTE KUH IN DEN FLEISCHWOLF: «Ach Lotti - es gibt die Hügüs auch in Rot.» - Direkte Antwort: «Schweinehund!» (Mutter war auch in der Wortwahl keine Sissi.)

Gottlob hat dann irgendein Superhirn die Strumpfhose erfunden! Dazu eine Eierkur gegen fette Hüften.

Die Zeit mag uns momentan etwas beengend vorkommen - aber sie ist immer noch besser als die Jahre mit den fleischfarbenen Hüfthaltern. Oder Kratzwolle am Bubenbein.

PS, um keine Fake News zu verbreiten: ONKEL JULES TRUG KEINE ROTEN STRAPSE. Nur schwarze. Das habe ich von seinem Kommandanten.

Illustration: Rebekka Heeb

Montag, 24. Januar 2022