Die Geschichte der Pfeffermühle

Illustration: Rebekka Heeb

Ich war kein begnadeter Bastler. ABER SO WAS VON NICHT! Mutter nahm mich streng ins Visier - obwohl sie ahnen konnte, dass die Sache als Katastrophe enden würde: «So. Jetzt gehts an die Weihnachtsgeschenke! Was gedenkst du dem Gotti unter den Baum zu legen?»

Ich: «Einen Hermes-Shawl.» Die Mutter machte ihr Gallenstein-Gesicht. Aber sie war Kummer mit dem Buben gewohnt. «Du könntest ihr etwas Nettes zeichnen. Wir haben noch Bögen mit Büttenpapier. Ich bring das Werk dann zum Rahmenmacher. Und so hat Gotte Lenchen eine ständige Erinnerung an dich.»

Die ständige Erinnerung meiner Patentante an ihr Taufkind war jedoch ein vollgekotztes Deuxpièces. An jeder Familienfete musste sie diese Oper bringen: «Da hatte ich mir eigens von Fred einen Bändeli-Rock schneidern lassen. Dazu das passende Hütchen. Ich trug das Kind zum Becken. Dort hat der Pfarrer, dieses Affenhirn, ihm einen halben Liter Wasser über die Birne geschaufelt - ja wo sind wir denn! In einer Kirche oder in der türkischen Sauna? Jedenfalls: Der Bub brüllte Zetermordio. Und liess alles raus, was er intus hatte - selbst das blaue Hütchen hatte Tupfen. Und wie mein Kleid aussah, wollt ihr gar nicht wissen. DAS GING NIE MEHR RAUS. SO ETWAS WERDE ICH NIE VERGESSEN.»

Eben. Ich dachte schon damals, dass eine Zeichnung aus meiner Hand solche Erinnerungen nie konkurrieren könnte. Wenn sich meine Mutter aber etwas in den Kopf gesetzt hatte, war die Sache in Beton gegossen. Sie kam an einem schulfreien Mittwochnachmittag mit einer riesigen Tasche nach Hause. Packte Pinsel, Farbdöschen und allerlei schreckliches Holzzeug aus: Untertellerchen, Schneidebretter, Kochkellen, auch eine sehr blasse Pfeffermühle. «Die Pfeffermühle ist für Gotti Lenchen. Da pinselst du jetzt etwas Lustiges aufs Holz: eine lachende Sonne oder einen Jesuskäfer, der um Glockenblumen tanzt - oder noch besser eine Kuh. Dann kann sie die Mühle im Chalet brauchen.»

Ich war ein Depp, dass ich die Sache mit den Zeichnungen auf den Büttenbögen nicht gleich akzeptiert hatte. Die flache Zeichnerei wäre ein Kinderspiel gegenüber der Kuh auf einer bauchigen Mühle gewesen. FRAGT JEDEN KÜNSTLER, ER WIRD MIR RECHT GEBEN.

Jedenfalls: Mein Vater skizzierte das Eutertier mit Bleistift aufs Holz: «Jetzt kannst du nur noch ausmalen. Gebt dem Buben einen grossen Pinsel in die Hände - und er kennt keine Grenzen mehr!» Jedenfalls pflasterte ich wild drauflos. Man darf ruhig sagen: Ich war einer der ersten grossen Wilden in diesem Metier. Als das Werk fertig war, sah die Kuh aus wie eine explodierte Marronipfanne, über der eine senfgelbe Sonne aufging. SONNEN konnte ich.

Als Gotte Lenchen die Sache nach dem abgesungenen «O du fröhliche» auspackte, war sie alles andere als fröhlich. Ihre Augen wurden milchig: «Sicher nett gemeint, Kind, aber was ist das?» - «Eine Pfeffermühle mit Pfiff», versuchte es Mutter auf lustig. «Eine Kuh beim Schlächter», stellte ich mein Werk ins morbid-künstlerische Licht. «Und die Sonne ist ein Zugeständnis an deinen Durchschnittsgeschmack.»

Gotte Lenchen schüttelte den Kopf: «Ja der Hanspeterli - er ist halt, wie er ist. Schon an seiner Taufe merkten wir, dass er eigene Wege geht. Habe ich euch schon einmal erzählt, wie er explodierte, als der Pfarrer ihm drei Kübel Wasser über die Birne geschüttet hatte? - Mein schönes, neues Kleid!» WIE GESAGT. SIE KAM IMMER MIT DERSELBEN OPER.

Immerhin hatte die Sache auch ihr Gutes. Ich wurde vor Weihnachten nie mehr aufgefordert, für jeden und alle etwas zu basteln. Sie sahen ein, dass ich mit zehn dicken Daumen auf die Welt gekommen war. Also verschenkte ich künftig Eierschneider. Oder Teewärmer. Hermes lag bei einem monatlichen Sackgeld von 90 Centimes ausserhalb des Budgets.

Gotte Lenchen hat sich dann aus Basel davongeschlichen - und mit einem der ersten Biobauern in Kandersteg in einer wilden Zweierkiste gelebt. Ungetraut. Bio eben! Künftig schwänzte sie unsere Weihnachtsfeiern wie auch die Familienfeten - an Geburtstagen schickte sie mir jeweils eine Grusskarte mit Ähren-Motiv. Ich sage es, wie es ist: Bares wäre mir lieber gewesen.

Ihr Mann starb früh. Als er einen Weihnachtsbaum fällen wollte, fiel eine borkenkäfrige Nebentanne direkt auf ihn. Damit war aus mit Bio. Und als auch Lenchen über den Regenbogen ging, wurde mir mitgeteilt, sie habe dem Patenbuben etwas hinterlassen.

Ich erkundigte mich schon mal, was die teuerste Rolex kostet und wer Interesse an einem Biohof habe. Schliesslich ging der Anwalt mit mir ins grosse Bauernhaus: «Der Hof geht an eine Stiftung für verarmte Kartoffelzüchter - aber Frau Lenchen hat mir mitgeteilt, ich solle Ihnen das Kunstwerk auf der Stubenkommode persönlich übergeben.»

MEINE ROLEX AN BIO-KARTOFFELSTOCKBAUERN - DANKE, GOTTE LENCHEN! UND WELCHES KUNSTWERK? HAT DIE GUTE PICASSO GESAMMELT?

Aber da stand sie dann: DIE MÜHLE MIT DER EXPLODIERTEN KUH! Daneben eine Notiz: «Es war gut gemeint - aber diese Pfeffermühle hat nie funktioniert.» Deshalb, ihr Lieben - schenkt FREUDE! Keinen Horror von krummen Kinderhänden. Einen Hermes-Shawl etwa... Und falls das Budget damit strapaziert würde: Eierschneider sind immer noch beliebt...

Illustration: Rebekka Heeb

Montag, 13. Dezember 2021