Also - dieses Theater um die Nationalhymne!
Hand aufs Herz: Wer weiss da schon den ganzen Text? Höchstens der SVP-Präsident. Und nur auf Italienisch...
Das ist wie mit dem Absingen von «Stille Nacht». Der Anfang läuft noch rund. Doch bald schon Black-out! Und die meisten murmeln sich mit «LALALA» durch die Strophen.
Vor wenigen Wochen hat die empörte Social-Media-Welt unseren Fussballern zünftig die Frise gewaschen: SHITSTORM AUFS BLOND GEFÄRBTE HAUPT.
Nun ja - unsere Jungchen waren bei der Hymne nicht ganz bei der Sache. Stumm stierten sie ins Leere. Ihre Gedanken kreisten um den Ball. Oder um den Vergaser ihres Ferrari.
ABER KANN MAN DAS DEN BURSCHEN BÖSREDEN?
Nein. Kann man nicht.
Unsere Gedanken und Blicke klebten bei «Stille Nacht» auch immer am Päckliberg. Nie wären sie zum Erlöser in die Krippe unter den Baum geflogen. Das Jesuskind war für Geschenke gut - und «Stille Nacht» das Obligatorium, dass man drankam.
Meine fussballbegeisterten Vettern mit den chauvinistischen Herzchen von Diktatoren nervten sich über den Stummfilm ihrer Idole bei der Landeshymne: «Mit so einer Einstellung kann man kein Spiel gewinnen!»
Als die Boys dann Frankreich heimschickten, kippten die Aggressionen in vaterländische Euphorie: «Denen haben wirs aber gezeigt!»
Woran aber liegt es, dass viele beim Absingen der Landeshymne ein Gesicht machen, als würden sich die Gallensteine melden? Das ist nicht nur bei unserer Hymne so. Die Belgier schwiegen sich auch durch die Strophen. Nur Psalmen, die von einem diktatorischen Regime Ton für Ton eingepaukt worden sind oder solche, die das Feuer eines Popsongs von Madonna haben - SO ETWAS bringt die Leute auf Touren.
Und Nein! «TRITTST IM MORGENROT DAHER...» bringt es einfach nicht! Unserer Landeshymne fehlt der Pfiff. Das Feuer. Und auch der schunkelnde Schlagermoment. Die meisten Hymnen holen zu Beginn mit Trommelwirbel oder Posaunen die Aufmerksamkeit. Denken wir nur an die Italiener - solche Zack-ruck-Töne hauen voll rein! NACH DIESEM VORSPIEL SIND ALLE BEI DER SACHE!
Bei uns aber sind es Töne, mit denen man die Urne ins Loch lässt. Und die Worte «...seh ich dich im Strahlenmeer ...dich, du Hocherhabener, Herrlicher...» Also wirklich: Damit holst du keinen aus der Disco raus!
Ich kann mich noch an die alte Schweizer Hymne erinnern. Die mit dem rufenden Vaterland. Onkel Alphonse jaulte zwar immer: «Heil dir Helvetia hesch kaini Hoosen aa...» Das ärgerte die ganze Familie: «Alphonse - es ist immerhin unser Heimatpsalm!»
War es aber gar nicht. Wir hatten das Ganze arschkalt bei den Engländern abgekupfert.
Doch die Engländer waren schon damals punkto Showbusiness besser drauf als das biedere Volk hinter den Bergen. Sie starteten mit Pauken und dem Bild der Queen- ich meine: Das machte etwas her. Für so etwas hat man gerne das Diadem zurechtgerückt und mitgeschunkelt.
Mit 15 Lenzen musste ich mein Englisch aufrüsten. Lehrer Ryser hatte mir eine 3 ins Zeugnis gebremst. UNGENÜGEND. Meine liebevolle Mutter fackelte da nicht lange: «Du fährst zu einem Intensivkurs nach Hastings!»
Ich fuhr also in den Sommerferien ins englische Seebad. Hastings war nicht der Traum eines pubertierenden Jungen: ein verschlafener Ort, dessen grösste Attraktion eine rosig beleuchtete Burg war. Das pinkige Lichterspiel sollte an die Schlacht mit Wilhelm dem Eroberer erinnern. Dazu ertönte aus einem Verstärker viermal am Tag die Nationalhymne. Dazu lächelte von einer Leinwand die damals junge Queen - schon ältlich distanziert.
Die bierseligen Untertanen wischten sich den Schaum vom Mund und grölten: «God save our gracious Queen.»
Ich habe mich auch erhoben. Und «I am from Switzerländ - und wasch mir meine Händ...» gesungen. Ich fand es lustig. Doch die Leute von Hastings schauten zur helvetischen Callas so zornentbrannt wie an jenem schrecklichen Juli-Tag, als Xhaka den Elfmeter verschoss.
Damals jedenfalls kam ich vollgespickt von britischen Inspirationen in die Schweiz zurück. Und servierte im nächsten Englisch-Aufsatz Vorschläge, wie man die Schweizer Nationalhymne dank etwas Pomp, einer winkenden Königin und einem Trommelwirbel der VKB aufbuttern könnte.
In Ermangelung einer Queen schlug ich Trudy Gerster vor. Heute hätten wir Frau Amherd mit ihrem Zepter. Doch damals gab es noch keine weiblichen Regentinnen in der Schweiz.
Jedenfalls - ich wollte als Gymnasiast aufzeigen, wie wichtig das richtige Szenarium der Hymne für ein Land sein kann.
Es gab eine 4. Und die Bemerkung: Thema verfehlt.
MUSS MAN SICH WUNDERN, DASS WIR NICHT EUROPAMEISTER WURDEN? - Muss man NICHT!
Nächsten Sonntag ist es wieder so weit: Da treten wir einmal mehr im Morgenrot daher. Gut so. Wunderbar.
Doch weshalb können wir statt vom Strahlenmeer nicht vom Glühen der Grillkohle singen? Lasst uns Baschi den Song rocken. Und etwas Groove in die Sache bringen.
So könnten wir dann 2022 vielleicht Fussballweltmeister werden.