Die Omi hatte keinen zarten Tanzschritt. Sie hob kaum den Fuss. Und brachte mit ihrem Gang die Gläser zum Klingen. Mutter startete durch. Und zischte ihrem Gatten zu: «Sag deiner Affenliebe, sie soll nicht wie ein angeschossener Kriegsdampfer über die Böden schlarpen... dazu in d i e s e n Finken! Damit kann sie bei Walt Disney für die Hexenrolle vorsprechen - ABER NICHT MIT SOLCHEN FILZPANTOFFELN AN UNSERER SOMMERNACHTS-FEIER AUFTAUCHEN...!»
Dann wurde die Mamma sachlich: «Weisst du, wie die Zirngibels sich nach der Einladung das Maul über uns verreissen werden: Wir würden die arme Frau im Brockenhaus einkleiden!» Vater verteidigte die Finken-Macke der Kembserweg-Omi mit der Liebe eines Sohnes, der als Kind mit Fleischküchlein und Dampfnudeln durchgefüttert wurde: «Die Schlappen trägt sie, seit ich denken kann...» «Ja klar. Sie ist darin geboren!» - nervte sich Mutter schrill. «Und eine Babyklappe gab es damals noch nicht!» MEINE MUTTER KONNTE EIN RECHTER BESEN SEIN!
Vor der schicken Einladung hatte sie die Omi angefleht: «Anni - wir gehen zusammen in die Stadt. Dann kaufe ich dir einen wunderbaren Rock. Und die passenden Schuhe dazu...»
«Ach Lotti», seufzte die Plage zur Schwiegertochter, «wozu der Aufwand? In diesen Finken habe ich schon das Julchen zur Welt gebracht. Das Gute kam sechs Wochen zu früh - es flutschte raus wie eine sterilisierte Zwetschge aus dem Einweckglas. Ich war gerade am Bohnen-Fädeln. Da fiel das Kind tatsächlich auf den linken Finken. Du kannst die abgeschabte Stelle noch immer erkennen...»
Um die grauen, filzigen Schlarpen der Kembserweg-Omi rankten sich Anekdoten wie der Bandwurm um den Darm. Selbst am «schönsten Tag der Frau» soll sie in den schon damals ziemlich ausgelatschten Finken vor dem Altar erschienen sein. Julius, ihr Gatte, schaute entsetzt auf die Füsse seiner Braut: «Aber Gutes! Liebes! Diese Gräuel nicht auch noch an unserer Hochzeit...!» Die Omi: «Heiratest du Finken oder eine treue Gattin?»
Der Brautwalzer fand dann in den filzigen Pantoffeln statt. Und unter die hat sie ihren Julius ein Leben lang gesteckt.
Ich war vermutlich der Einzige in der Familie, der die Omi auch in andern Schuhen gekannt hat. Immer am Mittwochnachmittag holte ich sie von ihrer Putz-Tour ab. Schlusspunkt war jeweils das Kino Union. Die Omi stand mit zwei Putzkesseln, einer Auswahl durchgewrungener Lumpen und dem «Schrubber», den sie «Strupfer» nannte, wie ein Soldat vor der Wachablösung bereit.
I c h durfte die Eimer tragen - s i e ging mit der Fegbürste voran. An ihren Füssen steckten seltsame, schwarze Schuhe, die sie bis fast unters Knie binden konnte und die ich Jahrzehnte später an den Knöcheln bayrischer Serviertöchter wiederentdeckt habe: «Merk dir eines, du Strizzi: Wer hart arbeitet, braucht warme Knöchel!»
Waren wir endlich am Kembserweg, warf sie die hohen Schuhe in eine Ecke. Angelte sich mit dem linken Fuss ihre abgewetzten Filzfinken. Und schlüpfte wohlig stöhnend hinein: «Ach Jungchen - das ist der schönste Moment im Tag: raus aus dem eng geschnürten Zwang. Und hinein ins lockere Leben!»
Sie stakste dann zum Buffet. Angelte sich dort die Flasche mit dem Johannisbeerschnaps und seufzte: «Das ist Weihnachten und Geburtstag zusammen - ein Hoch auf denjenigen, der Filzfinken erfunden hat! Da. Probier ein Schlückchen...»
Ich schaute dann gebannt auf ihre Füsse und Knöchel - sie schwollen an, als würde man Hefekugeln beim Aufgehen im Zeitraffer filmen. «Das Herz» - kommentierte die Omi meinen Blick. «Hartes Arbeiten schlägt auf die Pumpe. Und das jagt mir Wasser in die Zehen. DESHALB JOHANNISBEERSCHNAPS!»
Bei uns daheim waren Finken ein No-go. Wie Spargeln von Hand. Oder Spiegelei mit Messer. Meine Mutter behielt ihre hohen Hacken auch in der guten Stube an. Die von ihren dünnen Absätzen durchgeschossenen Parkettböden wurden alle drei Jahre neu geschliffen. Die Spannteppich-Epoche deckte die brutalen Einschusslöcher später dann barmherzig zu.
Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als die Kindergartentante aufkreuzte: «Sie müssen dem Hanspeterli Finklein mitgeben. Wir wollen die Spielstube rein halten...» Mutter streckte sich in ihren 20-Zentimeter-Pumps. Und wurde zur herablassenden Giraffe: «Ach ja? Er kann in den handgestrickten Socken seiner Grossmutter herumwatscheln - wie sein Vater auch. Guten Tag!»
Immerhin haben sie mir dann etwas gekauft, das noch heute ganz oben auf meiner Highlights-Liste leuchtet: TIGERFINKLI. Sie waren 1938 erfunden worden. Und kamen vom Zürcher Schuhmacher Edi Glogg. Es ist das Kreativste, was je aus dieser sonst so biederen Stadt an der Limmat gekommen ist: mit roten flauschigen Pompons. Und alles handgefertigt - aus dem getigerten Stoff-Fell eines abgeschossenen Stoffeltierchens.
So tigerte ich also zumindest im Kindergarten mit Finken herum.
Meine Mutter nahm mich dann in einer Aufklärungsphase lange vor der Pubertät zur Seite: «Ich sage dir jetzt eins, mein Bub: Wenn ein Mann dich später einmal anmachen will und er empfängt dich daheim in Finken - NICHTS WIE WEG! Entweder er bringt dich um. Oder er wäscht am freien Samstag sein Auto...» Solches hat mich geprägt.
Ich bin aus den bequemen Haussocken der Omis rausgewachsen. Aber High Heels nerven die Untermieter. UND FLIPFLOPS KOMMEN MIR NICHT INS HAUS! Deshalb: Her mit den geerbten Latschen der Grossmutter! Sie sind zwar schon sechsmal geleimt. Und fallen auseinander wie das Fussballteam unserer Nation. Aber meine platten, geschundenen Füsse werden darin aufgehen wie der Mond über dem Meer...
Illustration: Rebekka Heeb