In einem waren sich meine Eltern einig: DAS KIND SOLL KEIN FERNSEHTROTTEL WERDEN! Aber natürlich war die Kiste das Faszinierendste, was die gute Stube neben dem Aquarium zu bieten hatte. Mittags liefen die Dramen live im Familienprogramm am Mittagstisch. Das Kind hätte aus der Schule zu erzählen gehabt. Im 23-seitigen Aufsatz «Ich bin eine Biene» hatte es die ganze Klasse aufgemischt. Ich durfte den Erguss vom Lehrerpult aus vortragen. ES WAR DER BEGINN ALS KARRIERE EINER RAMPENSAU!
Die Eltern interessierte das nicht. Sie waren mit ihrer eigenen Welt beschäftigt - zum Beispiel mein gewerkschaftlich organisierter Vater mit dem Kampf gegen die reichen Wichser «da oben!». Oder meine liberal ausgerichtete Mutter wetterte gegen die Männer, die in der Frau nur Menschen sahen, die heisse Eisen beim Bügeln anfassen durften. DER PROTAGONIST VON «ICH BIN EINE BIENE» WAR KEIN THEMA.
Da die Alten aber abends weg waren und beide in ihren politischen Kreisen im Kreis herum redeten, um ihre Ansichten von Gleichgesinnten betonieren zu lassen, hatte ich freie Bahn. ICH SCHAUTE ALLES! Es gab per Drehschalter die Zweier-Wahl: Deutschland. Oder Schweiz.
Damals hat das Fernsehen seine Ansichten nur schwarz-weiss zur Verfügung gestellt. Zwischentöne gab es nicht. Diesbezüglich hat sich bis heute nichts geändert. Ich wählte mehrheitlich: Deutschland. Sie hatten die netteren Balletteinlagen. Etwa bei der Peter-Frankenfeld-Show. Der Bub träumte davon, diesen lustigen Mann ein einziges Mal nur in einem rosigen Glimmerkittel, Strumpfhosen mit Naht (wie die Kessler Zwillinge) und Schwanensee-Schritten zum Mikrofon führen zu dürfen. Wie gesagt: DIE UNBÄNDIGE LUST DER RAMPENSAU!
Wenn meine Eltern nach Hause kamen, tasteten sie zuerst den riesigen Hinterteil der Glotze ab, um zu schauen, ob er heiss war. DAS KIND WAR VIELLEICHT SCHRÄG. ABER BLÖD WAR ES NICHT. Mit der Kaltstufe des Föhns hatte es vorher alles abgekühlt. Und stellte sich mit dem Teddy im Arm malerisch schlafend. «Süss», sagte der Vater. Und biss dem Kleinen in die Nase. Der Bub gab einen theatralischen Seufzer von sich. Rieb die Augen. Blinzelte: «Seid ihr daheim - wie viel Uhr ist es denn?» Zwanzig Minuten vorher hatte er noch mit Heintje «Mamma» gesungen.
Das Heisseste im Fernsehen war die Werbung. Mein kleiner Vetter Thommy (der heute fit und muckibepackt ist, damals aber wie ein dahingeschissener Wurm formlos auf der Coach lag) animierte mich, mit ihm Werbespots aufzuführen. ABER HALLO! So etwas musste man der Rampensau nicht zweimal sagen.
An jedem Familiengeburtstag und auch an diversen «Lyychemähli» brachten wir gereimte Werbezeilen als Duett. Wenn ich auch arg Mühe bekundete, Chemieformeln oder diese blödsinnige Mengenlehre zu pauken - das Lied vom Sarotti-Mohren ging rein wie frisch geölt: «Was uns auch das Fernsehn bringt, ob ein Mann alleine singt, oder gar ein ganzer Chor Stets dabei: Sarotti-Mohr!»
Wir konnten die Augen so effektvoll rollen, wie der schwarze Mann von der Mohrenstrasse aus Berlin. Natürlich würde so etwas in der heutigen Werbewelt ganz und gar ins OUT gepfiffen. SHITSTORM RUNDUM! Aber damals war eben alles noch politisch inkorrekt. Denken wir nur an Henkels Werbeente von Pril. Der Vogel wurde in ein enges Glasbecken eingetaucht. Man gab das Geschirrwaschpulver dazu. Und föhnte die Ente nach dem Pril-Bad, sodass ihre Federn ähnlich flauschig wurden wie diejenigen der toten Tiere aus Wädiswil.
Die Aussage war klar wie das Spülwasser: Was für den armen Vogel gut ist, muss auch bei fetten Tellern Wirkung zeigen: Heute würden Greenpeace, WWF und Hygieneamt mit Eiern werfen. Auch das Bild der Frauen war zum Abwinken. Lieb gemeint. Lieb gesponnen. Aber emanzipatorisch ein Jauchengriff: Die Frau präsentierte sich blond dauergewellt im Schürzchen. Und am Herd. Die süsse Gattin backte ihrem Mann dank Doktor Oetkers Backpulver jeden Tag Kuchen. Die wichtigsten zwei Fragen des weiblichen Geschlechts waren laut jener Oetker-Werbung aus dem Jahr 1950: «Was soll ich anziehen? Was soll ich kochen?»
Maggis Fridolin demonstrierte einer gewissen Tante Julchen, dass deren Knödel mit Fondor besser schmecken würden (Gleich für morgen, FONDOR besorgen). Und wenn die armen Eheweiber mal den Durchhänger hatten, wurden sie mit FRAUENGOLD wieder auf Vorderfrau gebracht: «Frauengold schafft Wohlbehagen - wohlgemerkt: an allen Tagen.» Es waren die K.-o.-Tropfen jener Zeit.
Kerle hingegen waren rar. Sie tauchten nur in der Raucherwerbung und beim Trinken auf - etwa das kleine HB-Männchen, das immer gleich in die Luft ging. Oder die lustige Männerchorrunde: «Ob du singst im Männerchore, ob mit Damenchor gemischt - ob am Brunnen vor dem Tore Coca-Cola - das erfrischt!» Und wenn ein Kerl melancholisch alleine in der Ecke sass: «ALLEINE MIT DIR? ZWEI WORTE - EIN BIER!»
Und heute? Die Werbung ist kurzatmiger. Nichts bleibt hängen - nun ja, ausser vielleicht dieser kurze Moment, wo berühmte Frauen ihre teure Salbung bekommen: «WIR SIND ES UNS WERT!» Um so weit zu kommen, musst Du es als Rampensau allerdings zuerst einmal geschafft haben.
Illustration: Rebekka Heeb