Von Kutteln aller Arten und IGITT!

Illustration: Rebekka Heeb

Kutteln - igitt...?

GAR NICHT IGITT!

KUTTELN SCHMECKEN KÖSTLICH. ZUMINDEST FÜR DEN CONNAISSEUR. Aber - ja klar! - für die meisten braucht es ein bisschen Zeit, bis sie das Glück in diesen krausen Innereien finden können.

Kutteln gelten unter den verschworenen Feinschmeckern der Trippa (Italien) als Delikatesse. Und in Portugal gibt es Tausende Fans der Dobrada, dieses portugiesischen Eintopfs, in dem die Flutschidinger mit Bohnen aufgekocht werden. In Budapest habe ich einen solchen Eintopf einmal mit Hirn durchmischt vorgesetzt bekommen. UND JETZT WECHSELN WIR DEN TELLER. SONST BRECHEN SIE MIR HIER AB!

Also - ich bin erst kürzlich wieder auf das Thema Kutteln gekommen. Schuld hatten Caroline Rasser und das BAG.

Letzteres verbietet mir, mit meinen Interviewgästen im Innern eines Restaurants an den Tisch zu hocken. Aussen ja. Aber was mache ich, wenn es uns dann auf das Rührei schneit? Eben!

Wenn ich also Interviewgäste zu Tisch haben will, muss ich selbst an die Pfanne. Toll. Denn die Gäste leiden - und ich auch.

Ich jage zwischen Notizblock, Griffel und dreierlei Saucen hin und her. Statt mit ruhigen Fragen wie «Wann hast du zum letzten Mal in einem Wasserbett gefrühstückt?» das Interview im Fluss zu halten, schwitze ich bereits nach einer halben Stunde wie ein chinesisches Ravioli im Dampf.

Auf dem Notizblock kannst du an Saucenresten erkennen, was es zu essen gab - nicht aber, was der Gast von sich gegeben hat. Die Statements gehen in öligen Tupfern, Senfgeschlirg und Tomatensauce unter. Schuld hat die Regierung - und das ist doch immer so.

Also. Die schöne Caroline schickte mir vor dem Besuch ein Mail: «ICH ESSE ALLES!» Beim Baccalà an Zitronenblättern jedoch seufzt sie: «Ich bin froh, dass du keine Kutteln gemacht hast!»

BINGO. GLÜCK GEHABT. ODER EBEN: DIE ERFAHRUNG DES ALTERS: ICH WEISS, DASS BEI KUTTELN DIE GÄSTE SICH VERABSCHIEDEN, BEVOR DAS ERSTE GLAS LEER IST.

Kutteln wurden früher öfters zubereitet - doch immer brutal falsch. Man kaufte die Schnickerli, wie sie unsere fränkische Tante liebevoll nannte, beim Metzger. Gab sie in die Pfanne. Und jagte eine Dose Tomatenpüree (das glänzende Konzentrat-Büchschen, das man mit dreimal Wasser verdünnen musste!) darüber. Toll. Das wars auch schon!

Oder um es mit Busch abzuschmecken: «So sass die Runde käsig-stumm, um den roten Pflotsch herum.»

Mutter griff tapfer zu. Für einmal half es auch nicht, dass sie uns diese blutroten Fötzel, die aussahen, als hätte einer der Kuh in den Bauch geschossen, nobel als «Tripes alla Cayenne» verkaufen wollte. Vater keuchte schon vor der ersten Schöpfung über der Kloschüssel. Und die Kembserweg-Omi schaute vorwurfsvoll zu ihrer eingeheirateten Plage: «Lotti - weshalb mit diesem Tomatenkleister? So frisst es nicht einmal der Hund!»

Meine erwähnte Tante Hannelore, die wir Lorchen nannten und die uns einmal jährlich aus Nürnberg besuchte, war der Kuttel-Horror in Person. Statt der sehnsüchtig erwarteten Lebküchlein brachte sie jedes Mal eine unförmige Packung dieser verdammten Schnickerli mit. Lorchen öffnete ein Paket, das während der fünfstündigen Zugfahrt arg gelitten hatte. Ein unglaublicher Duftschwall umnebelte sofort die Küche - so als hätte eine Herde Rinder alles an Fladen gegeben, was zu geben war. Kurz: ES STANK! UND UNS STINKTE ES AUCH.

Lorchens Kutteln waren nicht die Gaumenfreuden, die uns jubeln liessen. Sie kamen weiss. Mit Kümmel. Und selbst der Essig darüber konnte das Grauen nicht verbannen.

Mutter schob aus Solidarität zu ihrer Cousine eine Gabel voll ins grell geschminkte Mündchen, sie liess es käsig bleich sofort wieder in die Serviette raus. Der Rest wurde dem Dackel vorgesetzt. Der Hund lehnte mit eingezogenem Schwanz ab. Auch weisse Kutteln waren nicht sein Ding.

Viele Jahre habe ich um Kutteln einen Bogen gemacht - so wie der Teufel ums Weihwasserbecken. Doch dann kam Sergio. Er war mein Professor bei der «Dante Alighieri». Und um beim Thema zu bleiben: Ich war über alle Kutteln verknallt in ihn.

Sergio also schleift mich in die Markthalle von Florenz. Dort gab/gibt es gut 20 Stände, die nur Kutteln verkaufen - etwa die fein gefaserten. Sie sehen aus wie das Innenleben früherer Herrenunterwäsche.

Dann sind da die platten Plätze ohne krauses Aussenleben - daneben: die fein Gefächerten vom Blättermagen. «Das Wichtigste ist das Reinigen. Das dauert Stunden. Wenn grüne Kutteln nicht richtig geputzt worden sind, stinken sie wie explodierter Kuhschiss», dozierte Sergio. «AHA!», dachte ich. Und machte mir eine geistige Notiz: «Unbedingt Lorchen eine Karte schreiben!»

Sergio bestellte «Trippa alla Fiorentina». Die rote Sauce bestand aus Stangensellerie, Karotten, Tomaten, Lauch und Zwiebeln. DAS GERICHT WAR EIN GESCHENK DER GÖTTER!

Um die Sache zu Ende zu bringen: Die Episode «Sergio» war schnell gegessen - nicht aber meine neu entflammte Liebe zu Kutteln.

Die dauert bis heute an.

Deshalb schreibe ich dieses Kuddelmuddel hier. DENN FALLS IHR MICH MORGEN ZUM INTERVIEW EINLADET: «KUTTELN? JA - SCHRECKLICH GERNE!»

Illustration: Rebekka Heeb

Dienstag, 20. April 2021